Erhöhung der Bargeldobergrenze bei Mehrbedarfen:
1. Die in der leistungsberechtigten Person liegenden individuellen Besonderheiten wie Krankheit, Alter, Behinderung, Alleinerziehung müssen in der Entscheidung über die Höhe der Bargeldobergrenze Berücksichtigung finden. Eine starre Obergrenze kann individuellen Bedürfnissen und den Umständen vor Ort nicht gerecht werden.
2.Es scheint geboten und praktikabel, die Mehrbedarfe bzw. Bedarfserhöhungen für die Zeit des Aufenthaltes in der Erstaufnahmeeinrichtung durch Erhöhung der Bargeldobergrenze auf der ausgegebenen SocialCard oder durch Geldleistungen in bar zu gewähren.
3. Die bisherige Ausgestaltung der Bezahlkarte - Sperrung für bestimmte Ausgabenpositionen, Einsatzbeschränkungen, Einschränkung und Ausschluss von Überweisungen und Lastschriften - ist rechtspolitisch umstritten und dem Hauptsacheverfahren vorbehalten.
(Leitsätze der Redaktion)
[...]
Die Antragsteller halten sich als geflüchtete Familie seit ... 2024 in Deutschland auf [...].
Die Familie bezieht mit Leistungsbescheid vom 3. Mai 2024 Grundleistungen gemäß den §§ 1 und 3 Asylbewerberleistungsgesetz (AsylbLG) [...]. Der Antragstellerin zu 1. wird dabei ein Mehrbedarf Schwangerschaft nach § 6 AsylbLG in Verbindung mit § 30 Abs. 2 SGB XII bis einschließlich Juli 2024 in Höhe von 70,21 € gewährt und der Bedarf des Antragstellers zu 3. wird als unter 3-Jähriger in einer Erstaufnahmeeinrichtung um monatlich 89,48 € erhöht.
Mit Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz vom 21. Juni 2024 haben sich die Antragsteller wegen der Leistungsgewährung in Form einer digitalen Buchung auf eine sog. SocialCard an das Sozialgericht gewandt. [...]
Die Antragsteller beantragen, die Antragsgegnerin im Wege einer einstweiligen Anordnung zu verpflichten, vorläufig ab Eingang dieses Antrages bei Gericht den Antragstellern zu 1., 2. und 3. Leistungen zur Deckung des notwendigen persönlichen Bedarfs nach §§ 3 Abs. 1 Satz 2 und Abs. 2 Satz 5, 3a Abs. 1 AsylbLG sowie der Antragstellerin zu 1. Leistungen zur Deckung des Mehrbedarfs bei Schwangerschaft nach § 6 AsylbLG i.V.m. § 30 Abs. 2 SGB XII in Form einer Geldleistung durch Auszahlung als Bargeld oder Überweisung auf ein reguläres Zahlungskonto monatlich zu gewähren [...].
Der nach den Maßstäben des § 86b Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) zu beurteilende Antrag, im Falle eines Hauptsacheverfahrens wäre eine kombinierte Anfechtungs- und Verpflichtungsentscheidung die statthafte Klageart, ist zulässig, insbesondere wurde gegen den Leistungsbescheid vom 3. Mai 2024 von den Antragstellern Widerspruch eingelegt, aber nur im Umfang der Tenorierung begründet. […]
Die SocialCard ist als eine Bezahlkarte im Sinne des § 3 Abs. 2 Satz 5 AsylbLG einzuordnen. Das "Ob" des Karteneinsatzes bewegt sich damit nach Auffassung des Gerichts unzweideutig im Rahmen des Gesetzes und erscheint vor dem Hintergrund des allgemeinen gesellschaftlichen Trends, Bedarfe durch Kartenzahlung statt durch Bargeld zu decken, auch nicht schon per se unwürdig bzw. diskriminierend. Entscheidend ist nach Auffassung des Gerichts aber die Ausgestaltung des Karteneinsatzes, mithin das "Wie" der Leistungserbringung durch Ausstellung einer Bezahlkarte.
Das Gesetz sieht eine Ermessensentscheidung über die Art der Leistung vor (sog. Auswahlermessen). Es dürfte sich dabei nicht nur einsog. "Kompetenz-Kann" handeln, das der Verwaltung lediglich die Befugnis einräumt, eine bestimmt Maßnahme durchzuführen.
Und auch wenn der Behörde ein weiter Ermessensspielraum zuzugestehen sein wird, ist damit zwingend verbunden, dass die Entscheidung sich nach den "örtlichen Besonderheiten und unterschiedlichen Lebenslagen" (BT-Drs. 20/11006, Seite 102) richtet, und damit insbesondere auch in der Person der Leistungsberechtigten liegende Besonderheiten (z.B. Alter, Behinderung, Krankheit, Alleinerziehung, vgl. zum Ganzen ausführlichst Frerichs, jurisPK-SGB XII, 4. Auflage 2024, § 3 AsylbLG, Rn. 132 – 138) berücksichtigt, mithin eine Einzelfallentscheidung erforderlich ist.
Wie sich die bisherige Ausgestaltung der Bezahlkarte – Sperrung für bestimmte Ausgabenpositionen, Einsatzbeschränkungen, Einschränkung und Ausschluss von Überweisungen und Lastschriften - zu diesem Gebot verhalten, ist rechtspolitisch umstritten und wird gegebenenfalls über das Hauptsachverfahren einer Klärung zuzuführen sein. Für das Gericht aber bereits im Anordnungsverfahren deutlich ist im Hinblick auf die Bargeldobergrenze das Fehlen jeglicher Einzelfallbetrachtung. Wie von der Antragsgegnerin dargelegt hat, orientiert sich Hamburg hierbei an einem empfehlenden Beschluss der Ministerpräsidentenkonferenz vom 20. Juni 2024, wonach erwachsene Geflüchtete maximal 50,00 € pro Monat abheben können sollen. Neben der Frage nach der Ermächtigungsgrundlage für die Festlegung einer Bargeldobergrenze (so aufgeworfen und im Ergebnis mit dem Gesamtzusammenhang der gesetzlichen Regelungen bejaht von Frerichs, ebenda, Rn. 138.12) drängt sich für das Gericht unmittelbar die Frage auf, wie die Leistungsverwaltung mit einer starren Obergrenze individuellen Bedürfnissen und Umständen vor Ort gerecht werden kann. Um dieses Ziel zu erreichen, wird es verschiedene Wege geben und tatsächlich werden im Bundesgebiet auch unterschiedliche Bargeldobergrenzen bis hin zur Aufhebung der Obergrenze praktiziert (vgl. wieder Frerichs, ebenda, Rn. 138.11). Das Gericht ist hier nicht berufen, einen bestimmten Weg vorzugeben.
Für eine individuelle Bedürfnisdeckung während des zeitlich offenen Aufenthaltes in der Erstaufnahmeeinrichtung erscheint es im Rahmen des Anordnungsverfahrens aber geboten wie auch praktikabel, zunächst jedenfalls die für die Antragsteller zu 1. und 3. anerkannten besonderen Mehrbedarfe bzw. Bedarfserhöhungen sich in einem erhöhten Bargeldbetrag für die Zeit ihres Aufenthaltes in der Erstaufnahmeeinrichtung niederschlagen zu lassen. Soweit technisch möglich, kann dies durch eine Erhöhung der Bargeldobergrenze auf der ausgegebenen SocialCard geschehen oder durch Geldleistung in bar. [...]