Kein subsidiärer Schutz für Syrer*innen
1. Wehr- und Reservedienstentziehern droht in Syrien nicht mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit politische Verfolgung (Fortführung der Senatsrechtsprechung).
2. Syrern, die Syrien illegal verlassen haben, im westlichen Ausland einen Asylantrag gestellt haben und/oder sich seit längerem hier aufhalten, droht bei einer Rückkehr nach Syrien nicht mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit politische Verfolgung (Fortführung der Senatsrechtsprechung).
3. Syrern droht in Syrien allein wegen ihrer Herkunft aus einem (ehemaligen) Oppositionsgebiet nicht mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit politische Verfolgung (Fortführung der Senatsrechtsprechung).
4. Kurden als solchen droht in Syrien nicht mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit politische Verfolgung (Fortführung der Senatsrechtsprechung).
5. Für Zivilpersonen besteht in Syrien keine ernsthafte individuelle Bedrohung ihres Lebens oder ihrer körperlichen Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines bewaffneten innerstaatlichen Konflikts mehr.
6. Das gewerbs- und bandenmäßige Einschleusen von Ausländern (§ 97 Abs. 2 AufenthG) ist eine schwere Straftat im Sinne des § 3 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 AsylG und des § 4 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 AsylG.
(Amtliche Leitsätze; Anmerkungen der Redaktion: Leitsatz 1 entspricht der Rechtsprechung aller Oberverwaltungsgerichte bis auf OVG Bremen, Urteil vom 23.03.2022, 1 LB 484/21 – asyl.net: M30603; bezüglich der Leitsätze 1-3 widerspricht das OVG NRW ausdrücklich der Einschätzung des Auswärtigen Amtes, Bericht über die Lage in der Arabischen Republik Syrien vom 2. Februar 2024 (Stand: Ende Oktober 2023); bezüglich Leitsatz 5 (subsidiärer Schutz) widerspricht das OVG NRW ausdrücklich EUAA, Country Guidance: Syria, April 2024, Gründe nach § 4 Abs. 1 Nr. 2 AsylG werden mit Verweis auf die Aussagen zur Flüchtlingseigenschaft nicht geprüft, offen gelassen wurde eine Gefahr auf Grund Erpressung bei Wiedereinreise; Abschiebeverbote wurden nicht geprüft, da rechtskräftig anerkannt; Keine Zulassung der Revision nach § 78 Abs. 8 Satz 1 AsylG zwecks einheitlicher Lagebeurteilung wegen Unerheblichkeit auf Grund des Ausschlusses wegen Straftat.)
[...]
I. Der Kläger erfüllt nicht die Voraussetzungen für die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft nach § 3 Abs. 1 AsylG (nachfolgend 1.). Außerdem steht einer Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft auch § 3 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 AsylG entgegen (nachfolgend 2.). [...]
a) Der Kläger ist nicht vorverfolgt aus Syrien ausgereist. [...]
b) Dem Kläger droht auch bei einer Rückkehr nach Syrien zum jetzigen Zeitpunkt keine Verfolgung durch den syrischen Staat (nachfolgend aa)) oder die kurdische Selbstverwaltung in Nordost-Syrien (nachfolgend bb)).
aa) (1) Eine Verfolgung durch den syrischen Staat droht dem Kläger zunächst nicht deshalb, weil er sich durch seine Ausreise aus Syrien einer möglichen Einberufung zum Reservedienst in der syrischen Armee entzogen hat.
(a) In Syrien besteht eine Militärdienstpflicht für Männer vom vollendeten 18. bis zum 42. Lebensjahr. [...]
(b) Es besteht jedoch keine beachtliche Wahrscheinlichkeit dafür, dass der Kläger bei einer Rückkehr nach Syrien aufgrund einer der vorgenannten Vorschriften bestraft würde. Zunächst einmal bestehen keine konkreten Anhaltspunkte dafür, dass der Kläger in Syrien zum Reservedienst einberufen worden ist. Der Kläger hat dies nicht vorgetragen. Es ist im Übrigen auch unwahrscheinlich. [...]
(c) Dem Kläger droht auch nicht mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit eine Bestrafung nach Art. 104 syr. WPflG, weil er aus Syrien ausgereist ist, ohne die hierfür erforderliche Genehmigung der Generaldirektion für Wehrpflicht einzuholen. Es gibt keine Erkenntnisse, dass Reservisten bei einer Rückkehr nach Syrien allein deshalb festgenommen und bestraft werden, weil sie nicht die für die Ausreise erforderliche Genehmigung der Generaldirektion für Wehrpflicht eingeholt haben. [...]
(d) Selbst wenn der Kläger in Syrien zum Reservedienst einberufen worden wäre, würde ihm deshalb bei einer Rückkehr nach Syrien eine Bestrafung nach den Art. 98 f. syr. MStG nicht mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit drohen. [...]
(e) Aber selbst wenn der Kläger bei einer Rückkehr nach Syrien wegen Entziehung vom Reservedienst bestraft werden würde, würde diese Bestrafung nicht mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit an eine unterstellte politische oder religiöse Überzeugung anknüpfen. [...]
(aa) Nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union spricht eine starke Vermutung dafür, dass die Verweigerung des Militärdienstes unter den in Art. 9 Abs. 2 Buchst. e der Richtlinie 2011/95/EU (§ 3a Abs. 2 Nr. 5 AsylG) näher erläuterten Voraussetzungen mit einem der fünf in Art. 10 der Richtlinie 2011/95/EU (§ 3 Abs. 1 Nr. 1, § 3b Abs. 1 AsylG) genannten Gründe in Zusammenhang steht, genauer gesagt, dass die in Art. 9 Abs. 2 Buchst. e der Richtlinie 2011/95/EU (§ 3a Abs. 2 Nr. 5 AsylG) beschriebene Verfolgungshandlung mit einem der in Art. 10 der Richtlinie 2011/95/EU (§ 3 Abs. 1 Nr. 1, § 3b Abs. 1 AsylG) genannten Verfolgungsgründe in einem Zusammenhang steht (vgl. Art. 9 Abs. 3 der Richtlinie 2011/95/EU, § 3a Abs. 3 AsylG) (vgl. EuGH, Urteile vom 19. November 2020 - C-238/19 -, NVwZ 2021, 319 (323), Rdnr. 57 - 61, und vom 8. Februar 2024 - C-216/22 -, juris, Rdnr. 53).
Diese "starke Vermutung" wird indes zur Überzeugung des Senats durch die tatsächlichen Verhältnisse in Syrien widerlegt. Es sprechen zwingende Gründe gegen die Annahme, der syrische Staat ziele mit einer Bestrafung von Wehr- oder Reservedienstentziehern (auch) auf deren tatsächliche oder ihnen unterstellte politische Gesinnung oder religiöse Einstellung. [...]
(bb) Die anderslautenden Einschätzungen des Oberverwaltungsgerichts der Freien Hansestadt Bremen und des Oberverwaltungsgerichts Berlin-Brandenburg überzeugen den Senat nicht. Zwecks Vermeidung von Wiederholungen verweist der Senat auf sein Urteil vom 23. August 2022 - 14 A 3716/18.A -, juris, Rdnr. 109 ff. [...]
(2) Dem Kläger droht bei einer Rückkehr nach Syrien auch nicht deshalb mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit Verfolgung durch den syrischen Staat, weil er Syrien illegal verlassen hat, in Deutschland einen Asylantrag gestellt hat und sich seit 2014 hier aufhält. Der Senat hat die tatsächliche Situation in Syrien dahin bewertet, dass aus dem Ausland rückkehrenden Asylbewerbern, auch wenn sie Syrien illegal verlassen haben, keine politische Verfolgung droht wegen einer ihnen zugeschriebenen regimefeindlichen Gesinnung (vgl. zu den Gründen im Einzelnen: OVG NRW, Urteile vom 21. Februar 2017 - 14 A 2316/16.A -, juris, Rdnr. 28 ff., vom 4. Mai 2017 - 14 A 2023/16.A -, juris, Rdnr. 30 ff., vom 7. Februar 2018 - 14 A 2390/16.A -, juris, Rdnr. 34 ff., und vom 13. März 2020 - 14 A 2778/17.A -, juris, Rdnr. 33 ff.; Beschluss vom 13. Juni 2023 – 14 A 156/19.A -, juris, Rdnr. 50 ff.).
Daran hält der Senat fest. Das klägerische Vorbringen und das angefochtene Urteil geben keine Veranlassung zu einer veränderten Bewertung. Es gibt keine belastbaren Erkenntnisse, dass das syrische Regime Flüchtlingen pauschal eine oppositionelle Gesinnung unterstellt, und dies ist angesichts einer Zahl von mehreren Millionen Flüchtlingen, die Syrien während des Bürgerkriegs verlassen haben, auch nicht plausibel.
Das Auswärtige Amt führt in seinem neuesten Bericht über die Lage in der Arabischen Republik Syrien aus, Rückkehrende würden vom Regime häufig als "Verräter/innen" deklariert und sähen sich daher oft mit weitreichender systematischer Willkür bis hin zu vollständiger Rechtlosigkeit konfrontiert (vgl. Auswärtiges Amt, Bericht über die Lage in der Arabischen Republik Syrien vom 2. Februar 2024 (Stand: Ende Oktober 2023), S. 18).
Es ist aber nicht ersichtlich, auf welche konkrete Tatsachengrundlage das Auswärtige Amt diese ebenso pauschale wie weitreichende Aussage stützt. Die vom Auswärtigen Amt angeführten Berichte von Amnesty International und Human Rights Watch aus September und Oktober 2021 beruhen auf einer zu schmalen Tatsachengrundlage und sind nicht repräsentativ. [...]
(3) Dem Kläger droht auch nicht deshalb mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit Verfolgung durch den syrischen Staat, weil er aus in der Provinz Hasaka stammt, die zeitweise in weiten Teilen vom Islamischen Staat beherrscht wurde und nunmehr im Wesentlichen von der Demokratischen Selbstverwaltung für Nordost-Syrien kontrolliert wird, die ihrerseits von der kurdischen Partei der Demokratischen Union (PYD) dominiert wird (vgl. hierzu Auswärtiges Amt, Bericht über die Lage in der Arabischen Republik Syrien vom 2. Februar 2024 (Stand: Ende Oktober 2023), S. 7 und 22 f.).
Diese Eigenschaft teilt der Kläger mit einer unübersehbaren Zahl anderer Bürgerkriegsopfer aus den - früher - großen, von Rebellen beherrschten Gebieten. Erkenntnisse für eine Verfolgung dieser Gruppe ohne individuelle verfolgungsbegründende Umstände liegen nicht vor. [...]
Das Auswärtige Amt führt in seinem neuesten Bericht über die Lage in der Arabischen Republik Syrien diesbezüglich aus, eine besondere Gefahr, Ziel staatlicher und von Willkür geprägter Repressionen zu werden, bestehe für alle, die sich in der Vergangenheit (system-) kritisch geäußert oder betätigt oder sich auf andere Weise das Missfallen des Regimes zugezogen hätten. Dies könne nach Einschätzung von Menschenrechtsorganisationen bereits dann der Fall sein, wenn Betroffene in familiären Verbindungen zu vermeintlichen Oppositionellen oder Regimefeinden stünden oder ihre regionale Herkunft (zum Beispiel ehemalige Oppositionsgebiete) dies nahelege (vgl. Auswärtiges Amt, Bericht über die Lage in der Arabischen Republik Syrien vom 2. Februar 2024 (Stand: Ende Oktober 2023), S. 18 f.).
Der Senat teilt die genannte Einschätzung nicht näher bezeichneter Menschenrechtsorganisationen indessen nicht, da sie nicht plausibel ist und den oben wiedergegebenen beobachtbaren Tatsachen widerspricht. [...]
(4) Dem Kläger droht bei einer Rückkehr nach Syrien auch keine Verfolgung durch den syrischen Staat wegen seiner kurdischen Volkszugehörigkeit. Kurden als solche werden vom syrischen Staat nicht verfolgt. [...]
(5) Auch eine Einzelfallbetrachtung ergibt, dass dem Kläger bei einer (hypothetischen) Rückkehr nach Syrien voraussichtlich auch unter Berücksichtigung seiner Wehrdienstentziehung, seiner illegalen Ausreise, Asylantragstellung und seinem langjährigen Aufenthalt im westlichen Ausland, seiner Herkunft aus in der Provinz Hasaka und seiner kurdischen Volkszugehörigkeit keine oppositionelle Haltung von den syrischen Behörden unterstellt werden wird und folglich nicht mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit Verfolgungshandlungen drohen. Der Kläger hat sich in seiner Anhörung durch das Bundesamt als vollkommen unpolitisch dargestellt. Seine damals geäußerte Haltung lässt sich dahingehend zusammenfassen, dass er weder für das Assad-Regime noch für die kurdischen Volksverteidigungseinheiten kämpfen wollte.
bb) Dem Kläger droht schließlich bei einer Rückkehr nach Syrien auch keine Verfolgung durch die kurdische Selbstverwaltung in Nordost-Syrien, weil er sich dem Dienst in den kurdischen Selbstverteidigungseinheiten durch Flucht ins Ausland entzogen hat. [...]
Zuvor sah ein Gesetz aus dem Jahr 2014 vor, dass jede Familie einen "Freiwilligen" im Alter zwischen 18 und 40 Jahren stellen müsse, der für einen Zeitraum von sechs Monaten bis zu einem Jahr in den kurdischen Selbstverteidigungseinheiten (YPG) diene. Laut verschiedenen Menschenrechtsorganisationen soll dieses Gesetz auch mit Gewalt durchgesetzt worden sein (vgl. Auswärtiges Amt, Bericht über die Lage in der Arabischen Republik Syrien vom 2. Februar 2024 (Stand: Ende Oktober 2023), S. 26).
Letzteres entspricht allerdings nicht den Erkenntnissen des Senats aus zahlreichen Asylverfahren kurdischer Männer aus dem Nordosten Syriens. [...]
2. Selbst wenn dem Kläger in Syrien politische Verfolgung drohen würde, hätte er keinen Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft. Dem stünde nämlich die Vorschrift des § 3 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 AsylG entgegen. Nach dieser Vorschrift ist ein Ausländer nicht Flüchtling nach § 3 Abs. 1 AsylG, wenn aus schwerwiegenden Gründen die Annahme gerechtfertigt ist, dass er vor seiner Aufnahme als Flüchtling eine schwere nichtpolitische Straftat außerhalb des Bundesgebietes begangen hat, insbesondere eine grausame Handlung, auch wenn mit ihr vorgeblich politische Ziele verfolgt wurden.
a) Diese Voraussetzungen liegen hier vor. Der Kläger hat vor seiner Aufnahme als Flüchtling außerhalb des Bundesgebiets eine schwere nichtpolitische Straftat begangen, indem er sich als Mitglied einer Schlepperbande daran beteiligte, am ... 2014 ca. ... Personen, am ... 2014 ca. ... Personen, am ... 2014 ca. ... Personen und am ... 2014 ... Personen ... von der Türkei nach Österreich einzuschleppen. [...]
b) Hierdurch hat der Kläger vor seiner Aufnahme als Flüchtling außerhalb des Bundesgebiets eine schwere nichtpolitische Straftat im Sinne des § 3 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 AsylG begangen. Eine schwere Straftat im Sinne der genannten Vorschrift ist ein Kapitalverbrechen oder eine sonstige Straftat, die in den meisten Rechtsordnungen als besonders schwerwiegend qualifiziert ist und entsprechend strafrechtlich verfolgt wird. Sie ist nichtpolitisch, wenn sie überwiegend aus anderen Motiven, etwa aus persönlichen Beweggründen oder Gewinnstreben begangen wird (vgl. BVerwG, Urteil vom 16. Februar 2010 - 10 C 7.09 -, BVerwGE 136, 89 (106 f.), Rdnr. 47 f.).
Bei der Beurteilung, ob es sich um eine schwere Straftat handelt, kommt dem in den strafrechtlichen Vorschriften des betreffenden Mitgliedstaats vorgesehenen Strafmaß eine besondere Bedeutung zu. Darüber hinaus sind für die genannte Beurteilung auch die Art der Straftat, der verursachte Schaden, die Form des zur Verfolgung herangezogenen Verfahrens und die Art der Strafmaßnahme von Bedeutung sowie, ob die fragliche Straftat in den anderen Rechtsordnungen ebenfalls überwiegend als schwere Straftat angesehen wird (vgl. EuGH, Urteil vom 13. September 2018 - C-369/17 -, NVwZ-RR 2019, 119 (121), Rdnr. 55 f. (zu Art. 17 Abs. 1 Buchst. b) der Richtlinie 2011/95/EU)).
Dabei ist entgegen der Ansicht des Verwaltungsgerichts nicht die Vorschrift des § 60 Abs. 8 Satz 1 des Aufenthaltsgesetzes - AufenthG - als Orientierungsrahmen heranzuziehen. Beide Vorschriften haben eine gänzlich unterschiedliche Zielsetzung, die einen Rückgriff auf § 60 Abs. 8 Satz 1 AufenthG im Rahmen des § 3 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 AsylG verbietet. § 3 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 AsylG dient vor allem der Akzeptanz der Bevölkerung des Aufnahmestaats für Flüchtlinge. Diese Akzeptanz würde beeinträchtigt, wenn auch Verbrecher schwerer Straftaten in den Genuss der Flüchtlingseigenschaft kämen. Daneben soll sie verhindern, dass sich die Verbrecher solcher Straftaten ihrer strafrechtlichen Verantwortung entziehen (vgl. EuGH, Urteil vom 9. November 2010 - C 57, 101/09 -, NVwZ 2011, 285 (288), Rdnr. 104; BVerwG, Urteil vom 24. November 2009 - 10 C 24.08 -, BVerwGE 135, 252 (262), Rdnr. 27 und 41).
Demgegenüber dient § 60 Abs. 8 Satz 1 AufenthG der Aufrechterhaltung der Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland und dem Schutz der hier lebenden Bevölkerung vor der Begehung weiterer schwerer Straftaten durch den betreffenden Ausländer [...].
Daher trifft auch nicht zu, was das Verwaltungsgericht in Erwägung gezogen hat, dass die Vorschrift nicht mehr anwendbar wäre, wenn der Täter die wegen der Straftat verhängte Strafe verbüßt hat. Denn der Zweck des § 3 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 AsylG besteht gerade auch darin, schweren Straftätern den Genuss der Flüchtlingseigenschaft zu verwehren, um die Akzeptanz von anerkannten Flüchtlingen in der Bevölkerung des Aufnahmestaats nicht zu gefährden.
Gemessen an den oben genannten Maßstäben handelte es sich bei den vom Kläger begangenen Straftaten um schwere Straftaten im Sinne des § 3 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 AsylG (nachfolgend aa) bis cc)). Sie waren auch nichtpolitisch (dd)) und wurden vom Kläger vor seiner Aufnahme als Flüchtling außerhalb des Bundesgebiets begangen (ee)).
aa) Die vom Kläger begangenen Taten sind gemessen am Strafrecht der Bundesrepublik Deutschland als gewerbs- und bandenmäßiges Einschleusen von Ausländern nach § 97 Abs. 2 AufenthG zu bewerten. [...]
Das banden- und gewerbsmäßige Einschleusen von Ausländern nach § 97 Abs. 2 AufenthG ist auch als besonders schwerwiegende Straftat zu bewerten. Hierfür spricht bereits der Strafrahmen von einem Jahr bis zu zehn Jahren Freiheitsstrafe, der die Tat als Verbrechen im Sinne des § 12 Abs. 1 des Strafgesetzbuchs - StGB - charakterisiert. [...]
bb) Dies ist auch in den meisten Rechtsordnungen der anderen Mitgliedstaaten der Europäischen Union der Fall, nämlich in mindestens 18 von 26. [...]
II. Der Kläger erfüllt auch nicht die Voraussetzungen des § 4 Abs. 1 AsylG (nachfolgend 1.). Außerdem steht der Zuerkennung des subsidiären Schutzes § 4 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 AsylG entgegen (nachfolgend 2.).
1. Nach § 4 Abs. 1 AsylG ist ein Ausländer subsidiär Schutzberechtigter, wenn er stichhaltige Gründe für die Annahme vorgebracht hat, dass ihm in seinem Herkunftsland ein ernsthafter Schaden droht. Als ernsthafter Schaden gilt: 1. die Verhängung oder Vollstreckung der Todesstrafe, 2. Folter oder unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Bestrafung oder 3. eine ernsthafte, individuelle Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit einer Zivilperson infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen bewaffneten Konflikts. Diese Voraussetzungen liegen hier nicht vor. Insbesondere droht dem Kläger in Syrien keine Verletzung seines Lebens oder seiner körperlichen Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt in einem internationalen oder innerstaatlichen bewaffneten Konflikt (nachfolgend a)) oder Folter oder eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Bestrafung (nachfolgend b)).
a) Eine ernsthafte, individuelle Bedrohung des Lebens oder der körperlichen Unversehrtheit im Sinne des § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AsylG ist, wenn gefahrerhöhende individuelle Umstände fehlen, dann gegeben, wenn eine Situation vorliegt, die durch einen so hohen Gefahrengrad gekennzeichnet ist, dass praktisch jede Zivilperson allein aufgrund ihrer Anwesenheit im Zielgebiet der voraussichtlichen Rückkehr des Ausländers einer ernsthaften individuellen Bedrohung ausgesetzt wäre. Um dies feststellen zu können, bedarf es zunächst einer näherungsweisen quantitativen Ermittlung des Tötungs- und Verletzungsrisikos und auf deren Grundlage einer wertenden Gesamtschau zur individuellen Betroffenheit des Ausländers (vgl. BVerwG, Urteil vom 20. Mai 2020 - 1 C 11.19 -, NVwZ 2021, 327 (330), Rdnr. 21).
Individuelle gefahrerhöhende Umstände bestehen in der Person des Klägers nicht. Das Ausmaß willkürlicher Gewalt ist auch weder in seiner Heimatregion, der Provinz Hasaka (nachfolgend aa)), noch in den Nachbarprovinzen Raqqa und Deir Ez-Zor (nachfolgend bb) und cc)) noch in den Provinzen Homs und Damaskus-Land sowie in der Hauptstadt Damaskus, die der Kläger auf seinem Weg vom Flughafen Damaskus zu seinem Heimatort durchqueren müsste (nachfolgend dd) - ff)), noch im übrigen Staatsgebiet der Arabischen Republik Syrien (nachfolgend gg) - nn)) derart hoch, dass er allein aufgrund seiner Anwesenheit in der Provinz Hasaka oder im übrigen Staatsgebiet Syriens einer ernsthaften individuellen Bedrohung für sein Leben oder seine körperliche Unversehrtheit ausgesetzt wäre. [...]
b) Dem Kläger droht schließlich bei einer Rückkehr nach Syrien auch nicht mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit Folter oder eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Bestrafung (§ 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 AsylG). Eine solche droht ihm zunächst nicht wegen Wehrdienstentziehung, illegaler Ausreise aus dem Land, Asylantragstellung und langjährigem Aufenthalt im westlichen Ausland, wegen seiner kurdischen Volkszugehörigkeit oder seiner Herkunft aus ... (siehe oben I.1.b)).
Allerdings besteht die Möglichkeit, dass der Kläger bei einer Rückkehr nach Syrien Opfer eines Erpressungsversuchs durch die syrischen Grenzbeamten würde. [...]
Ob ein solcher Erpressungsversuch auch beim Kläger bei einer Rückkehr nach Syrien über den Flughafen Damaskus erfolgen und darüber hinaus auch mit einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung einhergehen würde, vermag der Senat indes nicht mit der erforderlichen beachtlichen Wahrscheinlichkeit zu prognostizieren. [...]
2. Selbst wenn dem Kläger bei einer Rückkehr nach Syrien eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung drohen würde, könnte ihm der subsidiäre Schutzstatus nicht zuerkannt werden. Nach § 4 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 AsylG ist ein Ausländer von der Zuerkennung subsidiären Schutzes nach § 4 Abs. 1 AsylG ausgeschlossen, wenn schwerwiegende Gründe die Annahme rechtfertigen, dass er eine schwere Straftat begangen hat. Dies ist beim Kläger der Fall (siehe oben I.2.b)). [...]
V. Die Revision ist nicht nach § 132 Abs. 2 VwGO zuzulassen, weil ein dort genannter Zulassungsgrund nicht vorliegt.
Die Zulassung der Revision nach § 78 Abs. 8 Satz 1 AsylG steht im Ermessen des Oberverwaltungsgerichts. Der Senat übt sein Ermessen dahingehend aus, dass die Zulassung unterbleibt. Der Senat sieht keinen Klärungsbedarf der hier potentiell fallübergreifenden Tatsachenfragen der Verfolgung eines Kurden, der seinen Wehrdienst bereits abgeleistet hatte, aus dem Nordosten Syriens durch den syrischen Staat oder durch die kurdische Selbstverwaltung in Nordost-Syrien durch das Bundesverwaltungsgericht. Die Frage, ob Syrer noch die Voraussetzungen des § 4 Abs. 1 AsylG für die Zuerkennung subsidiären Schutzes erfüllen, könnte im vorliegenden Fall durch das Bundesverwaltungsgericht nicht geklärt werden, da der Kläger jedenfalls von der Zuerkennung des subsidiären Schutzes nach § 4 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 AsylG ausgeschlossen ist. [...]