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VG Düsseldorf

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Zitieren als:
VG Düsseldorf, Urteil vom 26.06.2024 - 20 K 5976/23.A - asyl.net: M32608
https://www.asyl.net/rsdb/m32608
Leitsatz:

Flüchtlingseigenschaft für homosexuellen Mann aus dem Irak:

Im Irak kommt es regelmäßig zu Übergriffen auf LGBTIQ-Personen. Verfolgungshandlungen gehen auch vom Staat und Parteien oder Organisationen, die den Staat oder einen wesentlichen Teil des Staatsgebiets beherrschen, im Sinne des § 3c Nr. 1 und Nr. 2 AsylG aus. Jedenfalls sind diese nicht willens, Schutz vor Verfolgung zu bieten. Die Lage von LGBTIQ-Personen stellt sich landesweit gleich dar. 

(Leitsätze der Redaktion, Siehe auch m.w.N.: VG Leipzig, Urteil vom 10.01.2023 - 8 K 575/22.A - asyl.net: M31361)

Schlagwörter: Irak, homosexuell, Homosexualität, LSBTI, LGBTIQ
Normen: AsylG § 3 Abs. 1 Nr. 1, AsylG § 3b Abs. 1 Nr. 4, AsylG § 3a Abs. 1, AsylG § 3a Abs. 2
Auszüge:

[...]

Die vom Kläger glaubhaft dargelegte Homosexualität begründet das Verfolgungsmerkmal der Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe im Sinne des § 3 Abs. 1 Nr. 1 AsylG. Wie § 3b Abs. 1 Nr. 4 AsylG ergänzend dazu bestimmt, kann als eine bestimmte soziale Gruppe auch eine Gruppe gelten, die sich auf das gemeinsame Merkmal der sexuellen Orientierung gründet. Dazu gehört die Homosexualität. Dass dem Kläger aufgrund seines Verfolgungsmerkmals der Homosexualität Verfolgungshandlungen im Sinne des § 3a Abs. 1, Abs. 2 AsylG drohen, ergibt sich aus den dem Gericht vorliegenden Erkenntnisquellen. Allein der Lagebericht des Auswärtigen Amtes vom 5. Juni 2024 führt hierzu aus (Seite 17 f.):

"Fragen der sexuellen (LGBQTI-) Orientierung oder der Geschlechtsidentität sind tabuisiert und werden von weiten Teilen der Bevölkerung als unvereinbar mit Religion und Kultur abgelehnt. Es kommt regelmäßig zu gewalttätigen Übergriffen auf LGBTQI-Personen. Am 27. April 2024 beschloss das irakische Parlament die Anpassung des sog. Anti-Prostitutionsgesetzes von 1988, wonach ab Inkrafttreten dieser Gesetzesanpassungen homosexuelle Handlungen in Irak strafbar sind und künftig mit bis zu 15 Jahren Freiheitsentzug bestraft werden können. Die Gesetzesanpassungen enthält auch weitere hohe Strafen im Kontext LGBTQI. Das Gesetz impliziert auch Verfolgungsmöglichkeiten für NGOs, die sich in diesem Bereich engagieren. (...)

In der Lebensrealität von LGBTQI wird sich durch das neue Gesetz kaum etwas ändern, es bestand schon immer ein hohes Risiko sozialer Ächtung und körperlicher Gewalt bis hin zu "Ehrenmorden". LGBTQI-Personen leben ihre Sexualität daher meist gar nicht oder nur heimlich aus und sehen sich Diskriminierung und sozialer Ausgrenzung ausgesetzt. Die Anzahl privat Schutzinitiativen ist sehr beschränkt.

(...) Human Rights Watch kritisiert eine fehlende Strafverfolgung bei Straftaten gegen LGBTQI-Personen und sieht eine Verstrickung der PMF-Milizen in homo- und transphobe Übergriffe. 2016 bis 2022 seien die PMF Milizen für acht Entführungen, acht versuchte Morde, vier extralegale Tötungen, 27 sexuelle Gewalttaten, 45 Drohungen und 42 Rufschädigungskampagnen im Internet verantwortlich gewesen."

Aus den vorliegenden Erkenntnisquellen ergibt sich auch, dass derartige Verfolgungshandlungen in Einzelfällen sogar durch den Staat, von Parteien oder Organisationen im Sinne des § 3c Nr. 1 und Nr. 2 AsylG ausgehen können. Jedenfalls ergibt sich aus der vorzitierten Erkenntnisquelle, dass der Staat, Parteien oder Organisationen im Sinne der § 3c Nr. 1 und Nr. 2, § 3d Abs. 1 AsylG nicht willens sind, Schutz vor Verfolgungshandlungen nichtstaatlicher Akteure im Sinne der §§ 3c Nr. 3, 3d AsylG zu bieten. Dem Kläger steht auch kein die Flüchtlingseigenschaft ausschließender interner Schutz im Sinne des § 3e AsylG im Irak offen, weil die vorliegenden Erkenntnisquellen keinen Hinweis darauf enthalten, dass sich die Lage der Homosexuellen in bestimmten Landesteilen günstiger darstellte. Von dem Kläger kann schließlich auch nicht verlangt werden, dass er seine Homosexualität bei einer Rückkehr in sein Heimatland geheim hält, um die Gefahr einer Verfolgung zu vermeiden [...], zumal er seine Sexualität nach seinen glaubhaften Angaben in der mündlichen Verhandlung zwischenzeitlich offen auslebt. [...]