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OVG Niedersachsen

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Zitieren als:
OVG Niedersachsen, Beschluss vom 18.04.2024 - 13 ME 31/24 - asyl.net: M32692
https://www.asyl.net/rsdb/m32692
Leitsatz:

Aufenthaltserlaubnisse, die kraft Gesetzes zur Ausübung einer Beschäftigung berechtigen, sind von § 9 BeschV nicht erfasst:

Trotz der Änderungen durch das Fachkräfteeinanderungsgesetz (vom 15. August 2019, BGBl. I S. 1307), durch die ein Paradigmenwechsel hin zu grundsätzlichen Erlaubnis der Ausübung einer Erwerbstätigkeit vollzogen wurde, und trotz der Änderung des § 9 BeschV (Streichung der Worte "eine Blaue Karte EU oder") durch das Gesetz zur Weiterentwicklung der Fachkräfteeinwanderung (vom 16. August 2023, BGBl. I Nr. 217) ist eine Auslegung des Begriffs "Aufenthaltserlaubnis" in § 9 BeschV weiterhin einschränkend vorzunehmen. Diese einschränkende Auslegung bedeutet, dass von dem Begriff "Aufenthaltserlaubnis" im Sinne des § 9 Abs. 1 BeschV Aufenthaltserlaubnisse, die kraft Gesetzes zur Ausübung einer Beschäftigung berechtigen, entgegen dem offenen Wortlaut der Bestimmung nicht erfasst sind.

(Leitsätze der Redaktion)

Schlagwörter: Aufenthaltstitel, Aufenthaltserlaubnis, Arbeitserlaubnis, Erwerbstätigkeit,
Normen: BeschV § 9, AufenthG § 4a
Auszüge:

[...]

Die Zustimmung der Beigeladenen ist auch nicht ausnahmsweise nach § 39 Abs. 1 Satz 1 AufenthG in Verbindung mit § 9 BeschV entbehrlich. Der Senat teilt die Auffassung des Verwaltungsgerichts in der angefochtenen erstinstanzlichen Entscheidung [...], dass der Antragsteller zwei Jahre rechtmäßig eine versicherungspflichtige Beschäftigung im Bundesgebiet ausgeübt hat (§ 9 Abs. 1 Nr. 1 BeschV). Anders als das Verwaltungsgericht ist für den Senat aber nicht offen, ob der Antragsteller eine "Aufenthaltserlaubnis" im Sinne des § 9 Abs. 1 BeschV besitzt. Vielmehr steht für den Senat bei der in diesem Verfahren vorläufigen Rechtsschutzes nur gebotenen summarischen Prüfung fest, dass die vom Antragsteller zuletzt seit dem 22. Oktober 2019 innegehabte Aufenthaltserlaubnis nach § 28 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AufenthG [...], die den Antragsteller gemäß § 27 Abs. 5 AufenthG a.F. bzw. § 4a Abs. 1 Satz 1 AufenthG kraft Gesetzes zur Ausübung einer Beschäftigung berechtigte, keine "Aufenthaltserlaubnis" im Sinne des § 9 Abs. 1 BeschV ist.

Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts [...] ist der Begriff "Aufenthaltserlaubnis" im Sinne des § 9 Abs. 1 BeschV einschränkend dahin auszulegen, dass Aufenthaltserlaubnisse, die kraft Gesetzes zur Ausübung einer Beschäftigung berechtigen, entgegen dem offenen Wortlaut der Bestimmung nicht erfasst sind: [...]

Entgegen der Auffassung des Verwaltungsgerichts in der angefochtenen erstinstanzlichen Entscheidung [...] bestehen für den Senat keine Anhaltspunkte dafür, dass die nachfolgenden Änderungen des Aufenthaltsgesetzes, insbesondere durch das Fachkräfteeinwanderungsgesetz vom 15. August 2019 [...] und das Gesetz zur Weiterentwicklung der Fachkräfteeinwanderung vom 16. August 2023 [...], und auch die Änderungen der Beschäftigungsverordnung, insbesondere durch die Verordnung zur Weiterentwicklung der Fachkräfteeinwanderung vom 30. August 2023 [...], das gefundene Auslegungsergebnis beeinflussen und zu einem anderen, weiteren Verständnis des Begriffs "Aufenthaltserlaubnis" im Sinne des § 9 Abs. 1 BeschV führen könnten.

Der mit dem Fachkräfteeinwanderungsgesetz vollzogene Paradigmenwechsel bei der Erlaubnis der Ausübung einer Erwerbstätigkeit durch Ausländer [...] ist für die Auslegung des § 9 Abs. 1 BeschV unergiebig [...]. Denn die die Auslegung maßgeblich bestimmenden Parameter, einerseits dass das Aufenthaltsgesetz zwischen Aufenthaltstiteln differenziert, die kraft Gesetzes zur Ausübung einer Erwerbstätigkeit berechtigen [...], und Aufenthaltstiteln, bei denen die Ausübung einer Beschäftigung einer ausdrücklichen Erlaubnis der Ausländerbehörde bedarf [...], und andererseits dass § 9 BeschV systematisch und teleologisch nur an eine Verfestigung des Arbeitsmarktzugangs nach oder aufgrund einer behördlichen Zulassung anknüpft und nur diese privilegieren will, sind als solche unverändert geblieben. Anhaltspunkte dafür, dass der Gesetzgeber mit dem Paradigmenwechsel und mit der Ausweitung des Kreises von Aufenthaltstiteln, die kraft Gesetzes zur Ausübung einer Erwerbstätigkeit berechtigen, auch den bisherigen, durch die dargestellte Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts konkretisierten Regelungsgehalt des § 9 BeschV signifikant ändern wollte, sind für den Senat nicht ersichtlich [...].

Der Bundesgesetzgeber hat in Art. 51 des Fachkräfteeinwanderungsgesetzes zugleich selbst für notwendig erachtete Folgeänderungen in der Beschäftigungsverordnung vorgenommen und so diese Verordnung an die Änderungen im Aufenthaltsgesetz angepasst [...]. Hätte er § 9 BeschV signifikant ändern und dessen bisherigen, durch die dargestellte Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts konkretisierten Regelungsgehalt deutlich erweitern und damit der Vorschrift eine völlig neue Bedeutung bei der Aufenthaltsverfestigung beimessen wollen, wäre zu erwarten gewesen, dass er dies in einem geänderten Verordnungstext, jedenfalls aber in der Begründung deutlich macht und nicht - bei Anpassung der Beschäftigungsverordnung im Übrigen an die Änderungen des Aufenthaltsgesetzes - die bestehende Norm unverändert beibehält.

Mit der Verordnung zur Weiterentwicklung der Fachkräfteeinwanderung vom 30. August 2023 ist - infolge der Änderungen durch das Gesetz zur Weiterentwicklung der Fachkräfteeinwanderung vom 16. August 2023 - die Beschäftigungsverordnung erneut überarbeitet worden, um die Weiterentwicklung der rechtlichen Regelungen zur gezielten und gesteuerten Zuwanderung von Fachkräften aus Drittstaaten zu stärken und so einen Beitrag zu einem nachhaltigen gesellschaftlichen Wohlstand zu leisten [...]. Durch Art. 1 Nr. 1 der Verordnung zur Weiterentwicklung der Fachkräfteeinwanderung sind unter anderem in § 9 Abs. 1 BeschV die Wörter "eine Blaue Karte EU oder" gestrichen worden, da sich Regelungen zum Arbeitsplatzwechsel für Inhaber einer Blauen Karte EU nach den Änderungen durch das Gesetz zur Weiterentwicklung der Fachkräfteeinwanderung - in Umsetzung der Richtlinie (EU) 2021/1883 - künftig allein in § 18g Abs. 4 AufenthG finden [...]. Hierin eine bloße formale Änderung zu sehen, greift aber ersichtlich zu kurz. Der Verordnungsgeber hat sich vielmehr ersichtlich mit der Regelungssystematik und der privilegierenden Wirkung des § 9 BeschV befasst und die Anwendbarkeit dieser Regelung in bestimmten Fallgestaltungen ausdrücklich ausgeschlossen [...]. Dass der Verordnungsgeber sich dabei des bisherigen, durch die dargestellte Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts konkretisierten Regelungsgehalts nicht bewusst gewesen sein soll, ist fernliegend. Dies gilt umso mehr, als dass der eingeschränkte Anwendungsbereich des § 9 BeschV im Rechtssetzungsverfahren der Verordnung zur Weiterentwicklung der Fachkräfteeinwanderung ausdrücklich erörtert worden ist. So hat der Ausschuss für Arbeit, Integration und Soziales des Bundesrats empfohlen, den Anwendungsbereich zu erweitern [...] - Wegfall der Zustimmungsprüfung der Agentur für Arbeit bei länger aufhältigen Personen - sollte nicht mehr länger limitiert werden. Die Zustimmungsprüfung hat den Zweck, prekäre Arbeitsverhältnisse sowie Lohndumping zu vermeiden. Personen, die schon länger in Deutschland arbeiten, kennen die Bedingungen des Arbeitsmarktes und können auf ihre Rechte achte. Das Regelsystem der Arbeitsverwaltung berät und unterstützt anlassbezogen. ... Weiter hätte eine Globalerlaubnis nach einer zweijährig ausgeübten versicherungspflichtigen Beschäftigung weniger Verwaltungsaufwand zur Folge, sowohl für die Ausländerdienststellen, als auch für die Bundesagentur für Arbeit."), konnte sich aber mit dieser Empfehlung nicht durchsetzen. [...]