Feststellung eines Abschiebungsverbotes wegen medikationspflichtiger Hepatitis B-Erkrankung:
1. Das Medikament Tenofovir zur Behandlung von Hepatitis B ist in Gambia nicht erhältlich. Es kann lediglich über spezialisierte Apotheken zu monatlichen Kosten von 900 € importiert werden. Diese Kosten können selbst unter der Annahme einer Beschäftigung als Tagelöhner nicht erwirtschaftet werden.
2. Der Asylfolgeantrag eines nicht anwaltlich vertretenen Asylsuchenden, der in seiner Begründung ausschließlich auf die Feststellung von Abschiebungsverboten abzielt, ist durch Auslegung als einfacher Wiederaufgreifensantrag zu werten und kann dann nicht als unzulässiger Folgeantrag gem. § 29 Abs. 1 Nr. 5 AsylG abgelehnt werden.
(Leitsätze der Redaktion)
[...]
1. Die Ablehnung des Asylantrags als unzulässig nach § 29 Abs. 1 Nr. 5 AsylG in Ziffer 1 des angefochtenen Bescheides ist rechtswidrig. Gemäß § 29 Abs. 1 Nr. 5 AsylG ist ein Asylantrag unzulässig, wenn im Falle eines Folgeantrags nach § 71 oder eines Zweitantrags nach § 71a ein weiteres Asylverfahren nicht durchzuführen ist.
Diese Voraussetzungen liegen nicht vor. Denn der Kläger hat keinen Folgeantrag nach § 71 AsylG, sondern lediglich einen isolierten Wiederaufgreifensantrag zu § 60 Abs. 5 und 7 AufenthG gestellt. Zwar hat er in seinem Schreiben vom 5. Juli 2022 auch die erneute Durchführung eines Asylverfahrens beantragt. Allerdings hat er zugleich beantragt festzustellen, dass ein Abschiebungsverbot gemäß § 60 Abs. 5 und Abs. 7 AufenthG vorliegt und hat inhaltlich – sowohl schriftlich als auch in der persönlichen Anhörung – ausschließlich krankheitsbedingte Abschiebungsverbote geltend gemacht. Zudem war er anwaltlich nicht vertreten und das Bundesamt selbst hat während des Verfahrens angenommen, dass es sich um einen Wiederaufgreifensantrag handle [...].
2. Weiter hat der Kläger einen Anspruch auf die Feststellung eines nationalen Abschiebungsverbots gemäß § 60 Abs. 5 AufenthG bezüglich Gambia, so dass die Ziffer 2 des angefochtenen Bescheides aufzuheben ist. [...]
Das Festhalten an der negativen Entscheidung der Beklagten würde vorliegend namentlich im Hinblick auf ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 5 AufenthG und Art. 3 EMRK zu einem schlechthin unerträglichen Ergebnis führen. Der Kläger hat in Anbetracht seiner individuellen Situation und der im Falle der Rückkehr zu erwartenden Lebensbedingungen in Gambia Anspruch auf Feststellung eines nationalen Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 5 AufenthG. Es besteht mithin das tatsächliche Risiko, dass dem Kläger in Gambia aufgrund seiner Erkrankungen und eines fehlenden familiären oder sozialen Netzwerks eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung droht. [...]
Trotz einiger Fortschritte ist in Gambia keine flächendeckende medizinische Grundversorgung verfügbar. Die Pandemie des Coronavirus SARS-CoV-2 hat die Schwächen des gambischen Gesundheitssystems vor Augen geführt, wobei seit Ausbruch der Krise die Bestrebungen zur Verbesserung des Gesundheitssystems mit Unterstützung internationaler Geber wie der EU intensiviert wurden. Große Herausforderungen im Gesundheitsbereich bleiben eine hohe Mütter- und Kindersterblichkeitsrate, der Kampf gegen Malaria, Atemwegsinfektionen, Tuberkulose und HIV/Aids. Ebenfalls problematisch gestaltet sich die hohe Hepatitis-B-Infektionsrate. Erfolgreiche Programme zur Aidsbekämpfung sorgten dafür, dass die Aids-Rate in Gambia rückläufig ist und niedriger als im weltweiten Durchschnitt liegt. Auch das Malaria-Kontroll-Programm Gambias gilt als vorbildlich für ganz Westafrika. Sämtliche Bevölkerungsgruppen haben Zugang zu allen staatlichen Krankenhäusern, Kliniken oder Krankenstationen. Jeder Patient hat eine Konsultationsgebühr von mindestens 0,5 USD bzw. 5 USD für größere Eingriffe zu entrichten. Patienten mit Krankheiten mit Relevanz für die öffentliche Gesundheit, wie z.B. Tuberkulose oder HIV/Aids, sind von allen Gebühren befreit. Behandlung und Medikamente sind, soweit vorhanden, generell kostenlos. Es existiert eine staatliche psychiatrische Einrichtung, in der es allerdings oft an Medikamenten und gelegentlich an Lebensmitteln fehlt. Die Einrichtung wird von kubanischen Ärzten betreut, die nicht ständig anwesend sind. Die Versorgung mit Medikamenten ist über Apotheken möglich (vgl. Österreichische Botschaft Dakar: Asylländerbericht Gambia, April 2023, S. 37 ff.; Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschieberelevante Lage in der Republik Gambia, 01.12.2023, S. 14; VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 24.04.2024 - A 13 S 1931/23 - juris Rn. 52). [...]
Das vom Kläger benötigte Medikament Tenofovir ist in Gambia grundsätzlich nicht erhältlich (vgl. Auswärtiges Amt, Auskunft an das VG Karlsruhe vom 22.09.2020; Österreichisches Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, Anfragebeantwortung der Staatendokumentation, Gambia – Hepatitis B, 03.05.2015). Es kann lediglich über spezialisierte Apotheken aus dem Ausland importiert werden, wobei eine Monatsdosis etwa 900 € kostet (vgl. Auswärtiges Amt, Auskunft an das VG Karlsruhe vom 22.09.2020). Dem steht nicht entgegen, dass die Beklagte auf eine Auskunft verweist, wonach Tenofovir in einer privaten Einrichtung erhältlich sei (vgl. MedCoi, AVA 16106, Auskunft vom 08.09.2022). Denn dies steht nicht im Widerspruch zu den zuvor zitierten Erkenntnisquellen und es besagt nichts über die Kosten des Medikaments. Es ist nicht davon auszugehen, dass sich die Kosten seit der Auskunft des Auswärtigen Amts vom 22.09.2020 deutlich verringert haben. Dass der Kläger sich derartige regelmäßige Bestellungen aus dem Ausland auf eigene Kosten leisten könnte, erscheint ausgeschlossen. Selbst wenn der Kläger ein Einkommen als Tagelöhner erwirtschaften könnte, würde dies nicht für die monatlichen Kosten des Medikaments ausreichen. Ein tragfähiges familiäres Netzwerk, auf das er für die Finanzierung zurückgreifen könnte, existiert nicht. [...]