VG Berlin

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Zitieren als:
VG Berlin, Beschluss vom 20.09.2024 - 9 L 542/24 A - asyl.net: M32774
https://www.asyl.net/rsdb/m32774
Leitsatz:

Grundsätzlich keine menschenrechtsverletzenden Bedingungen für Schutzberechtigte in Griechenland:

Es ist grundsätzlich nicht zu erwarten, dass die Lebensverhältnisse, die anerkannt Schutzberechtigte in Griechenland nach einer Rückkehr dorthin erwarten würden, sie der ernsthaften Gefahr aussetzen würden, eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung nach Art. 4 GRC bzw. Art. 3 EMRK zu erfahren. Insbesondere ist ein Verweis auf Erwerbstätigkeiten in der sogenannten Schattenwirtschaft zulässig.

(Leitsätze der Redaktion)

Schlagwörter: Griechenland, internationaler Schutz in EU-Staat, Schattenwirtschaft, unmenschliche und erniedrigende Behandlung, Unzulässigkeit,
Normen: AsylG § 29 Abs. 1; EMRK Art. 3
Auszüge:

[...]

19 a) Es ist grundsätzlich nicht zu erwarten, dass die Lebensverhältnisse, die anerkannt Schutzberechtigte in Griechenland nach einer Rückkehr dorthin erwarten würden, sie der ernsthaften Gefahr aussetzen würden, eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung nach Art. 4 GRC bzw. Art. 3 EMRK zu erfahren. [...]

21 bb) Jedenfalls bei Personen, die – wie der Antragsteller – im Besitz einer Aufenthaltserlaubnis sind, ist nicht davon auszugehen, dass sie im Falle einer Rückkehr nach Griechenland mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit obdachlos werden. Insoweit kommt die Kammer nach Auswertung der aktuellen Erkenntnisse zu einer abweichenden Einschätzung als der, die sie auf Grundlage der zuvor vorliegenden Erkenntnisse hatte (vgl. dazu etwa Urteil vom 6. März 2024 – 9 K 334/23 A).

22 Nach den nunmehr vorliegenden Erkenntnissen sind derzeit nur bis zu 5 Prozent der anerkannt Schutzberechtigten in Griechenland tatsächlich obdachlos. Daraus lässt sich die beachtliche Wahrscheinlichkeit einer Obdachlosigkeit nicht ableiten. Dies gilt ungeachtet der weiterhin geltenden Annahme, dass anerkannt Schutzberechtigte wegen fehlender staatlicher Wohnraumangebote, sei es in Form von Wohnungen oder in Form von Unterstützungsleistungen, auf den freien Wohnungsmarkt oder sonstige Angebote von Wohnraum verwiesen sind (vgl. nunmehr auch VGH Kassel, Urteil vom 6. August 2024 – 2 A 1131/24.A – juris; sehr ausführlich und unter intensiver Auseinandersetzung mit einer Vielzahl von Erkenntnissen auch VG Hamburg, Urteil vom 15. August 2024 – 12 A 3228/24 – juris). [...]

29 cc) Es ist darüber hinaus davon auszugehen, dass zurückkehrende anerkannte Schutzberechtigte zur Sicherung ihres Lebensunterhalts jedenfalls teilweise auf zumutbare Weise durch eigene Erwerbstätigkeit beitragen können. [...]

31Die Chancen auf Erwerbstätigkeit sind nach den vorliegenden Erkenntnissen sehr unterschiedlich zu bewerten, je nachdem in welchen Regionen Griechenlands sich die anerkannt Schutzberechtigten aufhalten und ob die Tätigkeit auf legalem Wege aufgenommen wird oder in der sogenannten "Schattenwirtschaft" erfolgt. Insbesondere in ländlichen Regionen ist die Chance, eine Arbeit zu finden, ausweislich der vorliegenden Erkenntnisse gut [...]. Insoweit ist auch zu berücksichtigen, dass die Arbeitslosenquote in Griechenland in den letzten Jahren stark gesunken ist und diese Tendenz sich in den kommenden Jahren fortsetzen soll [...]. Auch ungeachtet dessen ist allerdings der Anteil der nicht steuerpflichtig Beschäftigten hoch [...]. Zumeist finden anerkannt Schutzberechtigte Arbeit über ihre sozialen Netzwerke und nicht über staatliche Unterstützungsprogramme [...].

33 Danach ist die Aufnahme einer Erwerbstätigkeit in Griechenland für rückkehrende anerkannt Schutzberechtigte möglich. Dass sie möglicherweise auf eine Tätigkeit in der sogenannten Schattenwirtschaft verwiesen sein werden, führt nicht zur Annahme einer Verletzung ihrer Rechte aus Art. 4 GRC. Nach den oben dargestellten Maßstäben überschreitet die Angewiesenheit auf eine Tätigkeit in der Schattenwirtschaft die für die Annahme einer Verletzung der Rechte aus Art. 4 GRC maßgebliche Schwelle nicht, sofern die Tätigkeit nicht die Gefahr einer straf- oder ordnungsrechtlichen Verfolgung begründet. Das Gericht schließt sich der in der Rechtsprechung teilweise vertretenen Ansicht, der Verweis auf illegale Tätigkeiten in der Schattenwirtschaft widerspreche dem Grundsatz der Einheit der Rechtsordnung und sei deshalb unzulässig, nicht an [...]. Denn auch die Regelungen für die Zuständigkeit der Mitgliedstaaten für die Prüfung der Anträge auf Zuerkennung internationalen Schutzes sind Teil der (europäischen) Rechtsordnung und ein Überwiegen des rechtlichen Ziels der Bekämpfung von Schwarzarbeit jedenfalls dort nicht ersichtlich, wo – wie in Griechenland – der Anteil der Schattenwirtschaft nahezu ein Fünftel der Gesamtwirtschaft ausmacht [...]. Dass Tätigkeiten in der sogenannten Schattenwirtschaft aufgrund hoher Verfolgungsgefahren nicht möglich seien, ist auch ausweislich der von der ETH Zürich und der UCL ermittelten Zahlen zur tatsächlichen Tätigkeit anerkannt Schutzberechtigter in Griechenland nicht anzunehmen.

34 dd) Können anerkannt Schutzberechtigte ihre Bedürfnisse in Griechenland mit Hilfe eigener Erwerbstätigkeit nicht befriedigen, haben sie grundsätzlich genauso wie griechische Staatsbürger Zugang zu staatlichen Sozialhilfeleistungen [...]

36 ee) Sonstige Unterstützung wird anerkannt Schutzberechtigten unter anderem in sogenannten Migrationsintegrationszentren ("KEM") in zehn Gemeinden in Griechenland gewährt. [...]

37ff) Anerkannt Schutzberechtigte haben darüber hinaus grundsätzlich Zugang zum Gesundheitswesen wie griechische Staatsangehörige (aida 2023 Update, S. 278). [...]