Anspruch auf Gewährung subsidiären Schutzes bei drohender Zwangsrekrutierung:
1. Es liegen stichhaltige Gründe für die Annahme vor, dass Grundwehrdienstpflichtigen in den russischen Streitkräften die Entsendung zu Kampfhandlungen in die Ukraine droht. Wegen der daraus resultierenden zwangsweisen Teilnahme an einem völkerrechtswidrigen Angriffskrieg ergibt sich eine Gefahr für Leib und Leben.
2. Es ist grundsätzlich zu kritisieren, dass die Antragsgegnerin annimmt, dass es unwahrscheinlich sei, als Vertragssoldat oder aufgrund Weisung von Kadyrow zum Kriegseinsatz herangezogen zu werden, und Folgeanträge systematisch ablehnt, gleichzeitig aber politisch und rechtlich zutreffend von einem völkerrechtswidrigen Angriffskrieg gegen die souveräne Ukraine ausgeht. Denn liegt zweifellos ein völkerrechtswidriger Angriffskrieg vor, begründet auch die Heranziehung zu diesem völkerrechtswidrigen Krieg zumindest die Voraussetzungen des subsidiären Schutzes nach § 4 Abs. 1 AsylG.
(Leitsätze der Redaktion, unter Bezug auf: VG Berlin, Urteil vom 11.08.2023– 12 K 48/23 A)
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Zu Recht beruft sich der Kläger auf die beachtliche Wahrscheinlichkeit, bei einer Rückkehr in die Russische Föderation zum Kriegseinsatz in der Ukraine zwangsrekrutiert zu werden. Er hat deshalb zwar
keinen Anspruch auf die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft gemäß § 3 AsylG. Ihm steht jedoch ein Anspruch auf Gewährung subsidiären Schutzes gemäß § 4 AsylG zu. [...]
Wegen der ihm mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit drohenden Zwangsrekrutierung zum Kriegseinsatz in der Ukraine hat der Kläger hingegen einen Anspruch auf Gewährung des subsidiären Schutzes nach § 4 Abs. 1 AsylG. [...]
Es liegen stichhaltige Gründe vor, wonach ihm bei einer Abschiebung in die Russische Föderation die ernsthafte Gefahr einer unmenschlichen Behandlung und ein ernsthafter Schaden droht, da er als Grundwehrdienstpflichtiger anzusehen ist [...].
Der Kläger hat mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit eine Einziehung zum Grundwehrdienst in den russischen Streitkräften und die Entsendung zu Kampfhandlungen in die Ukraine zu befürchten, woraus sich wegen der hieraus resultierenden zwangsweisen Teilnahme an einem völkerrechtswidrigen Angriffskrieg und Gefahr für Leib und Leben eine unmenschliche und erniedrigende Behandlung im Sinne des § 4 Abs. 1 Satz 2
Nr. 2 AsylG ergibt [...]
Der Antragsteller ist derzeit 28 Jahre alt und damit im wehrpflichtigen Alter. Soweit die Antragsgegnerin auf Seite 8, 2. Absatz des streitbefangenen Bescheides davon auszugehen scheint, der Antragsteller sei Reservist, gilt das Gleiche. Der Antragsteller unterliegt damit der Mobilmachung und hat unstreitig einen Einberufungsbefehl erhalten. An der Echtheit des Dokuments scheint die Antragsgegnerin keine Zweifel zu hegen und muss auch vom Gericht im Eilverfahren mangels offensichtlicher Fälschungsmerkmale nicht hinterfragt werden. [...]
Es muss in diesem Zusammenhang grundsätzlich kritisiert werden, dass die Antragsgegnerin durch das handelnde Bundesamt von einer unwahrscheinlichen Heranziehung zum Kriegseinsatz, als Vertragssoldat oder aufgrund Weisung von Kadyrow ausgeht und Folgeanträge damit systematisch ablehnt. Gleichzeitig geht die Antragsgegnerin aber politisch und rechtlich zutreffend von einem völkerrechtswidrigen Angriffskrieg gegen die souveräne Ukraine aus. In diesem Sinne wird auch objektiv zutreffend in den deutschen Medien berichtet, und die Ukraine wird militärisch unterstützt. Bekanntlich ist die Russische Föderation kein demokratischer Rechtsstaat und wird von Präsident Wladimir Putin autokratisch geführt und regiert [...]. Rechtsstaatliche Rechtsbehelfe und Rechtsmittel gegen die Heranziehung zum Militärdienst sind in der Russischen Föderation ausgeschlossen. Zur russischen Kriegsführung und - taktik gehört es, gewaltige Massen an Soldaten an die Front zu schicken, wobei Menschenverluste aufgrund des riesigen russischen menschlichen Potenzials billigend in Kauf genommen werden.
Somit scheinen die politische und völkerrechtliche Einordnung der Antragsgegnerin mit ihrer asylrechtlichen Bewertung nicht im Einklang zu stehen. Dies ist aber unglaubhaft und asylrechtlich rechtswidrig. Denn liegt zweifellos ein völkerrechtswidriger Angriffskrieg vor, begründet auch die Heranziehung zu diesem völkerrechtswidrigen Krieg zumindest die Voraussetzungen des subsidiären Schutzes nach § 4 Abs. 1 AsylG.
Denn die Heranziehung zum Kriegsdienst ist entgegen der im Bescheid sklavisch vertretenen Begründung nach den o.g. Ausführungen wahrscheinlich. Die Ablehnung eines Folgeantrages als unzulässig, mit der Begründung es liege kein neuer Sachverhalt vor, ist jedenfalls rechtlich unzutreffend.“ [...]