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VG Kassel

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Zitieren als:
VG Kassel, Urteil vom 25.09.2024 - 1 K 768/20.KS.A - asyl.net: M32797
https://www.asyl.net/rsdb/m32797
Leitsatz:

Keine unmenschliche Behandlung in Malta für Anerkannte:

1. Die Lebensbedingungen für anerkannt Schutzberechtigte sind zwar schwieriger als in Deutschland. Sie erreichen jedoch nicht die Schwelle zur unmenschlichen, erniedrigenden Behandlung.

2. Es ist nicht wahrscheinlich, dass die betroffene Frau ihrem gewalttätigen Ehemann in Malta zufällig begegnet. Wenn sie Schutz gegen ihn benötigt, kann sie sich an die Behörden Maltas wenden.

(Leitsätze der Redaktion)

Schlagwörter: Malta, internationaler Schutz in EU-Staat,
Normen: EMRK Art. 3, GR-Charta Art. 4, AufenthG § 60 Abs. 5
Auszüge:

[...]

Das Gericht ist dabei wie die Beklagte selbst auf die Prüfung von Wiederaufgreifens-gründen gem. §§ 29 Abs. 1 Nr. 5, 71 Abs. 1 AsylG beschränkt, da eine umfassende Würdigung des Antrages der Kläger bereits im Erstverfahren durchgeführt wurde. [...]

Vor dem Hintergrund der damaligen Einschätzung des Gerichts und unter Einbezug der nunmehr eingeführten Anfrage des Verwaltungsgerichts Lüneburg an die schweizerische Flüchtlingshilfe vom 24. März 2022 zur Situation anerkannt schutzberechtigter Familien auf Malta stellt der Einzelrichter fest, dass jedenfalls keine bedeutsame Verschlechterung der dortigen Lage eingetreten ist. Zwar heißt es dort, es bestehe für anerkannt Schutzberechtigte kein Anspruch auf Unterbringung in staatlichen Einrichtungen mehr, jedoch stehe diesen Personen der Zugang zum Arbeitsmarkt offen. Ihnen stehe auch medizinische Grundversorgung zu. Im Falle der Arbeitsunfähigkeit hätten sie sogar Anspruch auf Sozialhilfe. In Ausnahmefällen würden für besonders verletzliche Personen oder Familien auch eine Unterkunft gestellt. Wenngleich dieser Lagebericht nicht das Bild eines mit dem der Bundesrepublik Deutschland vergleichbaren Versorgungsniveaus zeichnet, markieren die Rahmenbedingungen zur Überzeugung des Einzelrichters doch nicht einen Abfall des Schutzniveaus gegenüber dem Jahr 2014, als die Kläger von Malta kommend einreisten. Soweit sie damals Hunger und Mangel an medizinischer Versorgung fürchteten, steht dies nun nicht weiter zu befürchten. Es ist auch weder vorgetragen noch sonst ersichtlich, dass es der Klägerin zu 1. nicht möglich wäre, auch auf Malta einer einfachen Erwerbstätigkeit nachzugehen.

Hinsichtlich der Sorge der Klägerin zu 1., auf Malta auf ihren ehemaligen Ehemann zu treffen, hat sich ebenfalls keine Veränderung im Vergleich zu den vorhergegangenen Verfahren ergeben. Nach wie vor ist die Klägerin auf behördliche Hilfe vor Ort verwiesen, die sie nach eigenem Vortrag auch schon während ihres Aufenthaltes auf Malta in Anspruch genommen hat. Darüber hinaus ist es abgesehen von einer niemals gänzlich zu eliminierenden Restchance doch nicht beachtlich wahrscheinlich, einer einzelnen Person in einem Inselstaat mit über einer halben Million Einwohnern ungewollt zufällig zu begegnen. [...]

Der Klägerin zu 1. ist es bereits nicht gelungen, die Vermutung gegen das Vorliegen abschiebungshindernder Erkrankungen zu ihren Gunsten zu erschüttern. Keine der von ihr vorgelegten ärztlichen Bescheinigungen legt die vorgetragenen psychischen Erkrankungen zum Maßstab des § 60a Abs. 2c S. 2 AufenthG dar. Es fehlt sowohl den zwei Arztbriefen des Klinikums ... (...-Krankenhaus) als auch den Stellungnahmen des Psychiaters an einer eingehenden Befassung mit den Diagnosemethoden für die vorgetragenen Erkrankungen. Ferner lassen sie eine Schilderung der Klägerin zu den konkreten, das von ihr behauptete Trauma auslösenden Ereignissen gänzlich vermissen. Kann die Ursache des Traumas nicht benannt werden, lässt sich auch nicht feststellten, ob eine mögliche Retraumatisierung alsbald nach der Rückkehr zu einer wesentlichen Verschlimmerung des Zustandes führen könnte. Hier bleibt jedenfalls völlig offen, ob die Klägerin etwa aufgrund ihrer Erfahrungen in Eritrea, ihrer Fluchtgeschichte, dem zwischenzeitlichen Aufenthalt in Malta oder der Misshandlung durch ihren ehemaligen Ehemann traumatisiert sein könnte.

Auch die drei vorgetragenen Suizidversuche der Klägerin zu 1. seit November 2019 vermögen kein Abschiebungsverbot zu begründen. [...]

Es steht nach diesem Maßstab nicht zur Überzeugung des Gerichtes fest, dass der Klägerin zu 1. bei Rückkehr nach Malta mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit akute Suizidalität droht. Zwar geht das Gericht davon aus, dass die Klägerin bereits mehrere Suizidversuche unternommen hat. Diese liegen jedoch mehr als vier Jahre zurück (Krankenhausberichte ....-Krankenhaus datieren auf Ende 2019), sie wurden zuletzt erwähnt in den Stellungnahmen des Psychiaters ... aus dem Jahr 2022. Der Klägerin zu 1. scheint es danach trotz zwischenzeitlich ernsthafter Suizidneigung immer wieder zu gelingen, sich von zeitweiligen Selbsttötungsgedanken zu distanzieren. So ist nach 2019 auch kein weiterer Suizidversuch bekannt geworden.

Nach hiesiger Würdigung handelt es sich bei der Suizidgefahr in der Person der Klägerin zu 1. auch für den Fall einer Rückkehr nach Malta daher nicht um ein akut drohendes Szenario, sondern vielmehr um zeitlich begrenzte, gegebenenfalls rezidivierende Episoden, die sich jedoch im Übrigen in lediglich latenter und daher für ein Abschiebungsverbot nicht ausreichender Suizidneigung erschöpfen. Insbesondere ist ein Anhalten der Suizidneigung bis zum gegenwärtigen Zeitpunkt weder durch ärztlichen Bericht substantiiert vorgetragen noch plausibel aufgrund des verstrichenen Zeitraumes seit dem letzten Suizidversuch.

Suizidgefahren im engen räumlichen und zeitlichen Zusammenhang mit einer zwangsweisen Rückführungsmaßnahme stehen des Weiteren nicht zur Beurteilung des Gerichtes, da es sich bei diesen im inlandsbezogene Abschiebungshindernisse handeln würde. Sie sind im Falle einer Rückführung bei der Ausländerbehörde geltend zu machen und von der hier Beklagten nicht zu beachten. [...]