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VG Minden

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Zitieren als:
VG Minden, Urteil vom 21.10.2024 - 1 K 2575/24.A - asyl.net: M32853
https://www.asyl.net/rsdb/m32853
Leitsatz:

In der Stadt Saida besteht keine ernsthafte individuelle Gefahr aufgrund eines bewaffneten Konflikts: 

1. Spätestens seit dem 23. September 2024 herrscht im Süden des Libanon ein internationaler bewaffneter Konflikt. Dieser erreicht jedoch in der Stadt Saida (noch) keinen derart hohen Grad an willkürlicher Gewalt, dass eine ernsthafte individuelle Gefahr für Zivilpersonen droht. Es gibt keine Berichte über verletzte oder getötete Zivilisten in Saida

2. Die Stadt Saida ist relativ wenig von den Luftangriffen der israelischen Armee betroffen. Dies erklärt sich vor allem dadurch, dass die überwiegend sunnitische Bevölkerung der Stadt die Hisbollah kaum unterstützt. Die Hisbollah hat in Saida somit auch keine militärischen Einrichtungen, die Ziel von Angriffen durch die israelische Armee werden könnten. 

(Leitsätze der Redaktion) 

Schlagwörter: Libanon, internationaler bewaffneter Konflikt, Südlibanon
Normen: AsylG § 4 Abs. 1 Nr. 3
Auszüge:

[...]

II. Ein Anspruch auf die Zuerkennung des subsidiären Schutzstatus steht dem Kläger ebenfalls nicht zu. Ein Ausländer ist subsidiär Schutzberechtigter, wenn er stichhaltige Gründe für die Annahme vorgebracht hat, dass ihm in seinem Herkunftsland ein ernsthafter Schaden droht (§ 4 Abs. 1 Satz 1 AsylG). [...]

2. Aufgrund der aktuellen Sicherheitslage droht dem Kläger in seinem rund 50 km südlich von Beirut gelegenen Herkunftsort Saida (dt.: Sidon) ebenfalls kein ernsthafter Schaden. Die Voraussetzungen, die § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AsylG für die Annahme eines ernsthaften Schadens bei bewaffneten Konflikten aufstellt, liegen dort im gemäß § 77 Abs. 1 AsylG maßgeblichen Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung nicht vor.

Zwar herrscht im Süden des Libanons spätestens seit der Intensivierung der israelischen Luftangriffe am 23. September 2024 ein internationaler bewaffneter Konflikt. Dieser Konflikt erstreckt sich auch auf die in der Provinz Südlibanon gelegene Stadt Saida. Auch dort ist es - wie unter b. dargelegt wird - in jüngster Vergangenheit zu israelischen Luftangriffen gekommen. Jedoch ist dieser Konflikt in der Stadt Saida im gemäß § 77 Abs. 1 AsylG maßgeblichen Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung nicht durch einen derart hohen Grad willkürlicher Gewalt gekennzeichnet, dass im Falle der Rückkehr des Klägers dorthin von diesem Konflikt eine ernsthafte individuelle Gefahr für ihn ausgeht. [...]

b. Die allgemeine Sicherheitslage in Saida stellt sich wie folgt dar:

In der Stadt Saida und deren unmittelbarer Umgebung kam es bis zur mündlichen Verhandlung zu relativ wenigen Luftangriffen der israelischen Armee. Dies erklärt sich dadurch, dass die Stadt Saida anders als ihr schiitisch geprägtes Umland, der Distrikt Saida, ganz überwiegend von Sunniten (84%) und nur zu einem sehr geringen Anteil von Schiiten (9%) bewohnt wird. Dagegen sind 77 % der Einwohner des Distrikts Saida Schiiten. [...]

Dementsprechend hat die Hisbollah, die ganz vorwiegend von der schiitischen Bevölkerung des Libanons unterstützt wird, in Saida keine starke Stellung, so dass sich dort auch keine militärischen Einrichtungen der Hisbollah befinden, die Angriffe der israelischen Armee auf sich ziehen. [...]

In Saida erfolgten 2024 nur einige wenige israelische Luftangriffe. Die dem Gericht vorliegenden Unterlagen verzeichnen für die Stadt Saida Angriffe am 22. Juni 2024 [...], sowie am 9. August [...], 21. August [...] und 26. August 2024. [...]

Bei dem letzten Angriff handelt es sich um den Angriff auf den vom Kläger eingereichten Video. In den dem Gericht vorliegenden Unterlagen werden für keinen der vorstehend aufgeführten Angriffe auf Ziele in Saida getötete oder verletzte Zivilisten erwähnt.

Ein weiterer vom Kläger in Bezug genommener Luftangriff mit 71 getöteten und 58 verwundeten Personen betraf nicht die Stadt Saida, sondern den rund 5 km südöstlich von dort gelegenen Ort Ain al-Delb. [...]

c) Bei einer Betrachtung aller Umstände des Einzelfalls, insbesondere der Zahl der zivilen Opfer, der geografischen Verteilung der Konflikte, der Intensität und Dauer bewaffneter Auseinandersetzungen, des Organisationsgrads der beteiligten Streitkräfte oder des Grades der Aggression gegen die Zivilbevölkerung [...] erreicht die Sicherheitslage in Saida zum entscheidenden Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung (noch) nicht den nach § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AsylG erforderlichen Grad willkürlicher Gewalt, der für die Annahme einer ernsthaften individuellen Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit einer Zivilperson erforderlich ist. Zwar stehen sich in dem dortigen bewaffneten Konflikt mit der israelischen Armee und der Hisbollah zwei hochgerüstete, militärisch straff geführte Kampfverbände gegenüber, die bei ihren Kämpfen schwere Waffen wie Kampfflugzeuge und -drohnen, Raketen, Panzer
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und Artillerie einsetzen. Jedoch hat es in Saida bis zum Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung nach den dem Gericht vorliegenden aktuellen Unterlagen nur einige wenige Angriffe gegeben und sind dort bisher keine Zivilisten zu Schaden gekommen. Saida ist auch nicht von der Bodenoffensive der israelischen Armee betroffen. Dementsprechend stellt Saida weder einen geografischen Schwerpunkt der Kämpfe dar, noch kam es dort bisher zu intensiven oder länger andauernden Auseinandersetzungen. Hinzu kommt, dass die israelische Armee die Bevölkerung weiter Teile des libanesischen Südens vor Angriffen gewarnt und dazu aufgefordert hat, diese Gebiete zu verlassen. Für Saida ist eine derartige Aufforderung bisher nicht ergangen. Zudem scheint auch die Zivilbevölkerung Saida und insbesondere den Stadtteil als relativ sicher einzustufen. [...]