Abschiebungsverbot für alleinstehenden Mann:
Die katastrophale humanitäre Lage im Ankunftsort Kabul führt dazu, dass auch ein junger, alleinstehender Mann ohne Netzwerk bei Rückkehr einer unmenschlichen, erniedrigenden Behandlung ausgesetzt sein würde, wenn keine besonderen persönlichen Umstände vorliegen, die eine andere Bewertung zulassen.
(Leitsätze der Redaktion; unter Verweis auf BVerwG, Urteil vom 07.09.2021 - 1 C 3.21 (Asylmagazin 4/2022, S. 129 f.) - asyl.net: M30332)
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2. Der Kläger hat aber einen Anspruch auf die Feststellung eines Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 5 AufenthG. [...]
Unter Zugrundelegung dieser Maßstäbe ist das Gericht davon überzeugt, dass dem Kläger mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit aufgrund einer außergewöhnlichen Sicherheits- und humanitären Lage die ernsthafte Gefahr einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung in Afghanistan sowie insbesondere in der Stadt Kabul als Ankunftsort droht. [...]
Angesichts der seit der Machtübernahme durch die Taliban eingetretenen gravierenden weiteren Verschlechterung der nicht erst seit Ausbruch der COVID-19-Pandemie prekären humanitären Verhältnisse in der Stadt Kabul als End- und Ankunftsort einer Abschiebung sowie in ganz Afghanistan sind selbst im Falle eines leistungsfähigen erwachsenen Mannes ohne Unterhaltsverpflichtungen bei Rückkehr aus dem westlichen Ausland die hohen Anforderungen eines Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 5 AufenthG in Verbindung mit Art. 3 EMRK regelmäßig erfüllt, wenn in seiner Person keine besonderen begünstigenden Umstände vorliegen. Derartige Umstände können insbesondere dann gegeben sein, wenn der Schutzsuchende in Afghanistan ein tragfähiges und erreichbares familiäres oder soziales Netzwerk hat, er hinreichende finanzielle oder materielle Unterstützung durch Dritte erfährt oder über ausreichendes Vermögen verfügt. Ein tragfähiges familiäres oder soziales Netzwerk ist dann gegeben, wenn bei Rückkehr des Betreffenden nach Afghanistan Verwandte oder sonstige Dritte bereit und tatsächlich in der Lage sind, ihn in einem solchen Umfang zu unterstützen, dass seine elementarsten Bedürfnisse über einen absehbaren Zeitraum befriedigt werden können. [...]
Sofern ein Job auf dem Tagelöhnermarkt gefunden wird, reicht das Einkommen derzeit nicht aus, um das Existenzminimum auf einfachstem Niveau zu sichern. Die Löhne befinden sich bereits seit Jahren auf einem sehr niedrigen Niveau. Zugleich sind die Preise für die wichtigsten Grundnahrungsmittel seit der Machtübernahme durch die Taliban massiv angestiegen und befinden sich auf einem historischen Höchststand. Hiermit geht seit Mitte August 2021 wiederum eine massive Reduzierung der Kaufkraft eines Tagelöhners einher, die im Zwei-Jahres-Vergleich um 60 % abgenommen hat. Übereinstimmenden Prognosen zufolge sind Armut und Nahrungsmittelunsicherheit infolge des Regimewechsels drastisch angestiegen. [...]
Im Falle der freiwilligen Rückkehr gewährte finanzielle Hilfen, auf deren Inanspruchnahme sich der Ausländer grundsätzlich auch im Rahmen der Prüfung, ob ein an eine staatliche Zwangsmaßnahme anknüpfendes Abschiebungsverbot vorliegt, verweisen lassen muss [...], stehen anders als in der Vergangenheit derzeit nicht zur Verfügung. [...]