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OVG Berlin-Brandenburg

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Zitieren als:
OVG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 21.11.2024 - 3 S 141/24, 3 M 53/24 - asyl.net: M32878
https://www.asyl.net/rsdb/m32878
Leitsatz:

Kein Anspruch auf Sondertermin im Visumverfahren bei bevorstehender Volljährigkeit

1. Auf die persönliche Vorsprache bei der Auslandsvertretung zwecks Identitätsklärung kann im Visumsverfahren nicht verzichtet werden, auch wenn es nach Aktenlage keine Zweifel an der Identität gibt und durch die Verzögerung das Recht auf Familiennachzug verloren zu gehen droht.

2. Angesichts der Kapazitätsengpässe, die nicht auf ein strukturelles Organisationsdefizit in der Auslandsvertretung zurückzuführen sind, besteht kein Anspruch auf einen Sondertermin vor Eintritt der Volljährigkeit, um das Recht auf Familiennachzug zu subsidiär Schutzberechtigten zu wahren, zumal im zu entscheidenden Fall geringe Schutzbedrüftigkeit besteht.

(Leitsätze der Redaktion)

Schlagwörter: Familienzusammenführung, unbegleitete Minderjährige, subsidiärer Schutz, Volljährigkeit, Sondertermin
Normen: AufenthG § 36a
Auszüge:

[...]

Soweit die Beschwerde dieser Würdigung mit dem Argument begegnet, die Klärung der Identität setze nach §§ 5 Abs. 1 Nr. 1a, 49 Abs. 5 Nr. 5 AufenthG weder eine persönliche Vorsprache bei der Auslandsvertretung noch eine Erhebung biometrischer Daten voraus, kommt es dem angegriffenen Beschluss zufolge nicht entscheidungserheblich darauf an, ob neben der zutreffend verlangten Kontrolle der Identitätsdokumente außerdem auch die in § 49 Abs. 6a AufenthG genannten Maßnahmen zur Feststellung und Sicherung der Identität durchzuführen sind. Durch die von § 5 Abs. 1 Nr. 1a AufenthG gedeckte Identitätskontrolle zuwanderungswilliger Familienangehöriger vor Ort verfolgen die zuständigen Auslandsvertretungen der Antragsgegnerin den legitimen Zweck, illegaler Einwanderung vorzubeugen und den Sicherheitsbelangen der Bundesrepublik Deutschland gerecht zu werden. Vor diesem Hintergrund genügt es nicht, dass die Antragsgegnerin oder das Verwaltungsgericht – wie die Beschwerde pauschal meint – im gerichtlichen Eilverfahren unter Vorwegnahme der Hauptsache von einer geklärten Identität ausgehen müssten, "wenn sich aus dem Akteninhalt keinerlei Zweifel an der Identität der Antragstellenden" ergebe. Dies ist unabhängig davon auch schon deshalb nicht ausreichend, weil dann die Beantwortung der Frage nach einer geklärten Identität vorrangig von den durch die Antragsteller vorgelegten Unterlagen und den von ihnen abgegebenen Erklärungen abhinge.

Mit dem weiteren Einwand, das Verwaltungsgericht habe – bei unterstellter fehlender Identitätsklärung - zu Unrecht einen Ausnahmefall von der Regelerteilungsvoraussetzung des § 5 Abs. 1 Nr. 1a AufenthG verneint, stellt die Beschwerde die erstinstanzliche Würdigung ebenfalls nicht durchgreifend in Frage. Das Verwaltungsgericht ist nicht von einer (generellen) Weigerung der Antragsgegnerin, die erforderliche Identitätskontrolle durchzuführen, ausgegangen, sondern hat eine Abwägung unter Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalles vorgenommen, die hier zu Lasten der Antragsteller ausgegangen ist.

Zwar trifft es zu, dass ein Anspruch der Antragsteller zu 1 und 2 auf Elternnachzug in das Bundesgebiet mit der Volljährigkeit des hier lebenden A. K. erlischt (vgl. dazu BVerwG, Urteil vom 8. Dezember 2022 – 1 C 31/21 – juris Rn. 11 ff.) und daher durch Zeitablauf ein Rechtsverlust droht, der in Art. 6 Abs. 1 GG, Art. 8 Abs. 1 EMRK eingreift. Das Verwaltungsgericht hat jedoch u.a. die von der Antragsgegnerin genannte und von der Beschwerde nicht in Zweifel gezogene extrem hohe Zahl von Visumanträgen zum Familiennachzug, die die Auslandsvertretungen in Beirut und Istanbul zu bearbeiten haben, die durch Kapazitätsengpässe bedingte erforderliche Priorisierung, ein fehlendes strukturelle Organisationsdefizit sowie den Umstand berücksichtigt, dass mit Erreichen der Volljährigkeit in wenigen Tagen (rechtlich) nicht mehr auf seine Eltern angewiesen und auch derzeit nur noch gering schutzbedürftig sei, weil er mit seinem älteren volljährigen Bruder zusammenlebe, den die Antragsteller mit der Folge bevollmächtigt hätten, dass das zuständige Amtsgericht keine Vormundschaft eingerichtet habe. Außerdem lebten noch zwei weitere Brüder im Bundesgebiet. Die familiäre Situation der aus Syrien in die Türkei geflohenen Antragsteller hat das Verwaltungsgericht ebenfalls in seine Abwägung einbezogen. [...]