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VG Berlin

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Zitieren als:
VG Berlin, Urteil vom 21.10.2024 - 21 K 223/23 A - asyl.net: M32895
https://www.asyl.net/rsdb/m32895
Leitsatz:

Abschiebungsverbot für suchtkranken, pflegebedürftigen Mann aus Moldau:

1. Aufgrund der besonderen Umstände im Einzelfall (beinamputiert, Epilepsie, Substiutionstherapie) wäre der Kläger bei Rückkehr in die Republik Moldau der ernsthaften Gefahr unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung ausgesetzt.

2. Er kann auch nicht auf die Unterstützung durch die Ehefrau und den Sohn zurückgreifen, weil zu diesen kein Kontakt mehr besteht.

3. Auch mit einer von ihm bereits erworbenen Rente durch Erwerbstätigkeit in Moldau wird er seine Existenz nicht sichern können, weil er aufgrund seiner Behinderung einen erhöhten Bedarf hat.

4. Die in der Republik Moldau grundsätzlich zur Verfügung stehende Ganztagespflege wäre für ihn nicht zugänglich, weil er die Kosten nicht aufbringen könnte.

(Leitsätze der Redaktion)

Schlagwörter: Republik Moldau, Abschiebungsverbot, Behinderung, unmenschliche oder erniedrigende Behandlung, Drogenabhängigkeit,
Normen: AufenthG § 60 Abs. 5, AufenthG § 60 Abs. 7, EMRK Art. 3, GR-Charta Art. 4
Auszüge:

[...]

Gemäß § 60 Abs. 5 AufenthG darf ein Ausländer nicht abgeschoben werden, soweit sich aus der EMRK ergibt, dass die Abschiebung unzulässig ist. [...]

Nach diesen Maßstäben ist das Gericht aufgrund der mündlichen Verhandlung davon überzeugt, dass in diesem Einzelfall mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit eine solche außergewöhnliche humanitäre Lage vorliegt, weil der Kläger aus besonderen individuellen Gründen der ernsthaften Gefahr einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung ausgesetzt wäre, die zwingend gegen eine Abschiebung spricht, weil er seine Existenz und sein Überleben in Moldau nicht wird sichern können. [...]

Das Gericht geht aufgrund der vorliegenden ärztlichen Berichte und Stellungnahmen - insbesondere des endgültigen Entlassungsbriefs der Chefärztin Dr. … vom ... 2023, des ärztlichen Entlassungsberichts für den Rentenversicherungsträger des Facharztes für Psychiatrie und Psychotherapie Dr. ... und des Facharztes für Allgemeinmedizin ... vom … 2024 sowie der Bescheinigung der Fachärztin für Allgemeinmedizin Dr. … vom … 2024 - und des Vortrags des Klägers davon aus, dass der Kläger nicht in der Lage sein wird, in seinem Herkunftsland einer existenzsichernden Arbeit nachzugehen. Er ist beidseits oberschenkelamputiert, woraus sich bereits eine sehr eingeschränkte Erwerbsfähigkeit ergibt. Hinzu kommt, dass der Kläger an Epilepsie erkrankt ist und aufgrund möglicher epileptischer Anfälle keinen gefährlichen Arbeiten nachgehen kann. Schließlich ist er stark suchtmittelabhängig und hat in der mündlichen Verhandlung glaubhaft erklärt, sich nur mithilfe eines elektrischen Rollstuhls fortbewegen zu können. Aus dem von ihm vorgelegten ärztlichen Entlassungsbericht für den Rentenversicherungsträger des Facharztes für Psychiatrie und Psychotherapie Dr. ... und des Facharztes für Allgemeinmedizin ... vom ... 2024 geht vor diesem Hintergrund eindeutig und substantiiert hervor, dass der Kläger höchstens drei Stunden am Tag unter Aufsicht einer entlohnenden Tätigkeit auf dem zweiten - also nicht dem ersten Arbeitsmarkt - nachgehen kann. Diese Einschränkungen machen es unmöglich, dass der Kläger in Moldau einer einkommengenerierenden Tätigkeit wird nachgehen können. Der Kläger ist nicht körperlich leistungsfähig und wird insbesondere nicht in der Lage sein, einfache Tagelöhnertätigkeiten oder körperliche Hilfsarbeiten, insbesondere in der Landwirtschaft auszuüben.

Das Gericht geht nach der mündlichen Verhandlung zudem davon aus, dass der Kläger entgegen den sonst üblichen Annahmen nicht auf die tatsächlich oder zumindest materielle Unterstützung durch Familienmitglieder bzw. Verwandte in Moldau wird zurückgreifen können. Er hat in der mündlichen Verhandlung glaubhaft berichtet, dass ein Kontakt zu seiner ehemaligen Ehefrau und dem Sohn bereits seit langer Zeit nicht bestehe und dass beide sich möglicherweise in Italien aufhalten. [...]

Der Kläger wird aber allein mithilfe einer ihm möglicherweise zustehenden, geringen Rente aus vormaliger Tätigkeit seine Existenz nicht sichern können. Denn er hat einen monatlich deutlich erhöhten finanziellen Bedarf, der allein durch zu erwartende Renten- oder Sozialhilfezahlungen nicht gedeckt werden kann. Dabei fällt besonders ins Gewicht, dass der Kläger aufgrund seiner starken körperlichen Behinderungen bereits eine besonders eingerichtete und barrierefreie Wohnung zur Verfügung haben müsste, um überhaupt in der Lage zu sein, den erforderlichen Behördengängen und Arztbesuchen ohne fremde Hilfe nachkommen zu können. Er müsste daher ausreichend monatliche Mittel für die Miete einer solchen Wohnung zur Verfügung haben, weil ihm eine einfache Unterkunft aufgrund der körperlichen Einschränkungen nicht zugemutet werden kann. Hinzu kommt, dass er zwar mit einem elektrischen Rollstuhl aus Deutschland ausgestattet werden könnte, dass dessen sicherlich in der Zukunft notwendig werdende Reparaturen in Moldau aber nicht ohne weiteres durchgeführt werden könnten - jedenfalls nicht ohne besondere finanzielle Mittel für eine Reparatur.

Vor diesem Hintergrund wäre es für den Kläger nur alternativ zumutbar, in einer Ganztagespflege untergebracht zu werden, wo die nicht vorhandene Barrierefreiheit dadurch ausgeglichen würde, dass der Kläger zumindest zu den Tages- bzw. Wachzeiten rund um die Uhr unterstützt und gepflegt wird. Eine solche Tagespflege wäre ausweislich der Medical Country of Origin Information ACC 7786 vom 7. Juni 2023 [...] in der Republik Moldau zwar verfügbar. die Kosten müssen aber von dem Betroffenen selbst getragen werden. Das wären ungefähr 400 Lei am Tag - ohne Kosten für Nahrungsmittel -, was allein monatliche Kosten von umgerechnet circa 615 Euro verursachen würde. Dass der Kläger unter Zugrundelegung eines monatlichen Durchschnittslohns in Moldau in Höhe von umgerechnet nur knapp 470 Euro [...] derart hohe Kosten wird stemmen können, davon ist nicht auszugehen. [...]