Zulässiger Asylfolgeantrag eines staatenlosen Palästinensers aus dem Libanon:
1. Der bisherige hochdynamische Verlauf des Konflikts zwischen Israel und der Hamas und das Übergreifen der Kriegslage auf den Libanon rechtfertigen die Annahme einer erhöhten Wahrscheinlichkeit des Eintritts eines ernsthaften Schadens im Sinne des § 4 AsylG für staatenlose Palästinenser aus dem Libanon. Damit sprechen erhebliche Gründe für die Zulässigkeit eines Folgeantrages.
2. Einstweiliger Rechtsschutz gegen die Unzulässigkeitsentscheidung des Bundesamtes gemäß § 29 Abs. 1 Nr. 5 AsylG im Falle eines Asylfolgeantrags ist mit einem Antrag gemäß § 80 Abs. 5 VwGO erreichbar, wenn es sich um einen Fall des § 71 Abs. 1 Nr. 5 Satz 1 AsylG handelt (die Abschiebungsandrohung oder -anordnung aus dem Erstverfahren also vollziehbar ist). Im Falle des § 71 Abs. 1 Nr. 5 Satz 2 AsylG (missbräuchliche Stellung eines Asylfolgeantrags) ist ein Antrag gemäß § 123 VwGO zu stellen.
(Leitsätze der Redaktion)
[...]
Nach der Änderung des § 71 Abs. 5 AsylG durch das Gesetz zur Verbesserung der Rückführung (Rückführungsverbesserungsgesetz) vom 21. Februar 2024 ist das Begehren eines Antragstellers auf einstweiligen Rechtsschutz gegen die Ablehnung seines Asylfolgeantrages durch das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bundesamt) als unzulässig nicht länger als ein Fall des § 123 Abs. 1 Satz 1 VwGO, sondern als ein Fall des § 80 Abs. 5 VwGO einzuordnen [...].
§ 71 Abs. 5 Satz 1 AsyJG bestimmt, dass es zum Vollzug der Abschiebung keiner erneuten Fristsetzung und Abschiebungsandrohung oder -anordnung bedarf, wenn der Ausländer, nachdem eine nach Stellung des früheren Asylantrags ergangene Abschiebungsandrohung oder -anordnung vollziehbar geworden ist, einen Folgeantrag stellt, der nicht zur Durchführung eines weiteren Verfahrens führt. Nach § 71 Abs. 5 Satz 3 AsylG darf die Abschiebung jedoch erst nach Ablauf der Frist nach § 74 Abs. 1 Hs. 2 AsylG und im Fall eines innerhalb der Frist gestellten Antrags nach § 80 Abs. 5 VwGO erst nach der gerichtlichen Ablehnung dieses Antrags vollzogen werden.
Gegenstand des Antrags auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes ist mithin die in der Hauptsache mit der Anfechtungsklage [...] angegriffene Ablehnung des Asylfolgeantrags als unzulässig. Dies gilt nunmehr auch dann, wenn - wie hier - das BAMF im dem angefochtenen Bescheid keine (neue) Abschiebungsandrohung erlassen hat. Grundlage der Abschiebung bildet in diesen Fällen die bestandskräftige Abschiebungsandrohung in Verbindung mit dem neuen, vollziehbaren Unzulässigkeitsbescheid und nicht mehr die bereits bestandskräftige Abschiebungsandrohung in Verbindung mit der an die Ausländerbehörde gerichteten Mitteilung des Bundesamtes, ein neues (Folge-)Asylverfahren werde nicht durchgeführt. Dies ergibt sich erstens aus dem ausdrücklichen Bezug auf § 80 Abs. 5 VwGO im Wortlaut des § 71 Abs. 5 Satz 3 AsylG [...]. Daneben folgt dieses Ergebnis auch im Umkehrschluss aus § 71 Abs. 5 Satz 2 AsylG. Nach dieser Vorschrift darf in dem Fall, dass der Ausländer den Folgeantrag nur zur Verzögerung oder Behinderung der Abschiebung gestellt hat oder der Ausländer nach unanfechtbarer Ablehnung eines Folgeantrags einen erneuten Folgeantrag gestellt hat, die Abschiebung vollzogen werden, wenn das Bundesamt mitgeteilt hat, dass die Voraussetzungen des Absatzes 1 Satz 1 nicht vorliegen. Nur in diesen Fällen richtet sich der vorläufige Rechtsschutz - wie nach der alten Rechtslage - nach § 123 VwGO, mit dem Ziel, der zuständigen Ausländerbehörde mitzuteilen, dass die Voraussetzungen des § 75 Abs. 1 Satz 1 nicht vorliegen [...].
Die neuen Elemente und Erkenntnisse tragen mit erheblicher Wahrscheinlichkeit zu einer für den Ausländer günstigeren Entscheidung bei, wenn sie für die Beurteilung der Begründetheit des Antrags maßgeblich erscheinen bzw. sie geeignet sind, die Wahrscheinlichkeit zu erhöhen, zu einer anderen Einschätzung einer Gefahr von Verfolgung (§ 3 AsylG) bzw. ernsthaftem Schaden (§ 4 AsylG) zu gelangen [...]. Diese Elemente und Erkenntnisse werden jedoch nur berücksichtigt, wenn der Ausländer ohne eigenes Verschulden außerstande war, sie bereits im Asylerstverfahren geltend zu machen.
Hieran gemessen sprechen erhebliche Gründe dagegen, dass der Asylfolgeantrag gemäß unzulässig ist. [...] Die Voraussetzungen für die Durchführung eines weiteren Asylverfahrens sind aber voraussichtlich gegeben. Der Antragsteller hat im gerichtlichen Verfahren Umstände vorgetragen, die voraussichtlich für die Beurteilung der Begründetheit des Antrags maßgeblich sind. [...] Der Antragsteller hat seine Klage bzw. seinen Antrag auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes im Wesentlichen damit begründet, dass in seinem Heimatland - im Libanon - Krieg herrsche, der die Rückkehr unmöglich mache. Seitdem der Krieg zwischen Israel und der Hamas im Gaza sowie der Hisbollah im Libanon ausgebrochen sei, gebe es in der Region keine sicheren Orte mehr für staatenlose Palästinenser wie ihn. Die Kriegslage sei mittlerweile auch im Libanon eskaliert. Er habe im Libanon bis zu seiner Ausreise in einem Flüchtlingslager nahe der Grenze zu Israel gelebt. Diese Region sei aktuell von den Angriffen besonders betroffen und gefährlich. [...]
Im Lichte dieser Erkenntnislage ist der Vortrag des Antragstellers geeignet, die Wahrscheinlichkeit zu erhöhen, zu einer anderen Einschätzung einer Gefahr eines ernsthaften Schadens zu gelangen. Insbesondere ist nicht auszuschließen, dass dem Antragsteller als Zivilperson bei seiner Rückkehr in den Libanon ein ernsthafter Schaden i.S.d. § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AsylG droht. So ist bereits angesichts des bisherigen hochdynamischen Konfliktverlaufs die Gefahr einer jederzeitigen weiteren Eskalation nicht von der Hand zu weisen. Hinsichtlich der aktuellen Lage bedarf weiterer Aufklärung, wie intensiv sich der Konflikt derzeit in Beirut bzw. in den südlichen Teilen des Libanons, in denen der Antragsteller sich vor seiner Ausreise aufhielt, darstellt. [...] Daneben ist derzeit auch nicht absehbar, ob der Antragsteller auf eine etwaige innerstaatliche Schutzalternative nach § 4 Abs. 3 AsylG i.V.m. § 3e AsylG verwiesen werden könnte. [...]