Abschiebungsverbot für schwerbehinderte Person aus der Ukraine:
Eine Person mit einer schweren Behinderung (GdB 90) hat Anspruch auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 3 AufenthG wegen des Vorliegens eines Abschiebungsverbots. Zu den allgemeinen Gefahren und Folgen des Krieges kommt hinzu, dass in ihrer Mobilität stark eingeschränkte Menschen nicht in der Lage sind, bei Luftangriffen zügig Schutzräume aufzusuchen.
(Leitsätze der Redaktion)
[...]
2. Die Klägerin zu 1 hat auch ein Rechtsschutzbedürfnis, weil sie zwar über einen befristeten Aufenthaltstitel nach § 24 Abs. 1 AufenthG verfügt, die von ihr mit der Klage begehrte Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 3 Satz 1 AufenthG ihr aber eine günstigere Rechtsposition vermitteln würde. Denn nach § 25 Abs. 3 Satz 1 AufenthG kann ihr eine Aufenthaltserlaubnis für bis zu drei Jahre erteilt werden und eine Aufenthaltsverfestigung nach § 26 Abs. 4 AufenthG ist anders als bei einem Aufenthaltstitel nach § 24 Abs. 1 AufenthG (Kluth, in: Kluth/Heusch BeckOK AusländerR, 41. Ed. Stand 1.4.2024, § 26 Rn. 22) grundsätzlich möglich. [...]
Nach diesen Maßstäben ist das Gericht nach der mündlichen Verhandlung davon überzeugt, dass im vorliegenden Fall mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit aufgrund der besonderen individuellen Umstände der Klägerin zu 1 und unter Berücksichtigung der außergewöhnlichen Sicherheits- und humanitären Lage in der Ukraine an dem Ort, an dem die Abschiebung voraussichtlich enden wird, die Klägerin zu 1 mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit der ernsthaften Gefahr einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung ausgesetzt wäre, die zwingend gegen eine Abschiebung in die Ukraine spricht. [...]
b. Angesichts dieser Erkenntnislage droht der Klägerin zu 1 unter Berücksichtigung ihrer körperlich eingeschränkten Bewegungsfähigkeit mit Blick auf die Sicherheitslage in der Ukraine insgesamt, aber insbesondere auch am Ort ihrer Herkunft im Süden der Ukraine im Oblast Dnipropetrowsk im Falle einer Rückkehr eine dem Art. 3 EMRK widersprechende Behandlung. [...]
Im vorliegenden Fall kommen aber zwei wesentliche Gesichtspunkte hinzu, die hier in die Gefahrenabschätzung erhöhend mit einfließen müssen. Der Ort, an dem die Abschiebung der Klägerin zu 1 zunächst voraussichtlich enden würde, dürfte Kiew sein. Es ist aber auch möglich, dass die Klägerin in ihren Herkunftsort ... im Oblast Dnipropetrowsk im Süden zurückkehren würde. An beiden möglichen Orten ist die Sicherheitslage prekärer als im Westen der Ukraine (vgl. BAMF, Länderkurzinformation Ukraine, Stand September 2023, S. 12).
Erheblich gefahrerhöhend kommt hier aber hinzu, dass die Klägerin zu 1 aufgrund des Schweregrads ihrer Behinderung mit einem GdB von 90 und aufgrund ihres Angewiesenseins auf einen Rollstuhl sowie der sehr eingeschränkten Benutzbarkeit ihrer Hände - was durch den Beklagten nicht bestritten wurde - deutlich weniger mobil ist als gesundheitlich unbeeinträchtigte Menschen. Es ist davon auszugehen, dass sie aufgrund ihrer körperlichen Beeinträchtigungen nicht in der Lage ist, bei Luftalarm und Raketenangriffen binnen kurzer Zeit Schutz in Bunkern oder U-Bahn-Stationen zu suchen. So gab es im August 2023 allein in Krywyj Rih neun Explosionen oder Luftangriffe sowie 135 Mal Luftalarm (BAMF, Länderkurzinformation Ukraine, Stand September 2023, S. 9). Es ist deshalb für die körperlich erheblich eingeschränkte Klägerin mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit von der ernsthaften Gefahr einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung auszugehen, die zwingend gegen ihre Abschiebung in die Ukraine spricht. Die Voraussetzungen für die Feststellung eines Abschiebungsverbots gemäß § 60 Abs. 5 AufenthG für die Ukraine liegen vor. [...]