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Zitieren als:
BVerwG, Urteil vom 19.12.2024 - 1 C 3.24 - asyl.net: M32936
https://www.asyl.net/rsdb/m32936
Leitsatz:

Keine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung für vulnerable Personen in Italien:

1. Aktuell drohen anerkannten alleinerziehenden Eltern mit einem Grundschulkind und einem Kind unter drei Jahren keine unmenschlichen oder erniedrigenden Lebensbedingungen in Italien. Sie können in Italien in einer Einrichtung des Zweitaufnahmesystems SAI voraussichtlich zunächst für ein Jahr familien- und kindgerecht untergebracht werden. Dort werden ihre Grundbedürfnisse befriedigt und eine medizinische Grundversorgung sichergestellt. Da ihnen in der Unterkunft Unterstützung bei der Suche nach einer Wohnung, Arbeit und Kinderbetreuung angeboten wird, droht auch nach dieser Unterbringung keine Verelendung in einem engen zeitlichen Zusammenhang.

2. International Schutzberechtigte müssen sich zur Sicherstellung des Existenzminimus auf zumutbare Arbeiten verweisen lassen, auch wenn diese wenig attraktiv und ihrer Vorbildung nicht entsprechend sind. Zu diesen zumutbaren Arbeiten zählen auch Tätigkeiten, für die es keine Nachfrage auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt gibt, die nicht überkommenen Berufsbildern entsprechen und die nur zeitweise ausgeübt werden können, selbst wenn diese im Bereich der sogenannten "Schatten- oder Nischenwirtschaft" sind. Allerdings können Schutzberechtigte nicht auf Tätigkeiten verwiesen werden, die kriminell oder anders staatlich sanktioniert sind und sie selbst einer straf- oder ordnungswidrigkeitsrechtlichen Verfolgung aussetzen würde. Erwerbstätigkeiten, die auch legal ausgeübt werden können, aber den öffentlichen Stellen zur Vermeidung von Steuern und Sozialbeiträgen nicht gemeldet werden, sind jedoch zumutbar, wenn sie als Arbeitnehmende nicht sanktionsbewehrt sind oder die Sanktionen jedenfalls tatsächlich nicht verhängt werden.

3. Trotz eines erheblichen Mangels an Krippenplätzen für Kleinkinder unter 3 Jahren ist es mit der Hilfe und Unterstützung durch das SAI und erwartbarer eigener Anstrenungen möglich, die für die Aufnahme einer Erwerbstätigkeit notwendige Kinderbetreuung sicherzustellen.

(Leitsätze der Redaktion; vorhergehende Entscheidungen: VG Regensburg vom 25. April 2023, RO 14 K 21.31471 und VGH München vom 21. März 2024, 24 B 23.30860)

Schlagwörter: Italien, internationaler Schutz in EU-Staat, besonders schutzbedürftig, alleinerziehend, Kinder, Kleinkinder
Normen: AsylG § 29 Abs. 1 Nr. 2, EMRK Art. 3, GrCh Art. 4
Auszüge:

"[...]

4 Mit ihrer Revision beanstanden die Klägerinnen die rechtliche und tatsächliche Bewertung der allgemeinen abschiebungsrelevanten Lage für alleinerziehende anerkannte Schutzberechtigte mit einem Grundschulkind und einem Kleinkind von unter drei Jahren in Italien.

[...]

28 2.2.2 Gemessen daran hat das Berufungsgericht die allgemeine abschiebungsrelevante Lage von in Italien als international schutzberechtigt anerkannten Elternteilen mit einem Grundschulkind und einem Kind unter drei Jahren im Ergebnis zutreffend dahin beurteilt, dass diese nicht mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit unabhängig von ihren persönlichen Entscheidungen in eine Lage extremer materieller Not geraten werden, die es ihnen nicht erlaubt, ihre elementarsten Grundbedürfnisse hinsichtlich Unterkunft, Ernährung und Hygiene zu befriedigen. Diese Einschätzung erweist sich auf der Grundlage der für das Bundesverwaltungsgericht maßgeblichen aktuellen Erkenntnislage als zutreffend. Danach erhalten international Schutzberechtigte, falls ihr Aufenthaltstitel abgelaufen ist, bei einer Rückkehr nach Italien voraussichtlich erneut einen Aufenthaltstitel (a), und sie können und müssen sich bei der Wohnortgemeinde registrieren lassen (b). Zurückkehrende Schutzberechtigte der genannten Gruppe können voraussichtlich zunächst für mindestens ein Jahr und damit für einen absehbaren Zeitraum im Sinne der Senatsrechtsprechung in einer Einrichtung des Zweitaufnahmesystems SAI familien- und kindgerecht untergebracht werden, in der die Befriedigung ihrer Grundbedürfnisse sichergestellt und eine medizinische Grundversorgung gewährleistet ist (c). Mit Blick auf die in dieser Ein-richtung angebotenen vielfältigen Integrations- und Unterstützungsleistungen unter anderem bei der Suche nach einer weiteren Unterkunft, einer Arbeitsstelle sowie beim Schul- und Kindergartenbesuch und den insoweit bestehenden Möglichkeiten, ein angemessenes Obdach, gegebenenfalls weitere Hilfen, eine Erwerbstätigkeit, Kinderbetreuung und medizinische Versorgung zu erhalten, steht auch im Anschluss an diese Unterbringung und Versorgung im SAI nicht zu erwarten, dass ihnen in einem engen zeitlichen Zusammenhang eine Verelendung mit hoher Wahrscheinlichkeit droht (d).

[...]

46 Aktuell stellt sich die Erkenntnislage zur Unterkunftssituation im Bereich der staatlichen Unterbringung (aa) sowie zu der herrschenden Rückführungspraxis bei der hier zu betrachtenden vulnerablen Personengruppe (bb) wie im Folgen-den beschrieben dar. Eine Gesamtwürdigung auf dieser aktuellen Grundlage rechtfertigt die Einschätzung, dass alleinerziehende Elternteile mit einem Grundschulkind und einem Kleinkind von unter drei Jahren, die nach Italien zurückkehren, voraussichtlich zunächst für die Dauer von mindestens zwölf Monaten im Zweitaufnahmesystem SAI familien- und kindgerecht untergebracht werden können, in dem die Befriedigung ihrer Grundbedürfnisse sichergestellt und eine medizinische Grundversorgung gewährleistet ist (cc).

47 aa) Das italienische Aufnahmesystem besteht aus Erstaufnahmeeinrichtungen (staatliche Erstaufnahmezentren sowie die – ursprünglich für eine temporäre Notunterbringung konzipierten – CAS, centri di accoglienza straordinaria) und Hotspots einerseits und dem sogenannten Zweitaufnahmesystem (SAI = Sistema di accoglienza e integrazione, vormals SPRAR, dann SIPROIMI) andererseits. Bereits anerkannten Schutzberechtigten steht allein das SAI offen, das primär deren Aufnahme sowie der Aufnahme von unbegleitetem Minderjährigen dient (AIDA/ECRE, Country Report Italy, 2023 Update, S. 146 ff., 149). Mit dem Gesetzesdekret Nr. 113/2018 (sog. Salvini-Dekret) wur-den Asylbewerber aus dem SAI-System ausgeschlossen. Durch das Umwandlungsgesetz Nr. 173/2020 zum Gesetzesdekret Nr. 130/2020 vom 21. Oktober 2020 (dem sog. Lamorgese-Dekret) wurde mit Wirkung zum 20. Dezember 2020 das bisherige Modell teilweise wiederhergestellt und ein einheitliches Aufnahmesystem sowohl für Asylbewerber als auch für Schutzberechtigte wieder eingeführt, ohne jedoch eine angemessene und proportionale Ausweitung der Anzahl der verfügbaren Plätze vorzusehen (AIDA/ECRE, Country Report Italy, 2023 Update, S. 116).

48 2023 wurde das staatliche Aufnahmesystem erneut reformiert. Das Gesetzesdekret 20/2023 (sog. Cutro-Dekret), in Gesetzesform überführt durch das Gesetz 50/2023, kehrte zu einer klareren Trennung zwischen dem Aufnahmesystem für Asylbewerber und dem Aufnahmesystem für anerkannte Schutzberechtigte zurück. Asylbewerber wurden im Grundsatz erneut vom Zugang zur Unterbringung im SAI-System ausgeschlossen (BAMF, Auskunft an OVG Schleswig, 8. Dezember 2023, S. 7; AIDA/ECRE, Country Report Italy, 2023 Update, S. 149). Zugang zum SAI haben aus der Gruppe der Asylbewerber seither nur noch vulnerable Personen und solche, die über Resettlement-Programme oder ähnliche humanitäre Zugangswege legal eingereist sind. Als vulnerabel und so-mit zugangsberechtigt zu SAI-Unterkünften werden nunmehr aus italienischer Sicht auch alle Frauen eingestuft; Schwangere genießen dabei Vorrang (AIDA/ECRE, Country Report Italy, 2023 Update, S. 149). Schutzsuchende Alleinerziehende mit Kind gelten ebenfalls als vulnerabel (BAMF, Auskunft an OVG Schleswig, 8. Dezember 2023, S. 7), Schutz suchende Familien sind hinge-gen nicht erfasst. Familien im Asylverfahren können in den Erstaufnahmeeinrichtungen unterkommen, sofern nicht weitere Vulnerabilitäten bestehen (BAMF, Auskunft an OVG Schleswig, 8. Dezember 2023, S. 7). Ungeachtet dessen ist das SAI-System nach der Reform primär der Aufnahme der anerkannt Schutzberechtigten und unbegleiteten Minderjährigen zu dienen bestimmt.

[...]

50 Das SAI-Netzwerk besteht aus kleinen Aufnahmestrukturen und angemieteten Apartments, die anders als die staatlichen Erstaufnahmeeinrichtungen nicht durch die italienische Regierung, sondern auf Freiwilligkeitsbasis durch lokale Behörden (Städte, Gemeinden) in Zusammenarbeit mit zivilgesellschaftlichen Akteuren bereitgestellt werden. Diese Unterbringungseinrichtungen liegen entweder direkt in der Stadt oder in Orten, die über eine gute Anbindung an das öffentliche Verkehrsnetz verfügen (BAMF, Auskunft an OVG Schleswig, 8. Dezember 2023, S. 3; AIDA/ECRE, Country Report Italy, 2023 Update, S. 156). Die Projekte werden in der Regel gemeinsam von Kommunen und zivilgesellschaftlichen Akteuren betrieben und unmittelbar vom Innenministerium finanziert. Die lokalen Behörden können sich freiwillig für Aufnahmeprojekte in ihrem Hoheitsgebiet bewerben und beim Ministerium die Finanzierung beantragen, die in der Regel für drei Jahre bewilligt wird (AIDA/ECRE, Country Report Italy, 2023 Update, S. 241, 149).

51 In den SAI-Einrichtungen werden neben der reinen Unterkunft und Verpflegung (vgl. dazu AA, BMI und BAMF, Gemeinsamer Bericht, September 2022, S. 25; SFH und Pro Asyl, Auskunft an VGH Kassel vom 29. Oktober 2020, S. 3) auch Unterstützungs- und Integrationsleistungen erbracht. Hierzu gehören etwa Übersetzungs- und sprachlich-kulturelle Vermittlungsdienste, Rechtsberatung, Vermittlung der italienischen Sprache und Schulbesuch für Minderjährige, Hilfe bei der Kindergartenplatzsuche, Gesundheitsversorgung, sozio-psychologische Hilfen vor allem für vulnerable Personen, Ausbildung, Unterstützung bei der Arbeits- und Wohnungssuche, Beratung über verfügbare Dienstleistungen zur örtlichen Integration und Information über Programme zur freiwilligen Rückkehr sowie über Freizeit-, sportliche und kulturelle Aktivitäten (AIDA/ECRE, Country Report Italy, 2023 Update, S. 241 f.; BAMF, Auskunft an OVG Schleswig, 8. Dezember 2023, S. 7, 8). Das Gesetzesdekret Nr. 130/2020 unterscheidet nunmehr zwischen Leistungen für im SAI untergebrachte Asylbewerber (first level services) und Leistungen, die anerkannten Schutzberechtigten vorbehalten sind (second level services); zu Letzteren zählen die Unterstützung bei der Integration und Arbeitssuche sowie beruflichen Bildung (AIDA/ECRE, Country Report Italy, 2023 Update, S. 241 f.). Innerhalb des SAI-Systems sind Projekte vorhanden, die auf die Aufnahme und die Unterstützung von Personen spezialisiert sind, die besonders vulnerabel sind, z. B. Single-Familien, alleinstehende oder schwangere Frauen (BAMF, Auskunft an OVG Bautzen, 4. Februar 2022, S. 5).

52 Anträge international Schutzberechtigter für eine Unterbringung in einer Zeitaufnahmeeinrichtung (SAI) müssen auch weiterhin an den "Servizio Centrale", einen vom Innenministerium eingesetzten Zentraldienst, gerichtet werden (vgl. bereits SFH, Aufnahmebedingungen in Italien, Bericht, Januar 2020, S. 54 f.; ebenso SFH, Auskunft an VG Karlsruhe, 29. April 2022, S. 3). Die Anträge können nicht von den Berechtigten selbst ausgefüllt werden; sie werden hauptsächlich von der örtlichen Präfektur oder den die Erstaufnahmeeinrichtungen verwaltenden Stellen oder durch Rechtsanwälte beim Servizio Centrale eingereicht. Der Servizio Centrale prüft die Anträge und klärt ab, ob die Person noch ein Recht auf Unterbringung hat und ob ein dem Bedarf entsprechender Platz (in ganz Italien) frei ist. Nur der Servizio Centrale hat einen Überblick über die Projekte und die freien Plätze in den Projekten. Es existiert keine Warteliste; kann kein freier Platz zur Verfügung gestellt werden, muss zu einem späteren Zeitpunkt erneut ein Antrag auf Unterbringung in einem SAI-Projekt gestellt werden (SFH, Auskunft an VG Karlsruhe, 29. April 2022, S. 3).

[...]

54 Die Aufenthaltsdauer im SAI-System (vormals SIPROIMI) wurde für Inhaber eines Schutzstatus durch ein Dekret vom 18. November 2019 ("Moi Dekret") auf sechs Monate festgelegt. Nur in einigen besonders ausgeführten und begründeten Fällen kann danach die Aufnahme nach vorheriger Zustimmung des zuständigen Präfekten um weitere sechs Monate verlängert werden. Dies ist etwa möglich, um den Abschluss von Integrationsmaßnahmen zu ermöglichen oder gesundheitlichen Belangen Rechnung zu tragen, ebenso in Fällen von besonders aufgeführten Vulnerabilitäten oder besonderer Bedürfnisse. Weitere sechs Monate können im Falle fortbestehender ernsthafter gesundheitlicher Gründe oder um ein Schuljahr zu beenden gewährt werden (AIDA/ECRE, Country Report Italy, 2023 Update, S. 242).

[...]

57 Für international Schutzberechtigte, die bereits vor ihrer Weiterreise in einer Zweitaufnahmeeinrichtung (heute: SAI) untergebracht waren, gibt es somit keine Garantie der Wiederaufnahme. Wenn eine Person eine Unterkunft vor Ablauf der vorher festgelegten Aufenthaltsdauer verlassen oder dort die maximale Unterbringungszeit ausgeschöpft hat und anschließend aus einem Mitgliedstaat zurückgeführt wird, kann sie nur nach einer individuellen Bewertung unter Umständen wieder in die Unterkunft zurückkehren; dabei wird die Vulnerabilität der Schutzsuchenden berücksichtigt (AA, BMI und BAMF, Gemeinsa-mer Bericht, September 2022, S. 23, 26; Auswärtiges Amt, Auskunft an VG Stade, 9. Juli 2024, S. 2). Besonders vulnerable Personen werden dann laut einer Auskunft eines Vertreters einer SAI-Einrichtung nicht erneut in das SAI, sondern in eine geeignetere Struktur aufgenommen (AA, BMI und BAMF, Gemeinsamer Bericht, September 2022, S. 23). Dass bei besonderer Vulnerabilität in individuellen Fällen Ausnahmen vom Verlust des Unterbringungsrechts gemacht werden, bekräftigt auch der UNHCR: Sicher sei, dass vulnerable Perso-nen mit besonderen Bedürfnissen in der Regel zurückkehren können. In diesen Fällen werde die vorher verbrachte Zeit in einer SAI-Einrichtung nicht angerechnet, sondern das Integrationsprojekt und die Aufenthaltszeit beginne von Neuem (AA, BMI und BAMF, Gemeinsamer Bericht, September 2022, S. 27 f.; BAMF, Auskunft an OVG Bautzen, 4. Februar 2022, S. 4; so auch der italienische Flüchtlingsrat CIR im Oktober 2021, vgl. AA, BMI und BAMF, Gemeinsamer Bericht, September 2022, S. 27 f.). Nach vorherigem Untertauchen in einen EU-Mitgliedstaat haben vulnerable Personen nach vorheriger Prüfung aufgrund der prioritären Behandlung größere Chancen, in ein SAI zurückzukehren (BAMF, Auskunft an OVG Bautzen, 4. Februar 2022, S. 5).

[...]

61 Obwohl das SAI-System in den 20 Jahren seit seiner Einrichtung im ganzen Land langsam, aber stetig ausgebaut wurde (Rapporto Annuale SAI, 22. Edizi-one, Stand: 31. Dezember 2023, S. 28), wird die Gesamtzahl der verfügbaren Plätze als nach wie vor in großem Maße unzureichend bezeichnet, um den bestehenden Bedarf zu decken (vgl. AIDA/ECRE, Country Report Italy, 2023 Update, S. 117, 150, 244; so auch die Bewertung des italienischen Flüchtlingsrats im Ok-tober 2021, vgl. AA, BMI und BAMF, Gemeinsamer Bericht, September 2022, S. 25 f.). Das Regionale Verwaltungsgericht (Tribunale Administrativo Regio-nale, TAR) Marche hat am 2. August 2021 entschieden, dass ein Mangel an verfügbaren Plätzen im SAI-System und eine nur geringe Beteiligung lokaler Behörden an SAI-Projekten für vulnerable Personen nicht zum Nachteil der aufnahmebedürftigen Personen gehen könne; es hat die mit Kapazitätserschöpfung begründete Ablehnung der Aufnahme einer Frau mit gesundheitlichen Einschränkungen deshalb aufgehoben (vgl. AIDA/ECRE, Country Report Italy, 2023 Update, S. 240 f.).

[...]

65 Nach der vorstehend dargestellten aktuellen Erkenntnislage können in Italien anerkannte nichtvulnerable Schutzberechtigte nach Rückkehr mit der Aufnahme in eine SAI-Unterkunft (mit Verpflegung und weiteren Integrationsleis-tungen) jedenfalls dann nicht rechnen, wenn sie nach der Zuerkennung ihres Schutzstatus in Italien bereits in einer solchen Unterkunft untergebracht waren oder ihnen ein entsprechender Platz zumindest zugewiesen worden war, sie die-sen aber nicht in Anspruch genommen oder verlassen haben. Nichtvulnerable Schutzberechtigte haben aber die – zur Abwendung einer Verelendung hinreichende – Möglichkeit, außerhalb des staatlichen Unterbringungssystems eine nach dem hier anzuwendenden Maßstab hinreichende, gegebenenfalls wech-selnde Unterkunft zu finden (vgl. hierzu im Einzelnen BVerwG, Urteile vom 21. November 2024 - 1 C 23.23 - Rn. 65 und - 1 C 24.23 - Rn. 66).

66 Etwas anderes gilt nach den dargestellten aktuellen Erkenntnissen indessen für als international schutzberechtigt anerkannte vulnerable Personen, zu denen auch die hier zu betrachtende Personengruppe des alleinerziehenden Elternteils mit einem Grundschulkind und einem Kind von unter drei Jahren zählt. Für sie ist aufgrund des Vorliegens einer besonderen Vulnerabilität eine Wiederaufnahme in eine SAI-Einrichtung möglich. Dabei sprechen die Erkenntnisse nicht nur von neu entstandenen Vulnerabilitäten, sondern eine Wiederaufnahme ist nach diversen Auskünften allgemein bei Vorliegen einer besonderen Vulnerabilität möglich. Mit Blick auf Kleinkinder von unter drei Jahren wird es sich angesichts des verstrichenen Zeitraums bis zur Rückkehr aus Deutschland zudem häufig nicht nur um eine besondere, sondern zusätzlich auch um eine neue Vul-nerabilität handeln. Dem steht nicht entgegen, dass das Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen (Urteil vom 20. Juli 2021 - 11 A 1674/20.A - juris Rn. 93 ff.) davon ausgeht, eine Berufung auf neue Vulnerabilitäten sei nicht möglich, da Italien für die Asylanträge der in Deutschland geborenen Kinder eines in Italien anerkannten international Schutzberechtigten nicht zuständig sei. Wie bereits zuvor ausgeführt, hat der Senat erst jüngst entschieden (BVerwG, Urteil vom 24. April 2024 - 1 C 8.23 - juris Rn. 12 ff.), dass nicht nur bei Drittstaaten, sondern auch mit Blick auf andere Mitgliedstaaten der Europäischen Union regelmäßig von einer Rückkehr der Kernfamilie im Familienver-band auszugehen ist. Im Übrigen erhalten Familienmitglieder international Schutzberechtigter in Italien eine Aufenthaltserlaubnis aus familiären Gründen (AIDA/ECRE, Country Report Italy, 2023 Update, S. 236).

67 Die regelmäßig auf sechs Monate begrenzte Aufenthaltsdauer in einer SAI-Einrichtung kann bei besonderer Vulnerabilitäten zudem um weitere sechs Monate und unter Umständen auch noch darüber hinaus verlängert werden, sodass von einer Aufenthaltsdauer von mindestens einem Jahr im SAI für die hier zu betrachtende Personengruppe ausgegangen werden kann. Dass die Wiederaufnahme nicht gesetzlich garantiert ist und auch von Kapazitätsproblemen im Zweitaufnahmesystem SAI berichtet wird, steht dieser Annahme nicht entgegen. Der Senat verkennt dabei auch angesichts des vom italienischen Staat bis Oktober 2024 ausgerufenen Migrationsnotstandes und der bereits erwähnten Schreiben vom 5. und 7. Dezember 2022 nicht, dass nach Italien zurückkehrende Schutzberechtigte bei der Unterbringung mit einer Vielzahl von Migranten – unter anderem auch den Flüchtlingen aus der Ukraine – konkurrieren und – wie bereits ausgeführt – gerade Schutzberechtigte ohne Vulnerabilitäten nach einer Rückkehr nach Italien nicht mit einer Unterbringung im SAI rechnen können. Die beschriebenen aktuellen Zahlen in den SAI-Einrichtungen zeigen gleichwohl – ebenso wie in den Monaten davor – eine Auslastung von (lediglich) knapp 98 % Ende November 2024 und weisen für diesen Zeitpunkt damit 919 freie Plätze aus. Zudem genießen Personen mit besonderer Vulnerabilität Vorrang bei der Aufnahme in eine SAI-Einrichtung. Dies korrespondiert mit der Auskunft der Verbindungsbeamtin in Italien in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat, nach der ca. 2 % der Plätze im SAI vorgehalten werden, um so auf dringend benötigten Bedarf an Unterbringungsplätzen, insbesondere bei be-sonderen Vulnerabilitäten, reagieren und diesen abdecken zu können. Vor diesem Hintergrund kann der Auffassung, die SAI-Einrichtungen seien völlig unterdimensioniert, weshalb selbst eine privilegierte Zugangsmöglichkeit für vulnerable Personengruppen zum SAI de facto ohne Bedeutung sei (so OVG Kob-lenz, Urteil vom 27. März 2023 - 13 A 10948/22.OVG - juris Rn. 54), nicht gefolgt werden. Durch das nachfolgend (bb) beschriebene besondere Rückführungsverfahren ist darüber hinaus sichergestellt, dass Angehörige der hier zu betrachtenden Personengruppe nach einer Rückkehr aus Deutschland nach Italien unmittelbar in eine SAI-Einrichtung familien- und kindgerecht untergebracht werden können.

68 bb) Bei der Rücküberstellung von vulnerablen Personen wird der tatsächlichen Rückführung durch die italienischen Behörden erst zugestimmt, wenn eine angemessene Unterkunft und Versorgung sichergestellt ist. Italien verweigert die Rückübernahme schutzberechtigter Familien, bis ein geeigneter Platz gefunden ist. Wenn dies nicht gewährleistet werden kann, erfolgt die formelle Aufforderung an Deutschland, den Rückführungstermin zu verschieben (AA, Auskunft an VG Gera, 6. Januar 2020; BAMF, Auskunft an OVG Bautzen, 4. Februar 2022 und Auskunft an OVG Schleswig, 8. Dezember 2023, S. 7 f.). Zu den Einzelheiten des Verfahrens hat die Verbindungsbeamtin der Beklagten in Italien in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat ausgeführt, es gebe einen Verwaltungsautomatismus bei der Rückführung vulnerabler Personen, insbesondere bei der Rücküberstellung von Familien oder alleinerziehenden Personen mit Kindern. Die Anbietung zur Rückübernahme erfolge bei diesen vulnerablen Schutzberechtigten durch die Bundespolizei an die italienische Polizei, die sich an den Servizio Centrale für eine Zusage eines Unterbringungsplatzes in einer SAI-Einrichtung wendet. Nur wenn dort eine entsprechende Unterbringung der zu überstellenden Personen gewährleistet werden könne, erfolge die Zustimmung zur Rückübernahme. Damit sei eine auch nur vorübergehende Obdachlosigkeit grundsätzlich ausgeschlossen; zwar habe es einen Fall gegeben, in dem die Unterbringung im SAI trotz entsprechender Zusage nicht habe sofort gewährleistet werden können. Indessen habe sich die italienische Polizei sofort um die Familie gekümmert und für eine temporäre Unterbringung noch am gleichen Tag gesorgt. Diese Ausführungen relativieren zugleich andere Auskünfte, denen zufolge rücküberstellte Personen an den Flughäfen alleingelassen würden und keinerlei Unterstützung erführen (Raphaelswerk e. V., Italien: Informationen für Geflüchtete, die nach Italien rücküberstellt werden, Oktober 2022, S. 18; SFH, Auskunft an VG Karlsruhe, 29. April 2022, S. 1 f.).

69 cc) Unter Zugrundelegung dieser aktuellen Erkenntnislage erscheint eine familien- und kindgerechte Unterbringung unmittelbar nach einer Rückkehr nach Italien und für einen Zeitraum von mindestens zwölf Monaten grundsätzlich gewährleistet und eine – auch nur vorübergehende – Obdachlosigkeit nicht beachtlich wahrscheinlich. Dass Nichtregierungsorganisationen dennoch von Fällen berichten, in denen unmittelbar nach Ankunft keine Unterstützung zur Verfügung gestanden habe, steht dieser Annahme nicht entgegen. Denn diese wenig konkreten Informationen beziehen sich auf Einzelfälle, bei denen zudem unklar bleibt, ob und welche Absprachen es gegeben haben soll. Auch der Einwand der Klägerinnen, dieses Rücknahmeverfahren setze zu spät, nämlich erst im Zeitpunkt des Vollzugs nach bereits bestands- oder rechtskräftiger Unzulässigkeitsentscheidung an (so auch OVG Koblenz, Beschluss vom 23. Januar 2024 - 13 A 10945/22.OVG - juris Rn. 42; OVG Weimar, Urteil vom 20. Dezember 2023 - 2 KO 425/23 - juris Rn. 78 ff.), vermag die vorgenannte Einschätzung nicht zu erschüttern. Zwar sind die Unterbringungsmöglichkeiten bereits bei der Prüfung der Unzulässigkeit des Asylantrags zu berücksichtigen und dort im Rahmen der Prognose einer möglichen Verletzung des Art. 4 GRC und Art. 3 EMRK bei Rückkehr nach Italien einzubeziehen. Da es sich jedoch um ein etabliertes Verfahren handelt, dessen (automatisierte) Durchführung bereits im Zeitpunkt der Prüfung der Unzulässigkeitsentscheidung nach § 29 Abs. 1 Nr. 2 AsylG feststeht und nach der aktuellen Erkenntnislage eine Wiederaufnahme dieser vulnerablen Personengruppe im SAI zudem grundsätzlich möglich erscheint, kann bereits im Zeitpunkt der Unzulässigkeitsentscheidung auf dieses besondere Rückführungsverfahren abgestellt und für diesen Personenkreis von einer (künftigen) familien- und kindgerechten Unterbringung in einer SAI-Einrichtung ausgegangen werden. Weiterer Vorkehrungen oder einer individuellen Zusicherung bedarf es hiernach nicht mehr (vgl. auch EGMR, Entscheidungen vom 23. März 2021 - Nr. 46595/19 - Rn. 50 ff. und vom 20. April 2021 - Nr. 41100/19 - Rn. 36 ff.).

70 Der Senat verfügt angesichts der vorgenannten Erkenntnismittel über genügend eigene Sachkunde für die Einschätzung, dass international Schutzberechtigte der vorgenannten vulnerablen Personengruppe bei einer Rückkehr nach Italien in das SAI wiederaufgenommen werden können. Der Beweisanregung der Klägerinnen, eine Auskunft des Auswärtigen Amtes dazu einzuholen, dass sie im Falle einer Rückkehr nach Italien nicht zeitnah erneut in einer SAI-Einrichtung untergebracht werden können, war daher nicht nachzugehen. Zudem ist eine Beweiserhebung zu den individuellen Umständen ausgeschlossen (vgl. hierzu bereits unter 2.1 a)).

[...]

72 d) Auch im Anschluss an die Unterbringung und Versorgung im SAI ist angesichts der dort angebotenen Hilfen bei der Integration in die italienische Gesell-schaft, insbesondere der Unterstützung bei der Suche nach einer weiteren Unterkunft, einer Arbeitsstelle sowie beim Schul- und Kindergartenbesuch, nicht davon auszugehen, dass dem hier zu betrachtenden Personenkreis in einem engen zeitlichen Zusammenhang eine Verelendung mit hoher Wahrscheinlichkeit droht. Es bestehen hinreichende Möglichkeiten, ein angemessenes Obdach (aa) zu erhalten. Zur Gewährleistung der weiteren Grundbedürfnisse dürften nach Italien zurückkehrende als international schutzberechtigt anerkannte Elternteile mit einem Grundschulkind und einem Kind von unter drei Jahren zwar voraussichtlich nicht oder jedenfalls nicht in hinreichendem Umfang auf staatli-che Sozialleistungen zurückgreifen können, wobei gewisse Familienleistungen auch für international Schutzberechtigte erreichbar erscheinen (bb). Auch alleinerziehende Elternteile können in Italien aber eine Beschäftigung aufnehmen und mit dem Erwerbseinkommen – gegebenenfalls mit den bereits erwähnten anderweitigen Unterstützungsleistungen – die Befriedigung der elementarsten Bedürfnisse für sich und die Kinder erwirtschaften (cc). Die Sorge um die Kinder steht dem nicht entgegen, da diese in der Schule, im Kindergarten oder an-derweitig betreut werden können (dd). Schließlich ist auch die medizinische Versorgung gewährleistet (ee).

73 aa) Die Erkenntnislage zur Unterkunftssituation in den Bereichen öffentlicher bzw. sozialer Wohnraum ((1)), regulärer Wohnungsmarkt ((2)) sowie (Not-)Unterkünften bei kirchlichen, kommunalen, anderen nichtstaatlichen Organisationen sowie Privatleuten ((3)) stellt sich aktuell wie im Folgenden beschrieben dar. Eine Gesamtwürdigung auf dieser aktuellen Grundlage rechtfertigt angesichts der seitens des SAI zu erwartenden Unterstützung bei der Wohnungssuche und einer von dem betroffenen Elternteil an den Tag zu legenden Eigeninitiative im Einklang mit dem Berufungsgericht (VGH München, Urteil vom 21. März 2024 - 24 B 23.30860 - UA S. 14 f.) die Einschätzung, dass der hier be-zeichnete vulnerable Personenkreis nach Ausscheiden aus dem SAI eine für Familien mit Kindern genügende Unterkunft wird erhalten können ((4)).

[...]

87 (4) Gerade die hier zu beurteilende vulnerable Personengruppe des als international schutzberechtigt anerkannten alleinerziehenden Elternteils mit einem Grundschulkind und einem Kleinkind unter drei Jahren kann zwar nicht auf sämtliche (Not-)Unterkünfte (vgl. zu informellen Siedlungen, behelfsmäßigen Camps und Notunterkünften BVerwG, Urteile vom 21. November 2024 - 1 C 23.23 - Rn. 81 f. und - 1 C 24.23 - Rn. 82 f.) verwiesen werden, insbesondere sind ständig wechselnde Schlafplätze, die zudem nur nachts aufgesucht werden können und tagsüber verlassen werden müssen, sowie prekäre hygienische Ver-hältnisse für den vorgenannten extrem verletzlichen Personenkreis unzumutbar; sie erfüllen die Anforderungen an eine familien- und kindgerechte Unterbringung nicht. Es besteht aber nach den aktuellen Erkenntnismitteln ein brei-tes Angebot an Unterkunftsmöglichkeiten verschiedenster Art von einer Vielzahl von Nichtregierungsorganisationen, insbesondere auch der Kirchen oder durch eine familiäre Aufnahme bei Privatleuten. Auch erhält die hier zu beurteilende Personengruppe vor ihrem Ausscheiden aus dem SAI Hilfe bei ihrer Integration in die italienische Gesellschaft, insbesondere auch bei der Suche nach einer geeigneten Unterkunft, und kann bereits während ihrer Unterbringung im SAI entsprechende vorbereitende Maßnahmen treffen und weiterführende Kontakte knüpfen. Eine Art. 4 GRC widersprechende Obdachlosigkeit ist daher auch jenseits der Unterbringung in einer SAI-Einrichtung nicht in engem zeitlichen Zusammenhang mit der erforderlichen hohen Wahrscheinlichkeit zu erwarten.

88 bb) Als international schutzberechtigt anerkannte Elternteile mit einem Grundschulkind und einem Kleinkind von unter einem Jahr können ihre Grundbedürfnisse zwar voraussichtlich nicht oder jedenfalls nicht in hinreichendem Maße durch Inanspruchnahme staatlicher Sozialleistungen sichern; gewisse Familienleistungen wie insbesondere das sog. "assegno unico" (Kindergeld) er-scheinen aber auch für international Schutzberechtigte nach den Umständen des Einzelfalls erreichbar (so auch das Berufungsgericht, Urteil vom 21. März 2024 - 24 B 23.30860 - UA S. 16; OVG Schleswig, Urteil vom 25. Januar 2024 - 4 LB 4/23 - juris Rn. 103 ff.).

[...]

93 (2) Für international Schutzberechtigte der hier zu betrachtenden vulnerablen Personengruppe mit einem Grundschulkind und einem Kleinkind unter drei Jahren besteht nach den Umständen des Einzelfalls in begrenztem Umfang die Möglichkeit, Leistungen für Familien zu erhalten.

94 (a) Dies gilt vor allem für die einheitliche und universelle Zulage für unterhaltsberechtigte Kinder (sog. assegno unico e universale per i figli a carico - Kinder-geld). Diese Zulage ist eine finanzielle Unterstützung für Familien mit unterhaltsberechtigten Kindern (vgl. Instituto Nazionale della Previdenza Sociale, nachfolgend INPS, Einheitliche und universelle Zulage für unterhaltsberechtigte Kinder vom 30. Dezember 2021, zuletzt aktualisiert 1. März 2024, abrufbar un-ter: www.inps.it/it/it/dettaglio-scheda.it.schede-servizio-stru-mento.schede-servizi.assegno-unico-e-universale-per-i-figli-a-carico-55984.as-segno-unico-e-universale-per-i-figli-a-carico.html). Dabei zählen zu dem zunächst in Art. 2 Nr. 1 Buchst. f des "Legge 1 aprile 2021, n. 46" und später in Art. 3 des "Decreto legislativo n. 230/21" geregelten potentiell anspruchsberechtigten Personenkreis auch international Schutzberechtigte. Das dem zuständigen Ministerium für Arbeit und Sozialpolitik (Ministerio del Lavoro e delle Politiche Sociali) unterstellte INPS (vgl. Deutsche Botschaft Rom, Sozialpolitischer Jahresbericht Italien, Berichtszeitraum: Oktober 2022 bis April 2024, S. 23) hat in zwei Rundschreiben insoweit ausdrücklich klargestellt, dass auch politische Flüchtlinge sowie Inhaber internationalen Schutzes, die italienischen Staatsbür-gern gleichgestellt sind, Kindergeld beziehen können (Art. 27 des Gesetzes-dekrets Nr. 251 vom 19. November 2007 und Art. 2 der Verordnung (EG) Nr. 883/2004 zur Koordinierung der Systeme der sozialen Sicherheit). Art. 27 des Gesetzesdekrets Nr. 251 vom 19. November 2007 lautet in deutscher Über-setzung: "Inhaber der Flüchtlingseigenschaft und des subsidiären Schutzstatus haben Anspruch auf die gleiche Behandlung wie italienische Staatsangehörige im Bereich der Sozial- und Gesundheitshilfe" (vgl. zum Ganzen INPS, Rund-schreiben Nr. 23 vom 9. Februar 2022, abrufbar unter: www.inps.it/it/it/inps-comunica/atti/circolari-messaggi-e-normativa/dettaglio.circolari-e-messaggi.2022.02.circolare-numero-23-del-09-02-2022_13712.html sowie Rundschreiben Nr. 41 vom 7. April 2023, abrufbar un-ter: www.inps.it/it/it/inps-comunica/atti/circolari-messaggi-e-norma-tiva/dettaglio.circolari-e-messaggi.2023.04.circolare-numero-41-del-07-04-2023_14128.html; so auch L.A.W., Assegno unico universale - all-inclusive fam-ily allowance 2022, abrufbar unter: www.asgi.it/wp-content/up-loads/2022/06/AUU_23.05.pdf und Refugee.info Italy, Financial support and bonuses in Italy, 7. Oktober 2024, https://italy.refugee.info/en-us/articles/5388918400663).

95 Das Kindergeld wird geleistet für das unterhaltsberechtigte minderjährige Kind oder das unterhaltsberechtigte, in der Schule, in Ausbildung oder Studium befindliche volljährige Kind bis zum Alter von 21 Jahren und das unterhaltsberechtigte behinderte Kind ohne Altersbeschränkung. Weitere Voraussetzungen für den Bezug sind die Einkommensteuerpflicht sowie ein Wohnsitz in Italien. Zudem muss der Antragsteller für mindestens zwei Jahre in Italien wohnhaft sein oder gewesen sein, auch wenn es sich nicht um einen kontinuierlichen Aufenthalt handeln muss, oder über einen unbefristeten Arbeitsvertrag oder einen befristeten Arbeitsvertrag mit einer Dauer von mindestens sechs Monaten ver-fügen (INPS, Einheitliche und universelle Zulage für unterhaltsberechtigte Kinder vom 30. Dezember 2021, zuletzt aktualisiert am 1. März 2024, abrufbar un-ter: www.inps.it/it/it/dettaglio-scheda.it.schede-servizio-stru-mento.schede-servizi.assegno-unico-e-universale-per-i-figli-a-carico-55984.as-segno-unico-e-universale-per-i-figli-a-carico.html). Ob diese weiteren Voraus-setzungen gegeben sind, ist in jedem Einzelfall gesondert zu beurteilen. Jedenfalls ist – und insoweit anders als bei dem SFL ("supporto per la formazione e il lavoro", Ausbildungs- und Arbeitsunterstützung) und dem ADI ("assegno di inclusione", Eingliederungsbeihilfe) – kein ununterbrochener Voraufenthalt erforderlich, ein früherer zweijähriger Aufenthalt reicht aus.

[...]

97 Der Senat verfügt angesichts der vorgenannten Erkenntnismittel über genügend eigene Sachkunde für die Einschätzung, dass international Schutzberechtigte zum potenziell begünstigten Personenkreis für das sogenannte "assegno unico" gehören. Die Frage, ob die übrigen Voraussetzungen, insbesondere die Voraufenthaltszeit von zwei Jahren, erfüllt sind, ist hingegen eine Frage des Einzelfalls. Der Beweisanregung der Klägerinnen, ein Sachverständigengutach-ten, hilfsweise eine Auskunft des Auswärtigen Amtes einzuholen, dass Personen mit internationalem Schutz in Italien nicht die Voraussetzungen erfüllen, das sogenannte "assegno unico" (Kindergeld) zu erhalten, war daher ebenfalls nicht weiter nachzugehen.

98 (b) Die staatliche Mutterschaftszulage für atypische und nicht kontinuierliche Erwerbstätigkeit dürfte hingegen für alleinerziehende als international schutzberechtigt anerkannte Mütter mit Grundschulkind und Kleinkind unter drei Jahren regelmäßig nicht erreichbar sein. Sie ist eine Leistung der sozialen Sicherheit, die vom Staat gezahlt und direkt vom INPS gewährt und ausgezahlt wird. Die Höhe der Zulage wird dabei jedes Jahr auf der Grundlage der Entwicklung des ISTAT-Verbraucherpreisindexes neu bewertet und ist in den einschlägigen INPS-Mitteilungen und Rundschreiben beziffert. Voraussetzung ist unter anderem, dass die Mutter im Zeitpunkt der Geburt des Kindes oder des Eintritts des Adoptiv- oder Pflegekindes in die Familie in Italien wohnt. Zudem muss sie – wenn sie erwerbstätig ist – mindestens drei Monate Mutterschaftsbeiträge gezahlt haben oder – wenn sie arbeitslos ist – mindestens drei Monate in der Vergangenheit gearbeitet haben (INPS, Staatliches Mutterschaftsgeld, veröffentlicht 3. April 2017, zuletzt aktualisiert am 11. September 2023, abrufbar unter: www.inps.it/it/it/dettaglio-scheda.it.schede-servizio-stru-mento.schede-servizi.assegno-di-maternit-dello-stato-50580.assegno-di-mater-nit-dello-stato.html). Hieran dürfte es bei einer aus Deutschland zurückkehrenden Mutter mit Grundschulkind und Kleinkind von unter drei Jahren regelmäßig fehlen.

[...]

101 (e) Neben den genannten Leistungen auf nationaler Ebene gibt es vielerorts re-gionale oder kommunale Vergünstigungen unterschiedlicher Art und Höhe (siehe noch BFA, Länderinformation der Staatendokumentation, Italien, 11. November 2020, S. 24), über die auf lokalen Internetseiten oder durch das lokale CAF (Centro di assistenza fiscale) oder Patronato informiert wird (Refugee.info Italy, Financial support and bonuses in Italy, 7. Oktober 2024, italy.re-fugee.info/en-us/articles/5388918400663; Revisionserwiderung der Beklagten, 29. Mai 2024, S. 9, mit beispielhaften Nachweisen). Die Wahrscheinlichkeit, mit der erwerbsfähige international Schutzberechtigte mit minderjährigen Kindern derartige Leistungen erhalten können, kann auf der Grundlage der verfahrensgegenständlichen Erkenntnisquellen nicht verlässlich beurteilt werden. Denn Art, Höhe, regionale Verfügbarkeit und die genauen Voraussetzungen lokaler Leistungen können von Region zu Region und von Gemeinde zu Gemeinde variieren (Refugee.info Italy, Financial support and bonuses in Italy, 7. Oktober 2024, italy.refugee.info/en-us/articles/5388918400663). Einer weiteren Aufklärung oder Konkretisierung dieser Hilfeleistungen bedarf es nicht, weil auch alleinerziehende Schutzberechtigte mit einem Grundschulkind und einem Kind unter drei Jahren ihre zur Abwendung einer Verelendung notwendigen Grundbedürfnisse anderweitig sicherstellen können (zur Unterbringung und Versorgung im SAI siehe oben unter c), zur weiteren Versorgung siehe unter d)).

102 (3) Angebote von Hilfsorganisationen und karitativen Einrichtungen können zur Abwendung einer extremen Notlage zumindest beitragen. Anders als bei der ersten Unterbringung im SAI ist bei den sich anschließenden Unterbringungsmöglichkeiten eine Verpflegung zwar häufig nicht inbegriffen. Teilweise ist das aber durchaus der Fall. So kann die Verpflegung insbesondere bei der Unterbringung in Familien oder auch in kirchlichen Einrichtungen gewährleistet sein. Es gibt eine ganze Reihe karitativer, teils kirchlicher Einrichtungen, die Mahlzeiten anbieten (vgl. für Rom Sant'Egidio 2024, Roma - Dove mangiare, dor-mire, lavarsi, S. 11 ff.). Zudem bieten etwa kommunale Unterkünfte Bett, Bad und drei Mahlzeiten (vgl. BAMF, Auskunft an OVG Bautzen, 4. Februar 2022, S. 7). Kommunen bewerten die individuelle Unterstützungsbedürftigkeit der Antragsteller und vergeben – ohne Rechtsanspruch – Leistungen im Rahmen der verfügbaren Budgets (BAMF, a. a. O., S. 13). Auch die Schweizerische Flüchtlingshilfe erwähnt karitative Suppenküchen (SFH, Auskunft an VG Karlsruhe, 29. April 2022, S. 5).

103 cc) Alleinerziehende international Schutzberechtigte können in Italien eine Beschäftigung aufnehmen und mit dem Erwerbseinkommen – gegebenenfalls mit den bereits erwähnten anderweitigen Unterstützungsleistungen – die Befriedigung ihrer elementarsten Bedürfnisse für sich und die Kinder erwirtschaften.

104 (1) Das wirtschaftliche Existenzminimum ist immer dann gesichert, wenn erwerbsfähige Personen durch eigene, notfalls auch wenig attraktive und ihrer Vorbildung nicht entsprechende Arbeit, die grundsätzlich zumutbar ist, oder durch Zuwendungen von dritter Seite jedenfalls nach Überwindung von Anfangsschwierigkeiten das zu ihrem Lebensunterhalt und dem der Kinder unbedingt Notwendige erlangen können. Zu den im vorstehenden Sinne zumutbaren Arbeiten zählen auch Tätigkeiten, für die es keine Nachfrage auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt gibt, die nicht überkommenen Berufsbildern entsprechen und die nur zeitweise, etwa zur Deckung eines kurzfristigen Bedarfs, ausgeübt werden können, selbst wenn diese im Bereich der sogenannten "Schatten- oder Nischenwirtschaft" angesiedelt sind (BVerwG, Urteil vom 21. April 2022 - 1 C 10.21 - BVerwGE 175, 227 Rn. 17 m. w. N.).

105 Soweit die Schattenwirtschaft bei einer weiten Definition auch kriminelle und andere staatlich sanktionierte Tätigkeiten erfasst (vgl. Schneider/Boockmann, Die Größe der Schattenwirtschaft - Methodik und Berechnungen für das Jahr 2024, Institut für angewandte Wirtschaftsforschung e. V. an der Johannes Kepler Universität Linz, Linz/Tübingen, vom 30. Januar 2024, S. 5 f.), können Schutzberechtigte darauf zur Existenzsicherung allerdings nicht verwiesen werden. Eine Tätigkeit, bei der die Schutzberechtigten selbst einer straf- oder ordnungswidrigkeitsrechtlichen Verfolgung ausgesetzt wären, ist ihnen nicht zuzumuten. Anders verhält es sich bei einer Erwerbstätigkeit, die im Prinzip auch le-gal ausgeübt werden kann, die jedoch den öffentlichen Stellen zur Vermeidung von Steuern und Sozialbeiträgen nicht gemeldet wird, sofern dies für den Schutzberechtigten als Arbeitnehmer nicht sanktionsbewehrt ist oder Sanktionen gegen ihn jedenfalls tatsächlich nicht verhängt werden (dazu noch offenlas-send BVerwG, Beschluss vom 17. Januar 2022 - 1 B 66.21 - juris Rn. 30). Unter diesen Voraussetzungen ist Schutzberechtigten daher – zumindest für eine Übergangszeit – auch Schwarzarbeit zumutbar. Die allgemeinen Bemühungen der Europäischen Union und Italiens zur Bekämpfung von Schwarzarbeit stehen dem nicht entgegen (anders OVG Münster, Urteil vom 21. Januar 2021 - 11 A 2982/20.A [ECLI:DE:OVGNRW:2021:0121.11A2982.20A.00] - juris Rn. 84 ff.; VG Gelsenkirchen, Beschluss vom 23. August 2024 - 18a L 1299/24.A [ECLI:DE:VGGE:2024:0823.18A.L1299.24A.00] - juris Rn. 24 ff.). Ist Schwarz-arbeit in der Bevölkerung derart weit verbreitet wie in Italien (dazu unter cc) (2) (c)), kann ihre effektive Bekämpfung nicht mehr durch das Verhalten von Ein-zelpersonen, sondern nur noch durch engmaschige staatliche Kontrollen und spürbare Sanktionierungen von Arbeit- und Auftraggebern bei Verstößen erreicht werden (vgl. OVG Schleswig, Urteil vom 25. Januar 2024 - 4 LB 3/23 [ECLI:DE:OVGSH:2024:0125.4LB3.23.00] - juris Rn. 104; ebenso im Ergebnis VGH Kassel, Urteil vom 6. August 2024 - 2 A 1131/24.A [ECLI:DE:VGHHE:2024:0806.2A1131.24.00] - juris Rn. 117, zu Griechenland sowie VG Hamburg, Urteil vom 15. August 2024 - 12 A 3228/24 [ECLI:DE:VGHH:2024:0815.12A3228.24.00] - juris Rn. 75 m. w. N.).

106 (2) Die Einschätzung des Berufungsgerichts (VGH München, Urteil vom 21. März 2024 - 24 B 23.30860 - UA S. 15), wonach nach Italien zurückkehrende alleinerziehende international Schutzberechtigte mit einem Grundschulkind und einem Kind unter drei Jahren im Anschluss an die Unterbringung im SAI grundsätzlich auch durch die Aufnahme einer Erwerbstätigkeit (mit) für ihren Lebensunterhalt sorgen könnten, deckt sich mit der aktuellen Erkenntnislage. Danach haben die Betroffenen Zugang zum italienischen Arbeitsmarkt ((a)), die aktuelle Arbeitsmarktlage lässt eine Beschäftigungsmöglichkeit hinreichend wahrscheinlich erscheinen ((b)) und es besteht jedenfalls auch die Möglichkeit einer in Italien zumutbaren informellen Erwerbstätigkeit in Form von Schwarzarbeit ((c)).

[...]

114 (c) Schattenwirtschaft ist in Italien weit verbreitet. Sie deckte 2023 21,6 % des italienischen Bruttoinlandsprodukts ab und lag in den vergangenen 10 Jahren um die 20 % (Statista, Prognose zum Umfang der Schattenwirtschaft in Ländern der OECD 2024, 28. Mai 2024). Schwarzarbeit gilt in Italien als "Kavaliersdelikt". Etwa 10 % der Bevölkerung Italiens arbeiteten nach Angaben des italienischen Statistikamtes ISTAT in der Schattenwirtschaft, eine Million Haushalte leben ausschließlich von irregulärer Arbeit (Handelsblatt, Schattenwirtschaft, Italien forciert den Kampf gegen Steuerhinterziehung und Schwarzarbeit, 18. August 2020). Schätzungen zufolge arbeiten in Italien mindestens 3,7 Millionen Menschen illegal, das heißt ohne steuerliche Abgaben zu leisten und vertraglich oder beitragsrechtlich abgesichert zu sein. ISTAT schätzte für 2019 den Anteil der "nicht beobachtbaren Wirtschaft" (Summe aus Schwarzarbeit und weiterer illegaler Angaben) auf 11,3 % des Bruttoinlandsprodukts (AA, BMI und BAMF, Gemeinsamer Bericht, September 2022, S. 18).

115 Schwarzarbeit wird europaweit bekämpft. Das Europäische Parlament und der Rat haben durch Beschluss 2016/344/EU vom 9. März 2016 (ABl. L 65 vom 11. März 2016 S. 12) eine "Europäische Plattform zur Stärkung der Zusammenarbeit bei der Bekämpfung nicht angemeldeter Erwerbstätigkeit" eingerichtet, die unter anderem den Ländern der Europäischen Union helfen solle, wirksamer den verschiedenen Formen der Schwarzarbeit zu begegnen (vgl. OVG Münster, Urteil vom 20. Juli 2021 - 11 A 1689/20.A [ECLI:DE:OVGNRW:2021:0720.11A1689.20A.00] - juris Rn. 133 f.). Auch Italien versucht, mit umfangreichen Maßnahmen gegen Schwarzarbeit vorzugehen; so drohen etwa bei Verstößen Geldstrafen von 2 000 bis 50 000 € (Handelsblatt, Schattenwirtschaft, Italien forciert den Kampf gegen Steuerhinterziehung und Schwarzarbeit, 18. Au-gust 2020). In den vergangenen Jahrzehnten ist in Italien ein dramatischer Anstieg von Schwarzarbeit, illegalen Anwerbungsmethoden und damit einhergehender Ausbeutung von ausländischen Arbeitskräften zu verzeichnen gewesen (sog. "caporalato"). Zur Bekämpfung dieser Zustände sind bestehende Strafen verschärft und neue Straftatbestände gegen kriminelle Arbeitgeber geschaffen worden; der italienische Staat gehe vermehrt gegen illegale Beschäftigung und Ausbeutung von Ausländern vor (RESPOND, Integration, Policies, Practices and Experiences, Italy Country Report, 1. Juni 2020, S. 27 f.). Die Beklagte verweist auf das Gesetz 199/2016, durch das strengere Maßnahmen gegen die Ausbeutung von Arbeitskräften und die nicht angemeldete Erwerbstätigkeit eingeführt wurden, wobei ein besonderer Schwerpunkt auf dem Agrarsektor liegt. Das Arbeitsministerium hat einen "Arbeitsausschuss für die Festlegung einer neuen Strategie zur Bekämpfung der illegalen Anwerbung und Ausbeutung von Arbeitskräften in der Landwirtschaft" eingesetzt. In diesem Ausschuss sind mehrere Institutionen, sowohl auf zentraler als auch auf lokaler Ebene, Sozial- und Wirtschaftspartner sowie internationale Organisationen vertreten. Der Aus-schuss steht unter dem Vorsitz des Arbeitsministers und sein Mandat läuft bis 2025. Im ganzen Land wurden zahlreiche Maßnahmen finanziert, durchgeführt und geplant, um das Phänomen der Ausbeutung von Arbeitskräften zu überwa-chen und zu bekämpfen. Diese Maßnahmen konzentrieren sich auch auf die Identifizierung, den Schutz und die Unterstützung der Opfer von Arbeitsaus-beutung, wobei ausländischen Bürgern besondere Aufmerksamkeit gewidmet wird. "Nicht angemeldete" oder "irreguläre" Arbeit ist in Italien illegal und wird nach mehreren verwaltungs-, straf- und zivilrechtlichen Bestimmungen geahndet und verfolgt. Zu den einschlägigen Vorschriften gehören das Gesetzesdekret Nr. 81/2015, das die Sicherheit am Arbeitsplatz regelt und Strafen für nicht angemeldete Erwerbstätigkeit vorsieht, das Gesetzesdekret Nr. 151/2015, das die Arbeit auf der Grundlage von Gutscheinen regelt, sowie die Höchstdauer von nicht angemeldeten Arbeitsverhältnissen gemäß Art. 2222 des Zivilgesetzbuchs und das Gesetzesdekret Nr. 12/2002. Das Strafgesetzbuch stellt verschiedene Formen der menschlichen Ausbeutung wie Sklaverei (Art. 600), Menschenhandel, auch zum Zwecke der Ausbeutung der Arbeitskraft (Art. 601), Zwangsarbeit, Arbeitsausbeutung und illegale Vermittlung (Art. 603-bis und 603-ter) unter Strafe. Das Migrationsgesetz (Gesetzesdekret 286/1998) gewährleistet gleiche Beschäftigungschancen für ausländische Arbeitnehmer (Art. 2) und bestraft irreguläre Einwanderung aufgrund von Menschenhandel (Art. 12). Es schützt auch die Opfer von Gewalt und schwerer Ausbeutung, einschließlich der Ausbeutung von Arbeitskräften und illegaler Anwerbung (Art. 18, 18-bis und 22). Unter den Initiativen der Regierung Meloni zur Wiederbelebung der italienischen Wirtschaft liegt ein besonderer Schwerpunkt auf der Bekämpfung der Schwarzarbeit. Im Dezember 2022 wurde der Nationale Plan zur Bekämpfung der Schwarzarbeit 2023 - 2025 aufgestellt, der die Einrichtung des Nationalen Portals für Schwarzarbeit (PNS), die Erhöhung der Kontrollen am Arbeitsplatz um 20 % und die Verschärfung von Sanktionen vorsieht. Mit Dekret des Ministers für Arbeit und Sozialpolitik Nr. 57/2023 vom 6. April 2023 wurde ein Nationaler Ausschuss zur Verhütung und Bekämpfung der Schwarzarbeit mit der Aufgabe eingesetzt, die Umsetzung und den Fortschritt der im nationalen Plan vorgesehenen Aktivitäten zu koordinieren und zu überwachen. Ein weiteres Dekret Nr. 58/2023 vom 6. April 2023 zur Aktualisierung des Nationalen Plans zur Bekämpfung von Schwarzarbeit für den Dreijahreszeitraum 2023 - 2025 und des Umsetzungsfahrplans enthält "Maßnahmen zur Förderung der regulären Beschäftigung ausländischer Arbeitskräfte in der Landwirtschaft durch die Bekämpfung illegaler Ansiedlungen und die Förderung aktiver politischer Aktionen", durch Vorbeugung, Überwachung und Bekämpfung des Phänomens, Schutz und Hilfe für die Opfer der Ausbeutung und die Wiedereingliederung in die Arbeitswelt. Hierunter fallen die Vorgaben zur Umwandlung in angemeldete Arbeitsverhältnisse. Laut dem Bericht der amerikanischen NGO Freedom House (https://freedomhouse.org/country/italy/freedom-world/2023) bestehe hinsichtlich Menschenhandel und Ausbeutung von Arbeitskräften aber weiterhin Anlass zur Sorge, insbesondere in Bezug auf Asylsuchende, Flüchtlinge und Migranten aus Osteuropa. Die Covid-19-Pandemie und die Energiekrise nach Beginn des Kriegs in der Ukraine hätten die Anfälligkeit der Migranten für Aus-beutung und die Verschlechterung der Arbeits- und Lebensbedingungen gesteigert. Der Handel mit Frauen und Mädchen zum Zwecke der sexuellen Ausbeutung gebe ebenso weiterhin Anlass zur Sorge (Revisionserwiderung vom 29. Mai 2024, S. 15).

[...]

119 dd) Aktuell stellt sich die Erkenntnislage zu den Möglichkeiten der Kinderbetreuung ((1)) sowie von Zuschüssen für die Kosten der Kinderbetreuung ((2)) wie im Folgenden beschrieben dar. Eine Gesamtwürdigung auf dieser aktuellen Grundlage ((3)) rechtfertigt die Einschätzung, dass es trotz des Mangels insbesondere an Krippenplätzen für Kleinkinder unter drei Jahren mit der Hilfe und Unterstützung durch das SAI und erwartbarer eigener Anstrengungen möglich sein wird, die für die Aufnahme einer Erwerbstätigkeit notwendige Kinderbetreuung sicherzustellen.

[...]

121 Die Kinderbetreuung des "servizi educativi per l`infanzia" für die jüngsten Kin-der kann sowohl in Zentren stattfinden, aber auch zu Hause durchgeführt werden. Am häufigsten ist die Betreuung in Kinderkrippen ("nidi d'infanzia") für Kinder zwischen 3 und 36 Monaten, daneben gibt es für Kinder zwischen 24 und 36 Monaten unter bestimmten Voraussetzungen auch die Möglichkeit, bereits in den Kindergarten ("scuola dell'infanzia") zu gehen. Schließlich umfasst das System auch noch einen ergänzenden alternativen Service, der darauf abzielt, noch stärker auf die Bedarfe von Familien mit einer flexibleren Organisation und Struktur einzugehen. Öffnungszeiten sowie Größe der Kinderkrippen variieren, gemeinsam ist, dass für das Wohlergehen der Kinder einschließlich Mahlzeiten und Schlafzeiten gesorgt ist. Der Besuch dieser Kinderbetreuungseinrichtungen oder die Inanspruchnahme alternativer Betreuungsmöglichkeiten ist fakultativ und kostet sowohl in staatlichen als auch in privaten Einrichtungen Gebühren, wobei es vor allem in öffentlichen Einrichtungen regional Befreiungen von den Gebühren oder Ermäßigungen je nach dem Einkommen der Familie geben kann. In privaten Einrichtungen sind regelmäßig die vollen Kosten zu entrichten, es kann aber Ermäßigungen geben, z. B. bei Geschwistern. Diese Betreuungsdienste für Kinder im Alter von 0 bis 3 Jahren werden direkt oder indirekt von den Gemeinden oder von privaten und anderen öffentlichen Einrichtungen auf der Grundlage der in regionalen Vorschriften festgelegten Kriterien betrieben. Das italienische Ministerium für Bildung und Verdienste trägt die allgemeine Verantwortung für die Zuweisung finanzieller Ressourcen an lokale Behörden, für die Bereitstellung von Bildungsrichtlinien und für die Förde-rung des integrierten Systems auf lokaler Ebene.

[...]

123 Es gibt keinen Anspruch auf einen Kinderkrippen- oder Kindergartenplatz. Gerade die Verteilung von Kinderbetreuungsplätzen in Italien für Kinder unter drei Jahren ist nicht homogen; ihre Präsenz in dem Gebiet hängt von der lokalen Politik oder den Initiativen privater Unternehmen oder Vereine ab (Europäische Kommission, Eurydice - 4.1 Access, letztes Update: 27. November 2023, abrufbar unter: eurydice.eacea.ec.europa.eu/national-education-sys-tems/italy/access). Die Zulassungsvoraussetzungen werden auf lokaler Ebene festgelegt. Lokale Behörden erstellen Prioritätenlisten, um die Zulassung zu regeln, falls weniger Plätze verfügbar sind als beantragt. Im Allgemeinen stellen Familien einen Antrag auf Zulassung bei der zuständigen örtlichen Geschäftsstelle, die für die Organisation zuständig ist. Familien haben die freie Wahl zwischen den Diensten derselben Gemeinde und können auch mehrere Optionen angeben. In der Regel ist es auch möglich, den Antrag bei einer anderen Gemeinde zu stellen, wobei die Zulassung an örtlich festgelegte Bedingungen geknüpft ist. Kinder mit sonderpädagogischem Förderbedarf haben in ihrer eigenen und in anderen Gemeinden Vorrang (Europäische Kommission, Eurydice - National Education Systems, 4. Early childhood education and care, letztes Up-date: 22. Mai 2024, abrufbar unter: eurydice.eacea.ec.europa.eu/na-tional-education-systems/italy/early-childhood-education-and-care; dies., 4.2 Organisation of centre-based ECEC, letztes Update: 27. November 2023, abrufbar unter: https://eurydice.eacea.ec.europa.eu/national-education-systems/italy/organisation-centre-based-ecec).


124 Obwohl Kindergärten für Kinder von drei bis sechs Jahren nicht verpflichtend sind, verfolgt der italienische Staat die Politik, das Angebot auszubauen. So wurden Kindergärten in Gebieten des Landes eingerichtet, in denen es bislang kein solches Angebot gibt oder in denen das Angebot unzureichend ist. Die Wahl des Kindergartens ist den Eltern freigestellt. Die einzigen Einschränkungen können auf einen Mangel an verfügbaren Plätzen oder auf einen Mangel an Schulpersonal für jede Schule zurückzuführen sein. Übersteigt die Anzahl der Anfragen die Anzahl der verfügbaren Plätze, legt jede Schule ihre eigenen Zulassungskriterien fest (Europäische Kommission, Eurydice - 4.1 Access, letztes Update: 27. No-vember 2023, abrufbar unter: https://eurydice.eacea.ec.europa.eu/national-education-systems/italy/access).


125 Schulpflicht besteht ab dem sechsten Lebensjahr und endet nach 10 Schuljahren. Eine vollständige Schulausbildung umfasst 13 Jahre. Die Schulbildung von mindestens 10 Jahren ist obligatorisch und unentgeltlich. Bedürftige, aber mit-tellose Personen haben das gleiche Recht wie andere, ihre Ausbildung fortzusetzen, und zwar durch Beihilfen und Stipendien (Deutsche Botschaft Rom, Sozialpolitischer Jahresbericht Italien, Berichtszeitraum: Oktober 2022 bis April 2024, S. 10).

126 Dass es in Italien an Plätzen insbesondere für die Betreuung von Kleinkindern unter drei Jahren mangelt, zeigen die Erkenntnisquellen: So erfolge die Betreuung von Kleinkindern – vor allem im Süden – ganz überwiegend in der Familie, bei der Mutter bzw. den Großeltern, da – zum Teil kulturell bedingt – auch keine Infrastruktur für Kinderbetreuung bestehe. Aber auch im industrialisierten Norden mit einer höheren Frauenerwerbsquote übersteige die Nachfrage nach Kinderbetreuungsplätzen das Angebot um ein Vielfaches (Deutsche Botschaft Rom, Sozialpolitischer Jahresbericht Italien, Berichtszeitraum: Oktober 2022 bis April 2024, S. 10). Im Süden seien die Bedingungen der Elternschaft für Frauen in Erwerbsarbeit aufgrund des eklatanten Mangels an Betreuungseinrichtungen wie Kinderkrippen oder Ganztagskindergärten sehr schwierig. Alleinstehende, kinderlose Frauen im Mezzogiorno hätten eine Beschäftigungsquote von 52,3 %; diese sinke bei Frauen mit Kindern zwischen 6 und 17 Jahren auf 41,5 % und falle bei Müttern mit Kindern unter fünf Jahren schließlich auf 37,8 % (65,1 % im Zentrum-Nord). Bei Vätern liege sie dagegen über doppelt sohoch bei 82,1 %. Aber selbst wenn alle geplanten Krippen- und Kindergartenplätze realisiert würden, bliebe der Süden weit unter dem geplanten Schwellenwert von Plätzen von 30 % für Kinder bis zu drei Jahren (im Süden derzeit 10 %, nach Ausbau 16 %). Auch vom Ziel der Ganztagsbildung sei der Süden weit ent-fernt. So besuchten z. B. in Palermo 73 % der Kinder im Alter von 6 bis 10 Jahren keine Ganztagsschule (vgl. zum Ganzen Deutsche Botschaft Rom, Sozialpolitischer Jahresbericht Italien, Berichtszeitraum: Oktober 2022 bis April 2024, S. 38 ff.). Insgesamt gebe es in Italien nur für etwa ein Viertel der Kinder unter drei Jahren einen Platz in Betreuungseinrichtungen. Während in Norditalien die Betreuung gut sei, habe es im Süden des Landes zuletzt nur für acht von 100 Kindern einen Platz gegeben (Kleine Zeitung, Kinderbetreuung im Vergleich - In Schweden haben Einjährige ein Anrecht auf einen Betreuungsplatz, vom 5. September 2023, abrufbar unter: www.kleinezeitung.at/politik/aus-senpolitik/6320135/Kinderbetreuung-im-Vergleich_In-Schweden-haben-Ein-jaehrige-ein; zum Mangel an Krippenplätzen in Italien siehe auch Berliner Mor-genpost, Elterngeld und Elternzeit - das gibt es in anderen Ländern, vom 30. Juli 2023, abrufbar unter: www.morgenpost.de/politik/ar-ticle239063479/elterngeld-elternzeit-italien-frankreich-usa-schweden-deutsch-land.html. Laut Statista (Sta-tista, Europäische Union: Anteil der Kinder im Alter unter drei Jahren (U3) in formaler Kinderbetreuung (Betreuungsquote), aufgeschlüsselt nach Mitgliedstaaten im Jahr 2023, abrufbar unter: de.statista.com/statistik/daten/studie/1129311/umfrage/betreuungsquote-von-kleinkindern-in-der-euro-paeischen-union-eu/) liegt der Anteil der Kinder unter drei Jahren in formaler Kinderbetreuung im Jahr 2023 in Italien bei 34,5 %. Eventuelle administrative Hürden bei der Bewerbung um einen Kindergartenplatz ließen sich mithilfe des Personals der Aufnahmeeinrichtung überwinden (vgl. BAMF, Auskunft an OVG Schleswig, 8. Dezember 2023, S. 4).
127 (2) Für viele Familien bleibt die Kinderbetreuung trotz der 2024 ergriffenen Einzelmaßnahmen zudem unerschwinglich. Nicht selten seien die Kinderbetreuungskosten höher als das erwartbare Einkommen (Deutsche Botschaft Rom, Sozialpolitischer Jahresbericht Italien, Berichtszeitraum: Oktober 2022 bis April 2024, S. 10, 40). Es gibt allerdings insbesondere bei staatlichen oderöffentlichen Einrichtung je nach Region und Einrichtung Ermäßigungen oder Befreiungen von den Gebühren.

128 Auch alleinerziehende international Schutzberechtigte mit Grundschulkind und Kind unter drei Jahren dürften finanzielle Unterstützung für die Kinderbetreuung erhalten können:

[...]

132 Wie hoch die Kosten für die Kinderbetreuung tatsächlich sind, dürfte nach den Erkenntnismitteln je nach Region und Einrichtung unterschiedlich sein und ist nur schwer abschätzbar. Beispielhaft seien die Kosten für Kindertagesstätten der autonomen Provinz Bozen - Südtirol (Autonome Provinz Bozen - Südtirol, Familienagentur, Tarifermäßigung in der Kleinkindbetreuung für Kindertagesstätten und Tagesmütter-/väterdienst, abrufbar unter: assets-eu-01.kc-usercontent.com/6dd599e2-b5cb-01c3-9e74-0527e5fc120c/2f948995-afdb-404b-a378-85ba78fa55b5/KKB%20Tarife%20dt.pdf) genannt, die sich zwischen einem Mindesttarif von 0,90 €/h bis zu einem Höchsttarif von 3,65 €/h bewegen. Für eine Betreuung im Kinderhort bis 15.30 Uhr liegt der Tagessatz damit zwischen 7,20 € und 18 € (mit Verlängerungsmöglichkeit wohl bis 17.00 Uhr, wobei dann ab 15.30 Uhr der Höchstsatz von 3,65 €/h berechnet wird). Bleibt das Kind nur bis mittags, fallen täglich zwischen 5,40 € und 15 € an.

133 (3) Eine Gesamtwürdigung dieser Erkenntnislage ergibt, dass sich die Suche nach einer Betreuungsmöglichkeit insbesondere für Kinder unter drei Jahren (außerhalb der für mindestens zwölf Monate gesicherten Betreuung durch die Unterbringung und Versorgung im SAI) angesichts fehlender Kapazitäten in Italien als schwierig erweist, wobei sich die Suche im Norden Italiens insgesamt einfacher gestalten dürfte als im Süden. Der Anteil der Kinder von unter drei Jahren in formaler Kinderbetreuung (Betreuungsquote) liegt insgesamt gesehen je nach Erkenntnismittel bei einem Viertel oder einem Drittel. Allerdings ist der hier zu betrachtende Personenkreis zunächst für mindestens zwölf Monate in einer Einrichtung des SAI untergebracht und insofern nicht kurzfristig auf eine Kinderbetreuung für das unter dreijährige Kind zur Suche und Aufnahme einer Erwerbstätigkeit angewiesen. Auch finden alleinerziehende Elternteile mit Grundschulkind und Kleinkind unter drei Jahren Unterstützung bei der Suche nach einem Arbeitsplatz, einer Schule sowie einem Kindergartenplatz. Hiernach erscheint es jedenfalls nicht ausgeschlossen, dass auch ein Kinderkrippenplatz oder eine andere Möglichkeit der Kinderbetreuung für Kinder unter drei Jahrenin der zur Verfügung stehenden Zeit mit der bereitgestellten Unterstützung und frühzeitiger Eigeninitiative gefunden werden kann, sofern mit Blick auf die weitere Unterkunft, gegebenenfalls auch durch private Aufnahme in einer anderen Familie, ein solcher erforderlich ist. Soweit für die Betreuung vor allem von Kindern unter drei Jahren Kosten entstehen, können diese bei geringem Familieneinkommen gegebenenfalls ermäßigt werden. Zudem wird ein Zuschuss für die Kinderbetreuung gewährt, der – gemessen am Beispiel der Provinz Bozen - Südtirol – einen Großteil der Kosten abdecken dürfte. Für Kinder ab drei Jahren ist der Besuch des Kindergartens in staatlichen Einrichtungen hingegen grundsätzlich gebührenfrei und die Unterstützung bei der Suche nach einem Kindergartenplatz durch das SAI gewährleistet. Gleiches gilt für den Schulbesuch für Kinder ab sechs Jahren, der ebenfalls gebührenfrei und zudem verpflichtend ist. Damit erscheint es insgesamt möglich, die Kinderbetreuung auch für Kinder unter drei Jahren, erst Recht aber für Kinder ab drei Jahren rechtzeitig sicherzustellen.

134 ee) Das Berufungsgericht geht zutreffend davon aus, dass die medizinische Versorgung in Italien gewährleistet ist (VGH München, Urteil vom 21. März 2024 - 24 B 23.30860 - UA S. 19). Die medizinische Versorgung für international Schutzberechtigte in Italien weist keine Mängel auf, die erhebliche gesundheitliche Beeinträchtigungen besorgen lassen. Das gilt ohne Weiteres auch für den hier zu behandelnden Personenkreis alleinerziehender Elternteile mit einem Grundschulkind und einem Kind unter drei Jahren, die nicht an schwerwiegenden Krankheiten leiden (vgl. zu nichtvulnerablen alleinreisenden Schutzberechtigten ohne Kinder bereits BVerwG, Urteile vom 21. November 2024 - 1 C 23.23 - Rn. 114 und - 1 C 24.23 - Rn. 115).

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142 Diese Erkenntnislage ist zusammenfassend dahin zu würdigen, dass nach Ita-lien zurückkehrenden anerkannt Schutzberechtigten die Registrierung beim SSN und der Erhalt der Gesundheitskarte möglich und damit die medizinische Grundversorgung – ungeachtet möglicher Probleme bei der sprachlichen Verständigung – hinreichend gewährleistet ist. Namentlich haben sie unter denselben Voraussetzungen wie italienische Staatsangehörige bei Unterschreitung bestimmter Einkommensgrenzen oder Arbeitslosigkeit Anspruch auf Befreiung von etwa erforderlichen Zuzahlungen ("Tickets"). Ein Anspruch auf Notversorgung besteht auch bereits vor der erfolgten Registrierung beim SSN. Nach dieser Erkenntnislage ist nicht zu erwarten, dass der hier in Rede stehende vulnerable Personenkreis alleinerziehender Elternteile mit einem Grundschulkind und einem Kind unter drei Jahren, aber ohne besondere Erkrankungen wegen Mängeln der medizinischen Versorgung in eine mit Art. 4 GRC unvereinbare Lage gerät.

143 2.2.3 Zusammenfassend lassen sich bei den Aufnahme- und Lebensbedingungen der Personengruppe der alleinerziehenden Elternteile mit einem Grund-schulkind und einem Kind unter drei Jahren in Italien aktuell keine Schwach-stellen feststellen, die die für eine Verletzung von Art. 4 GRC erforderliche be-sonders hohe Schwelle der Erheblichkeit erreichen.

144 Es besteht keine beachtliche Wahrscheinlichkeit, dass sie bei einer Rückkehr nach Italien in eine Lage extremer materieller Not geraten, die es ihnen nicht erlaubt, ihre elementarsten Grundbedürfnisse hinsichtlich Unterkunft, Verpfle-gung und Hygiene zu befriedigen. Da auch die Klägerin zu 1 und ihre Tochter, die Klägerin zu 2, sowie das Kleinkind zu dieser Gruppe zählen (siehe oben 2.1 b)) und die Beurteilung der abschiebungsrelevanten Lage nicht von weiteren individuellen, vom Berufungsgericht bisher nicht festgestellten Umständen ab-hängt, kann der Senat die im vorliegenden Verfahren ergangene Unzulässigkeitsentscheidung abschließend bestätigen. [...]"