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VG Stuttgart

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Zitieren als:
VG Stuttgart, Urteil vom 26.11.2024 - A 17 K 6503/24 - asyl.net: M32957
https://www.asyl.net/rsdb/m32957
Leitsatz:

Keine Flüchtlingsanerkennung für homosexuellen Mann aus Kamerun:

Homosexuelle Menschen stellen in Kamerun eine soziale Gruppe dar, sie unterliegen aber keiner Gruppenverfolgung (im vorliegenden Fall Ablehnung wegen unglaubwürdigem Sachvortrag).

(Leitsätze der Redaktion; weitere Entscheidungen zu LSBTI-Personen sind auch zu finden in der Rechtsprechungssammlung des LSVD)

Schlagwörter: Kamerun, homosexuell, Strafbarkeit, Flüchtlingsanerkennung, Strafbarkeit, Haft, LSBTI, LGBTIQ, Gruppenverfolgung, soziale Gruppe
Normen: AsylG § 3
Auszüge:

[...]

32 b) Unter Beachtung dieser Maßstäbe ist nicht davon auszugehen, dass dem Kläger bei einer Rückkehr nach Kamerun mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit eine Verfolgung aufgrund einer homosexuellen Orientierung drohen würde.

33 (i) Im Kamerun stellt sich die Situation von homosexuell veranlagten Personen wie folgt dar:

34 Homosexuelle Handlungen sind strafbar und werden in Einzelfällen verfolgt: Artikel 347-1 des Strafgesetzbuches sieht für homosexuelle Handlungen Gefängnisstrafen von sechs Monaten bis zu fünf Jahren sowie Geldstrafen zwischen umgerechnet ca. 30 und 300 Euro vor [...] Zudem sieht ein Gesetz aus dem Jahr 2010 gegen Cyberkriminalität für die Anbahnung sexueller gleichgeschlechtlicher Kontakte über elektronische Kommunikationsmittel ebenfalls eine Gefängnisstrafe von ein bis zwei Jahren oder eine Geldstrafe von 500.000 - 1.000.000 CFA Franc vor [...]

35 Festnahmen aufgrund von Homosexualität kommen vor [...]. Zumeist führen Denunziationen zu diesen Festnahmen [...]. Staatliche Behörden, einschließlich Regierungsbeamte und Strafverfolgungsbehörden, verhalten sich gegenüber homosexuellen Personen vielfach diskriminierend [...]. Für den Zeitraum 2016 bis 2018 existieren etwa 1.800 Berichte über Arreste, Erpressungen und Gewalt durch Polizei und Exekutive [...]. Regierungsvertreter und Politiker äußerten sich wiederholt abwertend über homosexuelle Personen, indem sie u.a. behaupteten, diese seien "wider der Natur", "anomal", "Vampir-Bürger", "schädlich für die Familie", "schädlich für das Land" oder indem sie beschuldigt wurden, satanische und dämonische Praktiken auszuüben [...].

36 Nach den Erkenntnissen des UK Home Office werden jährlich mehrere Dutzend Personen wegen des Verdachts der Homosexualität festgenommen und eine geringere Anzahl auch verurteilt. So seien im Jahr 2018 56 Personen in Arrest genommen worden, in vier Fällen sei es zu einer Verurteilung gekommen [...]. Die Rechtsanwältin Alice Nkom berichtete, dass in Kamerun im Jahr 2021 über 100 Personen wegen ihrer geschlechtlichen Orientierung in Gewahrsam genommen wurden. Über 40 von ihnen seien in der Folge inhaftiert worden [...]. Wegen des Verdachts der Homosexualität verhaftete Personen sind dabei häufig Belästigungen, Missbrauch und Misshandlungen bis zur Folter ausgesetzt [...]. Verhaftungen dienen auch verbreitet der Lösegelderpressung durch lokale Polizeibehörden [...].

37 In Bertoua, Region Ost, wurden am 14. Februar 2021 zwölf Personen wegen homosexueller Handlungen verhaftet. Eine in diesem Zusammenhang verhaftete Frau berichtete später, dass die verhafteten Personen in der Polizeistation körperlich misshandelt worden seien. In der Region West wurden ebenfalls im Februar 2021 13 Mitarbeiter der Organisation Colibri, die sich gegen die Verbreitung von HIV einsetzt, wegen Homosexualität verhaftet [...]. Eine der verhafteten Personen, eine 26-jährige Transgender-Frau, wurde in diesem Zusammenhang zwangsweise einem HIV-Test und einer Analuntersuchung unterzogen. Hierbei soll es sich nicht um einen Einzelfall handeln. Im Mai 2020 sind nach Angabe von Human Rights Watch (in der Folge: HRW) bei einer von einer HIV-Organisation veranstalteten Zusammenkunft in einem Hotel in Bafoussam 53 Personen verhaftet worden, von denen sechs Personen, darunter drei Teenager im Alter von 15 bis 17 Jahren - ebenfalls erzwungen - einem HIV-Test und einer Analuntersuchung unterzogen wurden [...].

50 (ii) Dies zugrunde gelegt, unterliegen homosexuell orientierte Personen in Kamerun keiner Gruppenverfolgung.

51 Zwar handelt es sich bei den homosexuell orientierten Personen in Kamerun um eine soziale Gruppe im Sinne des Art. 10 Abs. 1 Buchst. d) der Anerkennungsrichtlinie. [...]

58 [....] Je mehr ein Schutzsuchender mit seiner sexuellen Ausrichtung in die Öffentlichkeit tritt und je wichtiger dieses Verhalten für seine Identität ist, desto mehr erhöht dies die Wahrscheinlichkeit, dass der Betreffende verfolgt werden wird. Bei der Würdigung sind das bisherige Leben des Schutzsuchenden in seinem Heimatland, sein Leben hier in Deutschland sowie sein zu erwartendes Leben bei einer Rückkehr in den Blick zu nehmen [....].

59 Das Gericht schließt sich weiter der Einschätzung des Verwaltungsgerichtshofs an, wonach bei Homosexuellen, die in Kamerun offen ihre Veranlagung leben und dort deshalb als solche öffentlich bemerkbar sind, mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit davon ausgegangen werden kann, dass sie deswegen verfolgt werden. In diesem Fall ist von einem erheblichen Risiko auszugehen, dass sie durch den Staat strafrechtlich verfolgt und in Haft genommen sowie verurteilt werden, was eine Verfolgungsmaßnahme nach Art. 9 Abs. 1 und 2 Buchst. c RL 2004/83/EG nun der Anerkennungsrichtlinie darstellt. Zudem widersprechen die sich aus den Erkenntnismitteln ergebenden Haftbedingungen gerade für Personen, die als homosexuell angesehen werden, sehr häufig den Anforderungen aus Art. 3 EMRK [....].

60 Im Übrigen ist es beachtlich wahrscheinlich, dass Homosexuelle, die in Kamerun offen ihre Veranlagung leben und dort deshalb öffentlich bemerkbar sind, auch von privater Seite Verfolgungshandlungen erleiden, wie etwa physische Gewalt im Sinne von Art. 9 Abs. 2 Buchst. a RL 2004/83/EG, ohne dass staatliche Stellen in der Lage oder willens wären, hiervor Schutz im Sinne von Art. 7 Abs. 2 RL 2004/83/EG zu bieten [...].

61 Vorliegend kann dem Kläger jedoch bereits deshalb nicht die Flüchtlingseigenschaft aufgrund homosexueller Orientierung zuerkannt werden, weil sein entsprechender Vortrag schlicht unglaubhaft ist. [...]

64 Sein gesamtes Vorbringen zu den angeblich fluchtauslösenden Umständen in Kamerun blieb weitgehend oberflächlich. Darüber hinaus verstrickte sich der Kläger während der mündlichen Verhandlung immer mehr in Widersprüche. [...] So hatte er gegenüber dem Bundesamt noch angegeben, sein ... habe sich dergestalt überrascht geäußert, dass er nur gefragt habe, "Träum ich jetzt oder ist das echt", während er in der mündlichen Verhandlung angegeben hat, sein ... habe geschrien und damit die Aufmerksamkeit der Nachbarn erregen müssen. Beides, sowohl das Schreien als auch die voraussichtliche Alarmierung der Nachbarn, hatte der Kläger gegenüber dem Bundesamt noch mit keinem Wort erwähnt. Diese Steigerung seines Vortrags konnte der Kläger auch nicht befriedigend auflösen. [...]

68 Gegen die Annahme, dass der Kläger homosexuell veranlagt ist, spricht schließlich ganz erheblich der Kommunikationsverlauf auf seinem Mobiltelefon. Danach hat er spätestens seit Januar 2024 verstärkt - häufig mehrfach täglich und sowohl zur Tages- als auch Nachtzeit - Kontakt zu mehreren jungen Frauen aus Kamerun gepflegt, zu einer besonders intensiv. Den Umstand, dass es sich um eine Frau aus Kamerun handelt, hat der Kläger dann selbst eingeräumt, wobei er darauf bestand, dass es sich bei der Frau nicht um seine Freundin handele. Irgendeinen nachvollziehbaren Grund, weshalb er einen so besonders engen Telefonkontakt zu der Frau pflegt, wenn er tatsächlich homosexuell veranlagt sein sollte, hat er jedoch nicht genannt. Der Kläger hatte zudem gegenüber dem Gericht noch kurz vor der Inaugenscheinnahme des Mobiltelefons behauptet, gegenwärtig über keinerlei Kontakte nach Kamerun zu verfügen. [...]

74 Von einer Verelendungsgefahr ist im Falle des Klägers nicht auszugehen. Bei realitätsnaher Betrachtung ist anzunehmen, dass es dem Kläger bei einer Rückkehr nach Kamerun ohne weiteres gelingen würde, die elementarsten Lebensbedürfnisse für sich zu erwirtschaften. Denn er ist gesund und arbeitsfähig und hat ausschließlich für sich selbst Sorge zu tragen.

75 Die Existenzsicherung dürfte ihm darüber hinaus gelingen, weil ihm Rückkehrhilfen zur Verfügung stünden. Der Kläger kann im Falle seiner Rückkehr nach Kamerun sowohl hinsichtlich der Wohnungs- als auch der Arbeitssuche auf Rückkehrhilfen im Rahmen des Reintegrationsprogramms European Reintegration Programme (EURP) und ergänzend des durch die Bundesrepublik Deutschland finanzierten Programms "Starthilfe plus" - letzteres in reduziertem Umfang - zurückgreifen [...]. Hinsichtlich der Rückreise könnte der Kläger zudem eine einmalige Förderung in Höhe von 1.000 Euro aus dem REAG/GARP 2.0 in Anspruch nehmen [...]. Das durch die Europäische Union finanzierte EURP gewährt eine Kurzzeit-Unterstützung innerhalb von bis zu 14 Tagen nach der Ankunft von 615 Euro pro Person im Falle einer freiwilligen Rückkehr und von 205 Euro für jede rückgeführte Person. Diese wird sowohl als Sachleistung als auch als Barleistung gewährt. Weiter gewährt das Programm eine Langzeitunterstützung innerhalb der ersten 12 Monate nach Rückkehr in Form einer Unterstützung bei der Wohnungsfindung, in Fällen medizinischen Bedarfs bei schweren Erkrankungen, schulischen und beruflichen Bildungsmaßnahmen, Beratung zu Arbeitsmöglichkeiten und Hilfestellung bei der Suche nach einem Arbeitsplatz, Unterstützung bei der Gründung eines (eigenen) Geschäftes, bei der Familienzusammenführung sowie rechtliche Beratung und administrative Unterstützung und auch psychosoziale Unterstützung. Diese Hilfe wird als Sachleistung in Höhe von bis 2.000 Euro für den Hauptantragsteller im Falle einer freiwilligen Rückkehr (1.000 Euro im Falle einer Rückführung) sowie von 1.000 Euro für jedes weitere Familienmitglied gewährt [...]. Rückkehrende können zudem allgemein durch gemeinsame Projekte der EU und von IOM unterstützt werden. Weiter könnte der Kläger bereits in der Vorbereitung seiner Rückkehr das StartHope@Home-Programm hinsichtlich seiner beruflichen Reintegration nutzen, das Migrantinnen und Migranten insbesondere in der unternehmerischen Kompetenz zur Existenzgründung nach der Rückkehr in ihr Heimatland vorbereitet. Die entsprechenden Kurse sind kostenlos verfügbar. [...]