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OVG Sachsen

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Zitieren als:
OVG Sachsen, Beschluss vom 14.10.2024 - 4 A 303/23.A - asyl.net: M32979
https://www.asyl.net/rsdb/m32979
Leitsatz:

Rechtswidrigkeit der Abschiebungsandrohung bei Aufenthaltsgestattung eines Familienmitglieds:

"Die Frage, ob der Abschiebung eines Ausländers, dessen Schutzbegehren negativ beschieden ist, auch dann im Sinne von § 34 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 AsylG n.F. das Kindeswohl und/oder familiäre Bindungen entgegenstehen können, wenn der weitere Aufenthalt des betreffenden Familienmitglieds im Bundesgebiet "nur" gemäß § 55 AsylG zur Durchführung seines Asylverfahrens gestattet ist, ist hinreichend geklärt und grundsätzlich zu bejahen (wie NdsOVG, Beschl. vom 27. Juni 2024 - 4 LA 21/24 -, juris; VG Hannover, Urt. v. 28. Februar 2024 - 1 A 416/19 -, juris Rn. 43)."

(Amtliche Leitsätze)

Schlagwörter: familiäre Lebensgemeinschaft, Achtung des Familienlebens, Aufenthaltsgestattung, Abschiebungshindernis, Berufungszulassung, Kindeswohl, Kind
Normen: ASylG § 55, AsylG § 34
Auszüge:

[...]

6 Vor dem Hintergrund einer nach dem Erlass des erstinstanzlichen Urteils eingetretenen Änderung der Rechtslage, die nach § 77 Abs. 1 Satz 1 AsylG in dem angestrebten Berufungsverfahren zu berücksichtigen wäre, geht das Gericht bei sachdienlicher Auslegung dieser Frage davon aus, dass die Beklagte geklärt wissen will, ob der Abschiebung eines Ausländers, dessen Schutzbegehren negativ beschieden worden ist, auch dann im Sinne von § 34 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 AsylG n.F. das Kindeswohl und/oder familiäre Bindungen entgegenstehen können, wenn der weitere Aufenthalt des betreffenden Kindes oder des betreffenden Familienmitglieds im Bundesgebiet lediglich gemäß § 55 AsylG zur Durchführung seines Asylverfahrens gestattet ist. [...]

9 So liegt der Fall hier. Denn zur Klärung der von der Beklagten aufgeworfenen Frage bedarf es der Durchführung eines Berufungsverfahrens nicht. Sie ist bereits in der Rechtsprechung hinreichend geklärt [...] und lässt sich überdies mit Hilfe der üblichen Regeln sachgerechter Auslegung ohne weiteres beantworten.

10 Ihre Bejahung ergibt sich zum einen aus dem von der Beklagten selbst angeführten Beschluss des Europäischen Gerichtshofs vom 15. Februar 2023 [...], nach dem es aus unionsrechtlicher Sicht gerade nicht genügt, wenn das Kindeswohl und/oder familiäre Bindungen erst in einem dem Erlass der Rückkehrentscheidung nachfolgenden Verfahren Berücksichtigung finden können. Zwar betraf das der Entscheidung des Gerichtshofs zugrundeliegende Ausgangsverfahren das Schutzbegehren eines Kindes, für dessen Vater und dessen ebenfalls noch minderjährige Schwester ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 5 AufenthG i.V.m. Art. 3 EMRK festgestellt worden war, weswegen ihnen eine Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 3 AufenthG erteilt worden war [...]. Diesen Umstand nahm die zur Auslegung von Art. 5 Richtlinie 2008/115/EG formulierte Vorlagefrage aber nicht auf, sondern stellte allgemein darauf ab, dass "aus rechtlichen Gründen auf unabsehbare Zeit kein Elternteil" des Kindes in sein Herkunftsland oder ein anderes aufnahmebereites Drittland "rückgeführt werden" könne und damit auch dem Minderjährigen das Verlassen des Mitgliedstaats wegen seiner schutzwürdigen familiären Bindungen (Art. 7 und 24 Abs. 2 GRC, Art. 8 EMRK) nicht "zugemutet werden" könne. [...]

12 Dass ein nach § 55 Abs. 1 Satz 1 AsylG rechtmäßiger Aufenthalt eines Kindes oder Familienmitgliedes grundsätzlich geeignet ist, den Tatbestand des § 34 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 AsylG zu erfüllen, schließt es nicht aus, bei der Prüfung, ob der Abschiebung das Kindeswohl und/oder familiäre Bindungen entgegenstehen, auch die für die Verstetigung des rechtmäßigen Aufenthalts maßgebenden Erfolgsaussichten und/oder die Dauer des Asylverfahrens einzustellen. Im vorliegenden Verfahren besteht dazu indes keine Veranlassung, denn jedenfalls bei Kleinkindern wie hier ist auch eine zeitlich auf die Durchführung eines Asylverfahrens begrenzte Trennung nicht zumutbar. [...]