BlueSky

VG Potsdam

Merkliste
Zitieren als:
VG Potsdam, Beschluss vom 23.12.2024 - 6 L 921/24.A - asyl.net: M32996
https://www.asyl.net/rsdb/m32996
Leitsatz:

Zweifel an Entscheidung als offensichtlich unbegründet:

§ 30 Abs. 1 Nr. 8 AsylG (Durchführung eines weiteren Asylverfahrens nach Stellung eines Folge- oder Zweitantrags) ist mit der Einschränkung anwendbar, dass der Asylantrag rechtsmissbräuchlich gestellt wurde. Dies ergibt sich daraus, dass diese Einschränkung auch bei § 30 Abs. 3 Nr. 5 AsylG a.F. (Verletzung von Mitwirkungspflichten) anzuwenden war, der mit der Neuregelung des § 30 Abs. 1 Nr. 8 AsylG insofern vergleichbar ist, als nach beiden Normen der Asylantrag aufgrund formaler Vorschriften zwingend als offensichtlich unbegründet abzulehnen ist. Für § 30 Abs. 3 Nr. 5 AsylG a.F. galt die Einschränkung, dass nur solche Verstöße gegen Mitwirkungspflichten darunter fallen können, die den Schluss erlauben, dass die Person habe das Asylverfahren rechtsmissbräuchlich betrieben hat.

(Leitsätze der Redaktion; unter Verweis auf VGH Bayern, Beschluss vom 06.04.2022 - 15 B 22.30094 - asyl.net: M30922)

Schlagwörter: Zweitantrag, offensichtlich unbegründet, Folgeantrag, EuGH
Normen: AsylG § 30 Abs. 1 Nr. 8, VwGO § 80 Abs. 5
Auszüge:

[...]

Gemessen an diesem Maßstab begegnet die Entscheidung des Bundesamtes, den Asylantrag als offensichtlich unbegründet abzulehnen, Abschiebungsverbote zugunsten des Antragstellers nicht festzustellen und die Abschiebung in die Russische Föderation anzudrohen, ernstlichen Zweifeln. [...]

Der hier vorliegende Antrag wurde gemäß § 71a Abs. 1 AsylG als Zweitantrag eingestuft, da der Antrag des Antragstellers auf internationalen Schutz in Polen abgelehnt wurde. [...]

Nach dem Maßstab des Bundesverfassungsgerichts ist eine offensichtliche Unbegründetheit nur dann zu bejahen, wenn "im maßgeblichen Zeitpunkt der Entscheidung des Verwaltungsgerichts an der Richtigkeit der tatsächlichen Feststellungen des Gerichts vernünftigerweise kein Zweifel bestehen kann und sich bei einem solchen Sachverhalt nach allgemein anerkannter Rechtsauffassung die Abweichung der Klage geradezu aufdrängt [...]. Angesichts der einschneidenden Rechtsfolgen kann eine solche Evidenzentscheidung nur dann getroffen werden, wenn das Asylbegehren eindeutig aussichtslos ist.

Um die vorbezeichnete Wertung des Bundesverfassungsgerichts nicht zu unterlaufen, ist § 30 Abs. 1 Nr. 8 AsylG auf der Tatbestandsebene so auszulegen, dass die Folge- oder Zweitantragstellung indizieren muss, dass der Asylantrag rechtsmissbräuchlich gestellt wurde.

Die Neuregelung des § 30 Abs. 1 Nr. 8 AsylG ist vergleichbar mit § 30 Abs. 3 Nr. 5 AsylG in der Fassung vor dem 27. Februar 2024. Nach dieser Regelung war ein Asylantrag als offensichtlich unbegründet abzulehnen, wenn der Antragsteller gegen seine Mitwirkungspflichten verstieß. Diese Vorschrift ist deshalb mit § 30 Abs. 1 Nr. 8 AsylG vergleichbar, weil beide - völlig unabhängig von der inhaltlichen Begründetheit des Antrags - aufgrund formaler Vorschriften zwingend zu einer Ablehnung als offensichtlich unbegründet führen. § 30 Abs. 3 Nr. 5 AsylG (alte Fassung) wurde deshalb einschränkend dahin ausgelegt, dass nur solche Verstöße gegen Mitwirkungspflichten unter den Tatbestand fallen, die ein solches Gewicht haben, dass das Verhalten des Asylbewerbers den Schluss erlaubt, er habe das Asylverfahren missbräuchlich betrieben [...].

Eine missbräuchliche Asylantragstellung liegt hier aber offensichtlich nicht vor. Der Antragsteller hat seinen ersten Asylantrag 2013 gestellt. Es ist nachvollziehbar, dass er mehr als zehn Jahre später erneut aus der Russischen Föderation flieht, und zwar dieses Mal, weil er eine Einberufung in die russische Armee befürchtet. Ob dies einen Anspruch auf die Zuerkennung internationalen Schutzes rechtfertigt, ist in einem Hauptsacheverfahren zu klären. [...]