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VG Köln

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Zitieren als:
VG Köln, Beschluss vom 15.01.2025 - 13 L 1585/24.A - asyl.net: M33028
https://www.asyl.net/rsdb/m33028
Leitsatz:

Aufhebung einer Abschiebungsandrohung wegen familiärer Belange:

In einem Asylfolgeverfahren vorgetragene familiäre Bindungen begründen nicht ohne weiteres einen Anspruch auf die Durchführung eines weiteren Verfahrens. In dem Vortrag zu familiären Bindungen kann jedoch ein Antrag auf isolierte Wiederaufnahme und Überprüfung der erlassenen Abschiebungsandrohung gesehen werden.  

(Leitsatz der Redaktion; Unter Bezug auf und mit ausführlicher Begründung: VG Hamburg, Urteil vom 12.03.2024 - 2 A 3543/22 - asyl.net: M32258)

Schlagwörter: Asylfolgeantrag, familiäre Lebensgemeinschaft, Eltern-Kind-Verhältnis,
Normen: VwGO § 80 Abs. 7, VwVfG § 49 Abs. 1, VwVfG § 51 Abs. 5, AsylG § 71, AsylG § 34
Auszüge:

[...]

1. Zunächst hat der Antragsteller einen Anordnungsanspruch glaubhaft gemacht. Denn ihm kommt jedenfalls ein Anspruch auf ein isoliertes Wiederaufgreifen des Verfahrens im Ermessenswege gemäß § 51 Abs. 5 in Verbindung mit § 49 Abs. 1 des Verwaltungsverfahrensgesetzes (VwVfG) hinsichtlich der im Bescheid vom 24. Oktober 2017 enthaltenen Abschiebungsandrohung zu. [...]

a) Einen Antrag auf ein isoliertes Wiederaufgreifen des Verfahrens bezüglich der Abschiebungsandrohung, über den die Antragsgegnerin insbesondere mit dem Bescheid vom 2. Mai 2024 noch nicht entschieden hat, hat der Antragsteller im Verwaltungsverfahren konkludent durch seinen Asylfolgeantrag vom 14. Dezember 2023 gestellt. Zwar hat der zu diesem Zeitpunkt nicht anwaltlich vertretene Antragsteller mit dem Asylfolgeantrag nicht ausdrücklich einen zusätzlichen Antrag auf Wiederaufgreifen des Verfahrens nach § 51 Abs. 1 VwVfG bzw. Nach § 51 Abs. 5, § 48, § 49 VwVfG.bezüglich der Abschiebungsandrohung gestellt. Dennoch ist der Asylfolgeantrag entsprechend auszulegen [...].

Betrifft eine Erklärung ein bereits durch Verwaltungsakt abgeschlossenes Verfahren und kommt eine Umdeutung in einen Rechtsbehelf nicht in Betracht, muss eine Behörde gemäß § 24 Abs. 3, § 25 Abs. 1 VwVfG auch prüfen, ob das Begehren auf Rücknahme bzw. Widerruf des Verwaltungsakts oder Wiederaufgreifen des Verfahrens gerichtet ist bzw. eine entsprechende Antragstellung anregen [...].

Der Antragsteller hat in der Begründung seines Asylfolgeantrags ausdrücklich ein inlandsbezogenes Vollstreckungshindernis dargelegt, nämlich die Beziehung zu seiner in der Bundesrepublik lebenden Ehefrau. Der Gerichtshof der Europäischen Union (EuGH) hat in seiner Entscheidung vom 15. Februar 2023 - C484/22 - betont, dass nach Art. 5 lit. a) und lit. b) der Rückführungsrichtlinie des Europäischen Parlaments (Richtlinie 2008/115/EG) familiäre Belange sowie das Wohl des Kindes bei Erlass einer Rückkehrentscheidung zu berücksichtigen sind bzw. auch zuvor zu berücksichtigen waren. Ob die Antragsgegnerin zum Zeitpunkt ihrer Entscheidung diese Rechtsprechung kannte, ist unerheblich, da es auf ihr Verschulden bei der Auslegung des gestellten Antrags nicht ankommt. Bei hypothetischer unionsrechtskonformer und interessengerechter Auslegung des Asylfolgeantrags hätte die Antragsgegnerin in Erwägung ziehen müssen, dass auch die Abschiebungsandrohung aus dem abgeschlossenen Asylverfahren angegriffen werden soll. Für den Antragsteller war die dogmatische Frage unerheblich, ob die Antragsgegnerin die Beziehung zu seiner Ehefrau - und nunmehr im hiesigen Verfahrensverlauf auch zu seinen Kindern - in einem Asylfolgeverfahren oder in einem sonstigen Wiederaufgreifensverfahren berücksichtigt, solange das Bundesamt diesen Aspekt einbezieht und ihn vor der Abschiebung schützt. Dementsprechend kann das Begehren des abgelehnten Asylbewerbers interessengerecht nur so verstanden werden, dass er im Zweifel die Überprüfung sämtlicher Bestandteile des ablehnenden, bestandskräftigen Asylerstbescheides begehrte und dass das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge seinen Vortrag im Hinblick auf die relevante Regelung im Asylerstbescheid zu würdigen hat. Dies gilt insbesondere vor dem Hintergrund, dass das Asylfolgeverfahren (im engeren Sinne) angesichts des neuen Vortrags wenig erfolgversprechend war. Denn das Asylfolgeverfahren nach § 71 Abs. 1 des Asylgesetzes (AsylG) erfasst nach unionsrechtskonformer Auslegung unter Beachtung der Art. 2 lit. q), Art. 33 Abs. 2 lit. d) und Art. 40 der Asylverfahrensrichtlinie (2013/32/EU) nur Änderungen der Sach- und Rechtslage bezüglich des Schutzstatus des Asylantragstellers.

Relevant ist ein inlandsbezogenes Abschiebungshindernis stattdessen im Rahmen der Abschiebungsandrohung. Die Überprüfung der Abschiebungsandrohung als Rückkehrentscheidung kann zum einen im Rahmen des § 71 Abs. 4 und Abs. 5 AsylG erfolgen, wenn über den Erlass einer neuen Abschiebungsandrohung entschieden wird. In diesem Rahmen wäre auch die Aufhebung der zuvor erlassenen Abschiebungsandrohung von Amts wegen denkbar. Darüber hinaus kann ein isolierter Antrag auf Wiederaufgreifen des Verfahrens bzw. auf Widerruf einer bestandskräftigen Abschiebungsandrohung wegen eines inlandsbezogenen Abschiebungshindernisses im Lichte der oben zitierten Rechtsprechung des EuGH erfolgversprechend sein [...].

Vor diesem Hintergrund ist ein Asylfolgeantrag, in dem familiäre Bindungen im Bundesgebiet dargelegt werden, interessengerecht auch als ein solcher Antrag auszulegen.  [...]

Im vorliegenden Fall ist die Abschiebungsandrohung unter Berücksichtigung unionsrechtlicher Vorgaben offensichtlich rechtswidrig. Denn sie verstößt einerseits gegen § 34 Abs. 1 Nr. 4 AsylG, andererseits gegen Art. 5 lit. a) und lit. b) der Rückführungsrichtlinie (2008/115/EG). Diese Vorschriften verlangen, das Wohl des Kindes und seine familiären Bindungen bereits im Rahmen einer Rückkehrentscheidung zu schützen. Hierbei ist unerheblich, ob sich die Rückkehrentscheidung gegen das Kind selbst oder gegen ein Elternteil richtet.

Die danach gebotene Berücksichtigung der familiären Bindungen des Antragstellers zu seinen … 2024 geborenen Zwillingen als auch zu seiner Ehefrau steht dem Erlass einer Abschiebungsandrohung im konkreten Einzelfall entgegen. [...]

2. Demgegenüber war der Beschluss vom.24. Mai 2024 - 13 L 882/24.A - nicht schon deswegen abzuändern, weil dem Antragsteller ein Anordnungsanspruch in Gestalt eines Anspruchs auf die Durchführung eines weiteren Asylverfahrens nach § 71 Abs. 1 AsylG zustünde. Stellt der Ausländer insoweit nach Rücknahme oder unanfechtbarer Ablehnung eines früheren Asylantrags erneut einen Asylantrag (Folgeantrag), so ist ein weiteres Asylverfahren durchzuführen, wenn neue Elemente oder Erkenntnisse zutage getreten oder vom Ausländer vorgebracht worden sind, die mit erheblicher Wahrscheinlichkeit zu einer für den Ausländer günstigeren Entscheidung beitragen, oder Wiederaufnahmegründe entsprechend § 580 ZPO gegeben sind und der Ausländer ohne eigenes Verschulden außerstande war, die Gründe für den Folgeantrag im früheren Asylverfahren, insbesondere durch Rechtsbehelf, geltend zu machen. Diese Voraussetzungen sind nicht erfüllt. Weder die familiäre Bindung des Antragstellers noch die vorgetragene Geburt der Zwillinge stellen neue Tatsachen oder Umstände dar, die geeignet wären, zu einer anderen Einschätzung einer Gefahr vor Verfolgung (Art. 16a Abs. 1 des Grundgesetzes - GG; § 3 AsylG) bzw. unmenschlicher Behandlung (§ 4 AsylG) zu gelangen. [...]