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VG Karlsruhe

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Zitieren als:
VG Karlsruhe, Beschluss vom 17.01.2025 - A 18 K 7571/24 - asyl.net: M33038
https://www.asyl.net/rsdb/m33038
Leitsatz:

Objektive Belanglosigkeit muss sich auf den gesamten Vortrag erstrecken: 

"1. Nach § 30 Abs. 1 Nr. 1 AsylG (juris: AsylVfG 1992) ist bei einer Auslegung im Lichte des Art. 31 Abs. 8 Buchst. a) RL 2013/32/EU (juris: EURL 32/2013) ein Vortrag des Ausländers für die Asylprüfung im Ergebnis dann nicht von Belang, wenn aus diesem auch bei Wahrunterstellung ersichtlich kein Schutzstatus nach § 3 oder § 4 AsylG (juris: AsylVfG 1992) folgen kann, weil sein Vorbringen insgesamt nicht an die Tatbestandsvoraussetzungen für die Zuerkennung internationalen Schutzes anknüpft (Rn. 26).

2. Dies ist unter der Geltung des § 30 Abs. 1 Nr. 1 AsylG (juris: AsylVfG 1992) und nach den obigen Ausführungen indessen konkret nicht bereits dann der Fall, wenn der Ausländer aus anderen Gründen, die sich bei der Prüfung seines Antrags auf Schutzgewährung ergeben, letztlich – gegebenenfalls auch offenkundig – keinen Schutzanspruch hat, weil er etwa auf die Hinwendung an einen schutzmächtigen staatlichen Akteur (vgl. § 3d AsylG, ggf. i.V.m. § 4 Abs. 3 Satz 1 AsylG; juris: AsylVfG 1992) ) oder auf internen Schutz (vgl. § 3d AsylG, ggf. i.V.m. § 4 Abs. 3 Satz 1 AsylG; juris: AsylVfG 1992) ) zu verweisen wäre (Rn. 28)."

(Amtliche Leitsätze)

Schlagwörter: Asylverfahren, offensichtlich unbegründet, Indien, Punjab, ohne Belang,
Normen: AsylG § 34, AsylG § 36 Abs. 1, AsylG § 30 Abs. 1 Nr. 1, RL 2013/32/EU Art. 31 Abs. 8 Bst. a)
Auszüge:

[...]

23 Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts war – mit Blick auf die unbegründete Asylklage – die Offensichtlichkeit im Sinne von § 30 Abs. 1 AsylG (a.F.) zu bejahen, "wenn im maßgeblichen Zeitpunkt der Entscheidung des Verwaltungsgerichts an der Richtigkeit der tatsächlichen Feststellungen des Gerichts vernünftigerweise kein Zweifel bestehen kann und sich bei einem solchen Sachverhalt nach allgemein anerkannter Rechtsauffassung die Abweisung der Klage geradezu aufdrängt" [...]. Diese Rechtsprechung ist auf die Vorschrift des § 30 Abs. 1 Nr. 1 AsylG in der nunmehr geltenden Fassung nicht ohne Weiteres übertragbar [...].

24 Denn im Gegensatz zu den früheren Begrifflichkeiten ("offensichtlich nicht vorliegen") zielt die "Belanglosigkeit" nach ihrem allgemeinen Begriffsverständnis des Worts "Belang" als Synonym des Wortes "Bedeutung" [...] nicht auf die Überzeugungsgewissheit der entscheidenden Stelle, sondern setzt vielmehr bei der Qualifizierung des Vortrags als "prüfungsrelevant" an [...]. Hierin liegt ein wesentlicher struktureller Unterschied. Dieser Unterschied wird insofern augenfällig als nach dem hergebrachten Verständnis des Bundesverfassungsgerichts eine besonders intensive Prüfung der Asylgründe für die Feststellung des Offensichtlichkeitsverdikts geboten ist [...], während das Begriffsverständnis des § 30 Abs. 1 Nr. 1 AsylG dahin geht, dass nach dem Vorbringen des Ausländers überhaupt nichts "von Belang" vorhanden ist, sich eine inhaltliche Prüfung also mit dem vom Bundesverfassungsgericht geforderten Grad der Eindringtiefe von vornherein erübrigt. [...]

26Nach § 30 Abs. 1 Nr. 1 AsylG ist damit bei einer Auslegung im Lichte des Art. 31 Abs. 8 Buchst. a) RL 2013/32/EU ein Vortrag des Ausländers für die Asylprüfung im Ergebnis dann nicht von Belang, wenn aus diesem auch bei Wahrunterstellung ersichtlich kein Schutzstatus nach § 3 oder § 4 AsylG folgen kann, weil sein Vorbringen insgesamt nicht an die Tatbestandsvoraussetzungen für die Zuerkennung internationalen Schutzes anknüpft [...].

27 Dies ist unter der Geltung des § 30 Abs. 1 Nr. 1 AsylG und nach den obigen Ausführungen indessen konkret nicht bereits dann der Fall, wenn der Ausländer aus anderen Gründen, die sich bei der Prüfung seines Antrags auf Schutzgewährung ergeben, letztlich – gegebenenfalls auch offenkundig – keinen Schutzanspruch hat, weil er etwa auf die Hinwendung an einen schutzmächtigen staatlichen Akteur [...] oder auf internen Schutz [...] zu verweisen wäre [...]. Ein solches Vorbringen, das einen Verfolgungskern in sich trägt, ist gerade geeignet, eine weitergehende "Asylprüfung" anzustoßen und damit "von Belang" im Sinne der Vorschrift. Denn ein Vorbringen, welches eine Verfolgung beschreibt, berührt stets, zumindest potentiell, auch die Frage, ob die Voraussetzungen nach §§ 3d und 3e AsylG vorliegen. Die bisweilen in der Rechtsprechung anklingende Frage der Offenkundigkeit eines Ausschlusstatbestands nach den §§ 3d und 3e AsylG ist hochdifferenziert, aber lässt aus dem Blick, dass gerade die Frage nach einer solchen "Offenkundigkeit" eine inhaltliche Prüfung des Asylvortrags bedingt, für die dieser nach dem Wortlaut des § 30 Abs. 1 Nr. 1 AsylG ("nicht von Belang") gerade nichts hergeben können soll [...]. Hätte der Gesetzgeber einen solchen Tatbestand unter der Geltung des neuen § 30 Abs. 1 Nr. 1 AsylG gewollt, hätte er es - ungeachtet der Frage nach der Unionsrechtskonformität einer solchen Erweiterung des Art. 31 Abs. 8 RL 2013/32/EU - nicht mit einem bloßen gleichsam salvatorischen Verweis auf die Beibehaltung des "status quo ante" in den Gesetzesmaterialien sein Bewenden haben lassen dürfen.

28 Die solcherart festzustellende objektive Belanglosigkeit muss sich dabei auf die vorgetragenen Gründe im Ganzen erstrecken, nicht lediglich auf einzelne Teile hiervon [...]. Kann auch nur hinsichtlich eines Grundes das Vorbringen aus tatsächlichen oder rechtlichen Erwägungen nicht als belanglos angesehen werden, ist der Asylantrag in Gesamtheit jedenfalls nicht nach § 30 Abs. 1 Nr. 1 AsylG offensichtlich unbegründet. Erweist sich das Vorbringen des Asylsuchenden zu den von ihm geltend gemachten individuellen Vorfluchtgründen als derart irrelevant, dass es die Ablehnung als offensichtlich unbegründet rechtfertigte, so steht damit noch nicht fest, dass gleiches für die übrigen - selbständig zu beurteilenden – Verfolgungsgründe, etwa für geltend gemachte Nachfluchtgründe und damit für den Asylantrag insgesamt gilt. [...]