Ordnungsgemäße Dokumentation von Posteingängen beim BAMF:
1. Wird ein Asylbescheid de anwaltlich vertretenen Antragsteller persönlich zugestellt, weil die anwaltliche Vollmacht zum Zeitpunkt des Versands beim BAMF nicht vorgelegen haben soll, geht die Versäumung der Klagefrist nicht zu Lasten des Antragstellers, wenn der Posteingang der Vollmacht vom BAMF nicht ordnungsgemäß (mit Eingangsstempel oder Eingangsvermerk) dokumentiert wurde.
2. In Afghanistan droht nicht-muslimischen religiösen Minderheiten asylrelevante Verfolgung. Andachtsorte und andere Einrichtungen von Minderheiten werden systematisch angegriffen. Nach den Angaben der Vereinten Nationen ist die Zahl der Hindus und Sikhs von 7.000 im Jahre 2016 auf weniger als 50 im Jahre 2022 zurückgegangen.
(Leitsätze der Redaktion)
[...]
13 [...] Zwar teilte die Beklagte gegenüber dem Prozessbevollmächtigten des Klägers in dem Schreiben vom 13.03.2019 mit, dass die von ihm überreichte Vollmacht noch nicht vorgelegen habe, als der Bescheid am 11.03.2019 zur Zustellung der Post übergeben worden sei. Die Richtigkeit dieses Vortrags indes ergibt sich aus dem Inhalt der Verwaltungsakten nicht zweifelsfrei. Weder auf der Vollmachtsurkunde noch sonst findet sich ein Eingangsvermerk oder Eingangsstempel. Anstelle dessen befindet sich ein Bearbeitungsvermerk vom 12.03.2019 in den Akten, wonach die Vollmacht in die Verfahrensakte des Klägers "auf(zu)lösen" sei. Ob die Vollmachtsurkunde am Tag der Bearbeitung eingegangen ist oder aber möglicherweise schon einen Tag zuvor, kann dem Akteninhalt nicht entnommen werden. Dass der Kläger den rechtzeitigen Eingang der Vollmacht vor der Absendung des Bescheides am 11.03.2019 nicht beweisen kann, geht nicht zu seinen Lasten, weil die ordnungsgemäße Dokumentation des Eingangs von Dokumenten allein in die Sphäre der Behörde fällt. Ist – wie hier – ein Dokument unter Verletzung zwingender Zustellungsvorschriften zugegangen, gilt es als in dem Zeitpunkt zugestellt, in dem es dem Empfangsberechtigten tatsächlich zugegangen ist (§ 8 VwZG). [...]
17 Der Kläger ist vor seiner Ausreise aus Afghanistan politischer Verfolgung in Anknüpfung an ihre Religionszugehörigkeit ausgesetzt gewesen. [...]
18 Diese Schilderungen hält das Gericht für glaubhaft. Sie fügen sich ein in die Auskunftslage zur Situation nicht-muslimischer Glaubensminderheiten in Afghanistan. Die Möglichkeiten der konkreten Religionsausübung für Nicht-Muslime waren vor der Machtübernahme durch die Taliban und sind auch nach August 2021 durch gesellschaftliche Stigmatisierung, Sicherheitsbedenken und die spärliche Existenz von Gebetsstätten extrem eingeschränkt. Zahlreiche Hindus und Sikhs sind nach Indien ausgereist. Nach den Angaben der Vereinten Nationen habe sich ihre Anzahl von 7.000 im Jahre 2016 auf weniger als 50 im Jahre 2022 reduziert. Der Sonderberichterstatter der Vereinten Nationen habe zur Situation der Menschenrechte in Afghanistan in seinem Bericht an den Menschenrechtsrat im September 2022 seine ernsthafte Sorge über die Situation von Minderheiten zum Ausdruck gebracht und kritisiert, dass Andachtsorte und andere Einrichtungen von Minderheiten systematisch angegriffen würden und Minderheiten Ziel von willkürlichen Inhaftierungen, Folter, standrechtlichen Hinrichtungen und Vertreibungen aus ihren Stammesgebieten seien. Minderheiten seien teilweise diskriminierender Besteuerung unterworfen und würden auch anderweitig marginalisiert [...]. Das findet seine Stütze auch in dem Bericht der United States Commission on International Religious Freedom [...], Danach hat die Machtübernahme durch die Taliban zu einem raschen Rückgang und nahezu zur Auslöschung der ohnehin kleinen afghanischen Hindu- und Sikh-Gemeinden geführt. Gegenwärtig lebten in Afghanistan noch etwa 100 Hindus und Sikhs.[...] Die Auskunftslage macht deutlich, dass religiöse Minderheiten, insbesondere die Sikhs und Hindus in Afghanistan in einer ihnen feindlich eingestellten Umgebung leben und von der muslimischen Bevölkerungsmehrheit stigmatisiert und ausgegrenzt werden.
19 Schutz gegen asylerhebliche Diskriminierung und Ausgrenzung aus dem öffentlichen Leben und gegen Übergriffe war und ist in Afghanistan durch die afghanische Regierung oder die afghanischen Sicherheitsbehörden nicht zu erlangen. [...]