Kein subsidiärer Schutz für Person aus dem Libanon:
1. Aufgrund des Waffenstillstands und der damit einhergehenden drastischen Verringerung der israelischen Einsätze droht kein ernsthafter Schaden mehr für die Zivilbevölkerung im Libanon. Es herrscht zwar ein internationaler bewaffneter Konflikt. Dieser beschränkt sich allerdings auf bestimmte Gebiete im Süden und Osten des Libanons.
2. Ein Abschiebungsverbot kommt nicht in Betracht, weil die wirtschaftliche Lage im Libanon zwar schlecht ist, allerdings insbesondere keine Hungersnot herrscht. Dank ihren beruflichen Fertigkeiten wird die schutzsuchende Person gelegentlich arbeiten können, und es ist davon auszugehen, dass ihre Familie sie nach Rückkehr unterstützen wird. Hinzu kommt, dass durch das Freiwillige Rückkehr Programm (GARP - Government Assisted Repatriation Programme) zumindest für die erste Zeit nach Rückkehr das Überleben gesichert ist.
(Leitsätze der Redaktion)
[...]
b. Der Antragsteller hat seinen Folgeantrag allein darauf gestützt, dass sich die Sicherheitslage aufgrund der Einsätze der israelischen Armee gegen Ziele im Libanon so stark verschlechtert habe, dass ihm subsidiärer Schutz gemäß § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AsylG zu gewähren sei. Auch in seinem Herkunftsort Al Beddaoui sei in etwa 100 m Entfernung vom Haus seiner Familie eine Rakete eingeschlagen. Aufgrund dieses Vortrags liegen die Voraussetzungen für die Durchführung eines weiteren Asylverfahrens jedenfalls im maßgeblichen Zeitpunkt des Erlasses der vorliegenden Entscheidung nicht vor. Es sind auch keine anderen Elemente oder Erkenntnisse zu Tage getreten, aufgrund derer ein weiteres Asylverfahren durchzuführen wäre. [...]
Am 27. November 2024 trat ein Waffenstillstandsabkommen zwischen Israel und Libanon in Kraft. Dieses Abkommen sieht eine 60-tägige Übergangszeit vor, in der sowohl die israelische Armee als auch die Hisbollah den Süden des Libanons verlassen und die libanesische Armee südlich des Flusses Litani stationiert wird, um die militärische Infrastruktur der Hisbollah abzubauen und eine Rückkehr der Hisbollah in den Süden des Libanon zu verhindern. Israel wurden Eingriffsrechte als Reaktion auf Verletzungen des Waffenstillstands durch die Hisbollah eingeräumt. [...]
Am 6. Januar 2025 hat die israelische Armee mit ihrem Rückzug aus dem Süden des Libanons begonnen, zuerst wurde die an der Mittelmeerküste liegende Stadt Naqoura geräumt. [...]
Aufgrund der Kampfhandlungen sollen auf libanesischer Seite im Zeitraum vom 8. Oktober 2023 bis zum Eintritt des Waffenstillstands etwa 4.000 Personen ums Leben gekommen und mehr als 16.500 Personen verletzt worden sein. Allerdings dürften viele getötete Kämpfer der Hisbollah nicht in diesen Zahlen enthalten sein, da die Hisbollah ihre Verluste auf rund 4.000 tote Kämpfer schätzt. Zudem sollen aufgrund der Kampfhandlungen bis zu 1,3 Millionen Binnenvertriebene zu verzeichnen gewesen sein. Weitere 550.000 Personen, darunter mehr als 320.000 syrische Flüchtlinge, sollen nach Syrien geflohen sein. [...]
Unmittelbar nach Beginn des Waffenstillstands begannen Zehntausende Vertriebene, in ihre Wohnorte im Süden des Libanons, der Bekaa-Ebene und in Dahiehzurückzukehrenn. Aufgrund dieser Rückkehrwelle soll sich die Anzahl der in Evakuierungszentren untergebrachten Personen bis zum 29. November 2024, d.h. innerhalb von zwei Tagen, um 77 % verringert haben. Jedoch hat die israelische Armee eine Rückkehr in etwa 60 Dörfer im Süden des Libanons vorerst ausgeschlossen und eine nächtliche Ausgangssperre für das Gebiet südlich des Flusses Litani verhängt. [...]
Der Waffenstillstand wurde bisher weitgehend eingehalten. Zwar kam es auch nach dem 27. November 2024 zu beiderseitigen Kampfhandlungen, jedoch hat sich die Anzahl der Einsätze der israelischen Armee gegen Ziele im Libanon insbesondere seit dem 20. Dezember 2024 drastisch verringert. Während die israelische Armee bis zum Inkrafttreten bis zu mehrere hundert Einsätze pro Tag durchführte, wurden in den letzten Wochen nur noch vereinzelte Einsätze registriert, die sich zudem auf die nahe der Grenze zu Israel gelegenen Gebiete im Süden des Libanons und die Bekaa-Ebene beschränkten. [...]
Mit der Zahl der Einsätze der israelischen Armee gegen Ziele im Libanon ist auch die Zahl der getöteten und verletzten Personen seit Inkrafttreten des Waffenstillstands deutlich zurückgegangen. [...]
bb. Aufgrund der vorstehend dargelegten aktuellen Sicherheitslage im Libanon ist kein weiteres Asylverfahren durchzuführen. Zwar liegen - bezogen auf den Zeitpunkt des Erlasses des Erstbescheides vom 19. Dezember 2016 - neue Erkenntnisse zur aktuellen Sicherheitslage im Libanon vor. Diese sind jedoch nicht mit erheblicher Wahrscheinlichkeit geeignet, zu einer für den Antragsteller günstigeren Entscheidung beizutragen. Trotz der geänderten Sicherheitslage im Libanon droht dem Antragsteller im Libanon kein ernsthafter Schaden i.S.d. § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AsylG. Die Voraussetzungen, die diese Norm für die Annahme eines ernsthaften Schadens bei bewaffneten Konflikten aufstellt, liegen dort im maßgeblichen Zeitpunkt weiterhin eindeutig nicht vor.
Zwar herrscht im Libanon angesichts der vorstehend aufgeführten Kampfhandlungen ein internationaler bewaffneter Konflikt. Dieser beschränkt sich derzeit aber auf einige Distrikte im Süden des Libanons an der Grenze zu Israel sowie einige Distrikte im Osten des Libanons an der Grenze zu Syrien, da sich die Einsätze der israelischen Armee gegen Ziele im Libanon derzeit auf diese Gebiete beschränken. Dagegen sind in dem im Nordwesten des Libanons gelegenen Gouvernement Nord-Libanon bereits seit über einem Monat keine Kampfhandlungen mehr zu verzeichnen, so dass es dort derzeit an einem bewaffneten Konflikt fehlt.
Jedenfalls aber ist der internationale bewaffnete Konflikt im Libanon derzeit nicht durch einen derart hohen Grad willkürlicher Gewalt gekennzeichnet, dass im Falle der Rückkehr des Antragstellers in einen beliebigen Ort im Libanon von diesem Konflikt eine ernsthafte individuelle Gefahr für ihn ausgeht. [...]
Dies gilt angesichts der unter aa. eingehend dargelegten aktuellen Lage derzeit für den gesamten Libanon. Die Anzahl der Zivilisten, die im Libanon im Vergleich zur Bevölkerung von etwa 5,3 Millionen [...] im Rahmen bewaffneter Konflikte getötet oder verletzt wird, ist zumindest seit Inkrafttreten des Waffenstillstands Ende November 2024 relativ gering. Ein schwerwiegendes Indiz dafür, dass der Zivilbevölkerung auch in den im Süden und Osten des Libanons gelegenen Gebieten, die weiterhin von Kampfhandlungen betroffen sind, derzeit keine ernsthafte individuelle Gefahr droht, ist der Umstand, dass die weit überwiegende Mehrheit der Binnenvertriebenen, die diese Gebiete seit der Intensivierung der Kampfhandlungen am 23. September 2024 verlassen hatten, mit Inkrafttreten des Waffenstillstands dorthin zurückgekehrt ist. Individuelle gefahrerhöhende Umstände in der Person des Antragstellers sind weder vorgetragen noch anderweitig ersichtlich. Sonstige Umstände, wie z.B. die geografische Verteilung der Konflikte, die Intensität und die Dauer bewaffneter Auseinandersetzungen, der Organisationsgrad der beteiligten Streitkräfte oder der Grad der Aggression gegen die Zivilbevölkerung [...] führen zu keinem anderen Ergebnis. Im Gouvernement Nord-Libanon finden - wie bereits dargelegt - seit dem Waffenstillstand Ende November 2024 keine Kampfhandlungen mehr statt; bis zu diesem Zeitpunkt kam es in diesem Gouvernement nur ganz sporadisch zu Einsätzen der israelischen Armee.
3. Den Antrag des Antragstellers, den Bescheid vom 19. Dezember 2016 bezüglich der Feststellung zu § 60 Abs. 5 und 7 AufenthG abzuändern, hat das Bundesamt ebenfalls zu Recht abgelehnt. Ob insoweit die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 bis 3 VwVfG oder der §§ 51 Abs. 5, 49 Abs. 1 VwVfG für ein Wiederaufgreifen des Verfahrens vorliegen, bedarf keiner weiteren Vertiefung. Denn jedenfalls steht dem Antragsteller kein Anspruch auf Feststellung eines solchen Abschiebungsverbots zu. [...]
Die Wirtschaftskrise im Libanon ist wesentlich durch einen immensen Wertverlust der libanesischen Währung von 98 % ihres ehemaligen Werts und der derzeit weltweit höchsten Inflationsrate für Lebensmittel i.H.v. 352 % [...] einem Rückgang des libanesischen Bruttoinlandsprodukts um knapp 40 % zwischen 2018 und 2021, einer sich anschließenden Stagnation der Wirtschaftsleistung in den Jahren 2022 und 2023 sowie einem geschätzten Rückgang des Bruttoinlandprodukts um weitere 6,6 % für 2024 [...] geprägt. [...]
Diese Entwicklungen der letzten Jahre resultieren in einer weitgehenden Verarmung der libanesischen Bevölkerung. Erhebungen zufolge leben inzwischen rund drei Viertel der libanesischen Bevölkerung an oder unter der Armutsgrenze. [...]
Jedoch ist (extreme) Armut nicht mit einer aufgrund der humanitären Situation bedingten unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung i.S.d. Art. 3 EMRK gleichzusetzen. Letzteres setzt voraus, dass der Antragsteller sich im Falle seiner Rückkehr an seinen bisherigen Wohnort in einer Situation extremer materieller Not befinden wird, die es ihm nicht erlaubt, seine elementarsten Bedürfnisse zu befriedigen, wie insbesondere sich zu ernähren, sich zu waschen und eine Unterkunft zu finden ("Brot, Bett, Seife"). Eine derartige Situation droht dem Antragsteller im Falle seiner Rückkehr an seinen bisherigen Wohnort derzeit nicht. Insbesondere herrscht im Libanon keine Hungersnot; die Versorgung mit Grundnahrungsmitteln einschließlich Wasser ist derzeit grundsätzlich gesichert, auch wenn viele libanesische Familien ihren Lebensmittelkonsum inflationsbedingt einschränken mussten [...]
Der alleinstehende Antragsteller verfügt seinen Angaben gegenüber dem Bundesamt im Oktober 2016 zufolge über eine Ausbildung als … sowie über langjährige Erfahrung im Bereich der Herstellung von …. Aufgrund dieser Fertigkeiten ist zu erwarten, dass er sich im Libanon trotz der schlechten Lage auf dem Arbeitsmarkt zumindest ab und zu etwas Geld verdienen kann. Zudem leben den Angaben des Antragstellers zufolge seine … im Libanon, die ihn in ihre Wohnung aufnehmen können und ihn auch ansonsten unterstützen können, um seine elementarsten Bedürfnisse ("Brot, Bett, Seife") zu sichern. Angesichts dessen, dass im Libanon aufgrund des dortigen rudimentären Sozialsystems die Familie weiterhin das wesentliche Element sozialer Sicherung ist [...], ist das Gericht auch davon überzeugt, dass seine Familie den Antragsteller trotz der schlechten wirtschaftlichen Lage entsprechend den im Libanon üblichen Gepflogenheiten unterstützen wird.
Hinzu kommt, dass der Antragsteller im Falle seiner freiwilligen Rückkehr in den Libanon über das Government Assisted Repatriation Programme (GARP) eine Starthilfe von 1.000,- € erlangen kann [...], die ihm für eine Übergangszeit die Befriedigung seiner elementarsten Bedürfnisse, ermöglichen wird. [...]