Diskriminierung sexueller Minderheiten in Ghana:
1. Einvernehmliche gleichgeschlechtliche sexuelle Handlungen sind in Ghana gemäß Abschnitt 104 (1)(b) des Gesetzes über strafbare Handlungen von 1960 strafbar. Der Gesetzentwurf zur "Förderung der sexuellen Rechte des Menschen und der ghanaischen Familienwerte“ von Juli 2021 verbietet es unter anderem, sich als lesbisch, schwul, transgeschlechtlich, queer oder einer anderen nicht-binären Form von Sexualität oder Geschlecht zugehörig auszugeben.
2 Angehörige der LGBTIQ-Community sind Diskriminierungen durch staatliche Akteure und nicht-staatliche Dritte ausgesetzt. Tätliche Angriffe und öffentliche Demütigungen nehmen seit 2021 stetig zu. Schutzeinrichtungen für LGBTIQ-Personen sind in ihren Rechten eingeschränkt.
3. Es besteht die begründete Annahme, dass eine bisexuelle Frau in Ghana einer flüchtlingsrechtlich relevanten Verfolgung ausgesetzt sein wird. Einer Ablehnung des Asylantrages als offensichtlich unbegründet gem. § 29a Abs. 1 AsylG wegen der Herkunft aus einem sicheren Herkunftsland begegnet daher ernstlichen Zweifeln.
(Leitsätze der Redaktion)
[...]
Zwar handelt es sich bei Ghana gemäß§ 29a Abs. 2 AsylG i.V.m. Anlage II zum AsylG um einen sicheren Herkunftsstaat; der Antragstellerin ist es aber nach Auffassung der erkennenden Kammer gelungen, die Vermutung, dass sie in Ghana nicht verfolgt werden wird, zu erschüttern.
Die Antragstellerin hat in ihrer Anhörung vor dem Bundesamt und im Rahmen des gerichtlichen Verfahrens geschildert, das sie an der Highschool bemerkt habe, bisexuell zu sein, wobei sie die Bisexualität damals schon ausgelebt habe. Ihre sexuelle Orientierung habe sie in einem kontinuierlichen Prozess entdeckt. Da sie jetzt ein Kind habe, befinde sie sich in einer konstanten Phase, wolle sich aber dennoch weiterentwickeln. Ihre Bisexualität auszuleben, mache ihr Spaß, und es sei okay für sie, dass sie sich ebenfalls zu Frauen hingezogen fühle. In Ghana werde diese sexuelle Orientierung jedoch nicht unterstützt, vielmehr könne man eingesperrt oder sogar getötet werden. Wenn ihre Familie davon erfahren hätte, wäre sie vielleicht verstoßen oder getötet worden. In Ghana glaubten die Menschen, dass Lesbischsein und Bisexualität etwas Teuflisches seien. Sie selbst sei jedoch bislang nicht deswegen bedroht worden und habe deshalb auch keine sonstigen Probleme gehabt. Sie habe Beziehungen zu Männern und zu Frauen gehabt, habe sich deshalb jedoch nicht in Gefahr befunden. Wenn sie Beziehungen zu Frauen gehabt habe, habe sie dies nämlich nicht offen gemacht, sondern versteckt. Ihr Umfeld habe deshalb davon nichts erfahren. Lediglich in der Schule hätten einige ihrer Freunde davon erfahren, woraufhin sie ausgegrenzt worden sei. Auch sei sie von einer Klassenkameradin damit bedroht worden, sie würde dies ihren Eltern erzählen. Nach der Schule sei dann jedoch jeder seiner Wege gegangen. Sie sei später nach ... zu einem Familienangehörigen gezogen. Dort habe sie keine Probleme gehabt und dann den Vater ihres Sohnes kennengelernt. Er wisse von ihrer sexuellen Orientierung und habe damit kein Problem. Sie sei jedoch Single. Zwar habe sie in ... ihre Bisexualität ausgelebt, sie habe dies jedoch auch dort geheimgehalten. Man habe sich immer verstellen müssen, damit niemand etwas mitbekomme. [...]
Dass die Antragstellerin sich im Zuge der Anhörung nicht umfänglich zu Details über konkret gelebte bisexuelle Beziehungen einschließlich intimer Details geäußert hat, spricht nach Auffassung der erkennenden Kammer nicht ohne Weiteres gegen die Glaubhaftigkeit ihres Vortrags zu ihrer sexuellen Orientierung. Denn ihr wurden im Rahmen der Anhörung insoweit keine expliziten Fragen gestellt und es wurde auch nicht konkret verdeutlicht, dass es auf eine nachvollziehbare Schilderung der Entwicklung ihrer sexuellen Orientierung ankommen könnte. [...]
Im hiesigen Eilverfahren kann dahinstehen, ob die Antragstellerin vor ihrer Ausreise wegen ihrer Bisexualität bereits bedroht oder verfolgt wurde. Aufgrund der angenommenen Bisexualität der Antragstellerin als solcher erscheint es angesichts der der Kammer zur Verfügung stehenden Erkenntnismittel zumindest nicht ausgeschlossen, dass die Antragstellerin unter im Hauptsacheverfahren näher zu prüfenden Umständen einen Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft haben könnte. Diesen Erkenntnismitteln lässt sich jedenfalls hinreichend deutlich entnehmen, dass die Befürchtung der Antragstellerin, in Ghana wegen ihrer sexuellen Orientierung durch nichtstaatliche Dritte verfolgt zu werden, ohne dass der Staat dazu bereit wäre, ihr Schutz zu gewähren, nicht ohne weiteres von der Hand zu weisen ist [...].
Nach der Erkenntnislage der Kammer werden sexuelle Minderheiten in Ghana nach wie vor diskriminiert. [...]
Das ghanaische Gesetz erkennt gleichgeschlechtliche Partnerschaften und ihre Familien weder ausdrücklich an noch gewährt es ihnen die gleichen Rechte wie anderen Personen. Einvernehmliche gleichgeschlechtliche sexuelle Handlungen sind in Ghana strafbar. Abschnitt 104 (1)(b) des Gesetzes über strafbare Handlungen von 1960 [...] in der Fassung von 2003 besagt, dass sich derjenige eines Vergehens schuldig macht, der mit Zustimmung einer Person von sechzehn Jahren oder älter „unnatürlichen Geschlechtsverkehr“ hat. Unnatürlicher Geschlechtsverkehr wird in Abschnitt 104 (1)(2) als „Geschlechtsverkehr mit einer Person auf unnatürliche Weise oder mit einem Tier“ definiert. Einvernehmlicher gleichgeschlechtlicher Geschlechtsverkehr kann mit Haftstrafen zwischen einem und drei Jahren sanktioniert werden. In den letzten Jahren wurden jedoch weder Anklagen noch Verurteilungen bekannt, noch gab es entsprechende Hinweise durch Menschenrechtsorganisationen. Abschnitt 278 des Strafgesetzbuches kriminalisiert zudem „grobe Unsittlichkeit in der Öffentlichkeit“ und sieht dafür ebenso Strafen von einem bis zu drei Jahren Haft vor. Die ghanaische Verfassung schützt nicht explizit vor Diskriminierung aufgrund sexueller Orientierung oder geschlechtlicher Identität. Konkreter Schutz vor Diskriminierung von LGBTIQ-Personen im Bereich Gesundheit, Bildung, Arbeitsmarkt, Wohnungsmarkt oder vor Hetze und Hassverbrechen ist nicht gesetzlich gewährleistet [...].
Im Juli 2021 haben mehrere Parlamentsabgeordnete einen überparteilichen Gesetzentwurf eingebracht, der die Rechte von LGBTIQ-Personen weiter deutlich einschränken soll. Der „Gesetzentwurf zur Förderung der sexuellen Rechte des Menschen und der ghanaischen Familienwerte“ [...] verbietet es beispielsweise, sich „als lesbisch, schwul, transgeschlechtlich, queer oder einer anderen nicht-binären Form von Sexualität oder Geschlecht zugehörig auszugeben“. Des Weiteren stellt der in Medienberichten häufig „Anti-LGBTIQ-Gesetz“ genannte Entwurf jedwede Form der Förderung, Begünstigung oder Unterstützung von LGBTIQ-Aktivitäten oder LGBTIQ-Personen unter Strafe und sieht die Meldepflicht von unter diesem Gesetz verstandenen Straftaten vor. Das Gesetzesvorhaben verschärft Gefängnisstrafen auf bis zu zehn Jahre [...]. Am 28. Februar 2024 hat das ghanaische Parlament in einer finalen Sitzung den Gesetzentwurf verabschiedet. Nach der Abstimmung im Parlament sollte der Gesetzentwurf Präsident Akufo-Addo vorgelegt werden. Der Präsident hat jedoch am 5. März 2024 in einer Erklärung angekündigt, dass er dem ihm vorliegenden Anti-LGBTIQ-Gesetz nicht zustimmen werde, solange dessen Verfassungsmäßigkeit nicht bestätigt worden sei. Er wolle warten, bis der Oberste Gerichtshof des Landes eine Entscheidung in der Angelegenheit getroffen habe; Ghana solle in Bezug auf seine Menschenrechtsbilanz nicht nachlassen [...].
Das Gesetzesvorhaben zur deutlichen Verschärfung der Gesetzeslage gegen LGBTIQ-Personen findet breite Zustimmung in der ghanaischen Gesellschaft und wird von einer Koalition aus christlichen, muslimischen und traditionellen Führern unterstützt. Das Gesetzgebungsverfahren ist jedoch noch nicht abgeschlossen und dessen Ausgang bleibt auch vor dem Hintergrund anhängiger Klageverfahren ungewiss [...].
Am 24. Juli 2024 hat aber der oberste Gerichtshof Ghanas das bisherige Gesetz, wonach einvernehmliche gleichgeschlechtliche sexuelle Handlungen in Ghana strafbar sind, bestätigt und eine Klage abgewiesen. Mit seinem Urteil hat das Gericht die Auslegung des einschlägigen § 104(1)(b) erweitert und offenbar Formulierungen aus dem Gesetzentwurf des „Promotion of Proper Human Sexual Rights and Ghanaian Family Values Bill“ übernommen, indem es bestätigt hat, dass jeglicher Geschlechtsverkehr, der nicht zwischen einem Mann und einer Frau stattfindet, strafbar bleibt. Nach Aussage des Richters unterstütze die ghanaische Verfassung familiäre und kulturelle Werte, die Homosexualität und andere Formen unnatürlichen Geschlechtsverkehrs missbilligten [...].
Was die Behandlung von LGBTQ-Personen durch Behörden anbelangt, gibt es Berichte über Polizeigewalt. Polizeikräfte würden die Gesetzgebung nutzen, um LGBTQ-Personen durch Festnahmen, Drohungen und willkürliche Verhaftungen zu belästigen, zu erniedrigen, zu entfremden oder zu outen. Unter anderem handele es sich um Fälle, in denen Personen Übergriffe (teils wegen ihrer sexuellen Orientierung oder Geschlechtsidentität) zur Anzeige bringen wollten und dann selbst festgenommen bzw. mit Festnahme bedroht worden seien. Es wird aber auch berichtet, dass Opfer von Straftaten im Zusammenhang mit ihrer sexuellen Orientierung oder Geschlechtsidentität angemessen unterstützt worden seien. LGBTIQ-Personen in Gefängnissen sind besonders von sexueller, psychischer und physischer Gewalt bedroht, gegen die seitens der Behörden in der Regel nicht ermittelt wird [...].
Die Zahl der gegen LGBTIQ-Personen gerichteten Äußerungen von politischen, religiösen und kommunalen Führungspersonen sowie die Medienberichterstattung über diese Aussagen steigt seit drei Jahren in Folge deutlich. Einige Abgeordnete riefen LGBTIQ-Personen beispielsweise dazu auf, keine medizinischen Dienste in Anspruch zu nehmen, und forderten medizinische Dienstleister auf, sich zu weigern, LGBTIQ-Personen zu behandeln [...].
Was die gesellschaftliche Haltung anbelangt, ist die Toleranz in Ghana gegenüber LGBTIQ-Personen sehr gering. Diese sind weit verbreiteter Diskriminierung, Einschüchterung und Gewalt ausgesetzt. Tätliche Angriffe auf und öffentliche Demütigungen von LGBTIQ-Personen durch private Dritte nehmen seit 2021 stetig zu. Gelegentlich wurden derartige Übergriffe in sozialen Medien geteilt, um LGBTIQ-Personen zu demütigen und zu ächten. LGBTIQ-Personen werden insbesondere in den Bereichen Ausbildung, Beschäftigung, Finanzdienstleistungen sowie Wohnen diskriminiert. Immer wieder wird über Versuche berichtet, LGBTIQ-Personen zu erpressen. Eine Strafverfolgung erwies sich aufgrund der Untätigkeit der Polizei jedoch als schwierig. Zunehmende Anfeindungen haben viele LGBTIQ-Personen gezwungen, ihre Häuser oder ihren Wohnort zu verlassen. Einige Familienmitglieder haben die Identität ihrer LGBTIQ-Verwandten öffentlich bekannt gegeben. Während früher in einigen Städten eine Toleranz geherrscht hat, hat sich die Stimmung seit 2021 jedoch zu einer zunehmend umfassenden Bedrohung der LGBTIQ-Gemeinschaft entwickelt [...]. Zudem wird von Konversionstherapien- oder -praktiken auch durch religiöse Organisationen berichtet, die LGBTIQ-Personen unter Druck setzen, ihre Identität zu widerrufen und die Identität anderer Mitglieder der LGBTIQ-Gemeinschaft preiszugeben [...].
Die Handlungsmöglichkeiten von Anlaufstellen und Schutzeinrichtungen für die Mitglieder der LGBTIQ-Gemeinschaft, die die Rechte von LGBTIQ-Personen vorsichtig, oft in Verbindung mit der Bekämpfung von HIV, vertreten, sind zunehmend eingeschränkt. Das Eintreten für diese Rechte stößt in der von konservativen, religiösen und kulturellen Werten geprägten Gesellschaft auf weit verbreitete Ablehnung; viele NGOs agieren vor diesem Hintergrund nur vorsichtig [...].
Auch das britische Home Office hält fest, dass tatsächliche oder vermeintliche LGBTIQ-Personen in Ghana wahrscheinlich einer Behandlung durch staatliche Akteure ausgesetzt sind, die einer Verfolgung oder einem ernsthaften Schaden gleichkommt. Auch seien tatsächliche oder vermeintliche Lesben, Schwule, bisexuelle Männer und Transmenschen wahrscheinlich einer Behandlung durch nichtstaatliche Akteure ausgesetzt, die einer Verfolgung oder einem ernsthaften Schaden gleichkommt. Zwar gebe es nur wenige Informationen über die Behandlung bisexueller Frauen und intersexueller Menschen durch nichtstaatliche Akteure, aber da es keine allgemeinen Hinweise einer positiven Behandlung gebe und angesichts der vorherrschenden gesellschaftlichen Einstellungen seien bisexuelle Frauen und intersexuelle Menschen wahrscheinlich dem gleichen Risiko ausgesetzt wie Lesben, Schwule, bisexuelle Männer und Transmenschen [...].
Angesichts dieser Erkenntnislage ergeben sich bezogen auf die Antragstellerin für den Fall ihrer Rückkehr nach Ghana und für den Fall, dass sie ihre Bisexualität offen leben möchte, durchaus Risiken, die über die Belastungen und Erschwernisse hinausgehen, die in Ghana allgemein herrschen. Die erkennende Kammer sieht die Vermutung, dass die Antragstellerin in Ghana vor flüchtlingsrechtlich relevanter Verfolgung sicher ist, damit jedenfalls nach Aktenlage im vorläufigen Rechtsschutzverfahren als widerlegt an. Es kann ohne weitere Anhörung der Antragstellerin im Hauptsachverfahren nicht ausgeschlossen werden, dass eine Verfolgung in Ghana wegen ihrer Bisexualität beachtlich wahrscheinlich ist und die für eine Verfolgung bisexueller Personen in Ghana sprechenden Umstände ein größeres Gewicht besitzen als die dagegen sprechenden Tatsachen, zumal zweifelhaft ist, ob es bisexuellen Menschen zugemutet werden kann, auf polizeiliche Hilfe verwiesen zu werden, wenn sie dadurch Gefahr laufen, sich aufgrund der Strafbarkeit homosexueller Handlungen selbst der Strafverfolgung oder jedenfalls erheblicher Diskriminierung, Herabsetzung und Gewalt auszusetzen [...]. Im Übrigen kann nicht erwartet werden, dass ein Asylbewerber seine Bisexualität in seinem Herkunftsland geheim hält, um eine Verfolgung zu vermeiden [...].
Die Antragstellerin kann in Ghana darüber hinaus auch keinen internen Schutz vor Verfolgung gemäß § 3e AsylG finden. Sichere Landesteile sind nämlich nicht ersichtlich, weil die oben dargestellte Problematik landesweit zu verzeichnen ist. [...]