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SG Heilbronn

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Zitieren als:
SG Heilbronn, Beschluss vom 17.02.2025 - S 15 AY 181/25 ER - asyl.net: M33125
https://www.asyl.net/rsdb/m33125
Leitsatz:

Geringere Leistungen für Personen in Gemeinschaftsunterkünften wohl verfassungswidrig:

1. Es spricht viel dafür, dass die in § 3a AsylbLG geregelte sogenannte "Zwangsverpartnerung" (geringere Leistungen für alleinstehende Personen, die in einer Gemeinschaftsunterkunft oder Aufnahmeeinrichtung leben und dort gemeinsam wirtschaften können, wodurch sich Einspareffekte ergeben würden) verfassungswidrig ist.

2. Die Bestandsschutzregelung des § 28a Abs. 5 SGB XII, wonach Leistungen auch dann unverändert bleiben, wenn die Ermittlung der Regelbedarfsstufen im Folgejahr niedrigere Beträge ergibt, enthält das AsylbLG ausdrücklich nicht.

3. Eine monatliche Bedarfsunterdeckung von 10 Prozent begründet keine Notlage, welche eine Entscheidung im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes erfordert.

(Leitsätze der Redaktion; a.A. zur Bestandsschutzregelung siehe SG Marburg, Beschluss vom 14.02.2025 – S 16 AY 11/24 ER – asyl.net: M33131)

Schlagwörter: Asylbewerberleistungsgesetz, alleinstehend, Gemeinschaftsunterkunft, Bedarfsstufe, Eilbedürftigkeit, einstweilige Anordnung, Aufnahmeeinrichtung, Leistungshöhe, alleinstehende Personen,
Normen: AsylbLG § 3a Abs. 1 Nr. 2 Bst. b, AsylbLG § 3a Abs. 2 Nr. 2 Bst. b, SGB 12 § 28 Abs. 5
Auszüge:

[...]

13 [...] Der Antragsteller begehrt die Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis, nämlich die Gewährung von Leistungen nach den §§ 3 ff. AsylbLG in der Regelbedarfsstufe 1 anstatt 2 ohne Absenkung der Regelbedarfe ab 01.01.2025. [...]

19 Das Gericht teilt die vielfach in Rechtsprechung und Kommentierung ausgedrückten erheblichen Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit der vom Gesetzgeber in § 3a AsylbLG geregelten besonderen Bedarfsstufe für erwachsene Leistungsberechtigte, die in Aufnahmeeinrichtungen, Gemeinschaftseinkünften oder vergleichbaren Unterkünften untergebracht sind [...]. Unabhängig davon, ob von einer notwendigen verfassungskonformen Auslegung ausgegangen wird in dem Sinne, dass ein gemeinsames Wirtschaften nachgewiesen sein muss, oder von einer direkten Ableitung aus der bundesverfassungsgerichtlichen Entscheidung vom 19.10.2022, nimmt die überwiegende Rechtsprechung und Literatur auch hier einen bestehenden Anspruch in Höhe der Regelbedarfsstufe 1 an. Die hier streitige Rechtsfrage hat das Bundessozialgericht im Revisionsverfahren B 8 AY 1/22 R am 26.09.2024 ohne mündliche Verhandlung beraten und dann das Verfahren ausgesetzt und dem Bundesverfassungsgericht die streitige Rechtsfrage zur Entscheidung vorgelegt [...].

20 Diesen Bedenken kann aber ohnehin nur im Hauptsacheverfahren nachgegangen werden. Im Rahmen des einstweiligen Rechtsschutzes können höhere als die gesetzlich vorgesehenen Leistungen nicht zugesprochen werden. Denn § 3a Abs. 1 Nr. 1 und Abs. 2 Nr. 1 AsylbLG ist nach Auffassung des Gerichts einer verfassungskonformen Auslegung nicht zugänglich; der - hier eindeutige - Gesetzeswortlaut ist Grenze jeder Auslegung [...]. Zugleich kommt eine Aussetzung des Verfahrens und Vorlage an das Bundesverfassungsgericht nach Art. 100 Abs. 1 GG im Eilverfahren nicht in Betracht [...]. Denn eine zeitnahe Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts, die dem Eilbedürfnis eines Verfahrens auf Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes entspräche, wäre nicht zu erwarten. Dem Antragsteller bleibt es indes unbenommen, gegen den vorliegenden Beschluss des Gerichts Verfassungsbeschwerde einzulegen und im Rahmen jenes Verfahrens ggf. eine einstweilige Regelung durch das Bundesverfassungsgericht zu suchen [...].

21 Der Antragsteller hat jedenfalls keinen Anordnungsgrund im Sinne einer besonderen Eilbedürftigkeit glaubhaft gemacht, welche eine Entscheidung im einstweiligen Rechtsschutzverfahren erfordert. [...] Der Antragsteller hat nicht ansatzweise dargelegt, welche konkreten Bedarfe nicht gedeckt sein sollen und dass deren Unterdeckung eine gerichtliche Entscheidung im Wege der einstweiligen Anordnung erforderlich macht. Der Antragsteller erhält derzeit vom Antragsgegner Leistungen in Höhe von monatlich 397 € in der Regelbedarfsstufe 2. Die Leistungen für die begehrte Regelbedarfsstufe 1 betragen 441 €. Damit besteht eine Differenz von 44 € bzw. 10 % monatlich. Eine Bedarfsunterdeckung von lediglich 10 % begründet nach Auffassung des Gerichts keine Notlage, welche eine Entscheidung im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes erfordert. [...]

22 2.) Soweit der Antragsteller geltend macht, ihm seien ab 01.01.2025 Leistungen nach den §§ 3 ff. AsylbLG in der Regelbedarfsstufe 1 ohne die in der Regelbedarfsstufen-Fortschreibungsverordnung 2025 vorgesehene Fortschreibung der Regelbedarfe unter Anwendung der Bestandsschutzregelung des § 28 Abs. 5 SGB XII zu gewähren, hat er schon keinen Anordnungsanspruch glaubhaft gemacht. Im Übrigen fehlt es auch hier an der Glaubhaftmachung eines Anordnungsgrundes.

23 Entgegen der Auffassung des Antragstellers ist die Bestandsschutzregelung des § 28 Abs. 5 SGB XII im AsylbLG nicht anwendbar. Anders als im Leistungsrecht nach dem SGB II und SGB XII, wo die Bestandsschutzregelung des § 28 Abs. 5 SGB XII dafür sorgt, dass die Regelbedarfsstufe im kommenden Jahr betragsmäßig unverändert fortgeschrieben werden, enthält das AsylbLG ausdrücklich keine solche Besitzschutzklausel. [...]