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VG Trier

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Zitieren als:
VG Trier, Urteil vom 19.02.2025 - 8 K 5757/24.TR - asyl.net: M33132
https://www.asyl.net/rsdb/m33132
Leitsatz:

Drohende Obdachlosigkeit in Zypern für Mutter mit Baby:

1. Einer Mutter mit Baby droht im Unterschied zu zu jungen, alleinstehenden, arbeitsfähigen Personen in Zypern eine unmenschliche, erniedrigende Behandlung.

2. Es ist gerade für Flüchtlinge sehr schwierig, in Zypern Wohnraum zu finden.

(Leitsätze der Redaktion)

Schlagwörter: Zypern, internationaler Schutz in EU-Staat, Anerkannte, Abschiebungsandrohung, Familieneinheit, Kleinkinder, Kindeswohl, unmenschliche oder erniedrigende Behandlung, besonders schutzbedürftig,
Normen: EMRK Art. 3, GR-Charta Art. 4, AsylG § 29, AufenthG § 60 Abs. 5, AufenthG § 60 Abs. 7
Auszüge:

[...]

Nach der Geburt ihrer Tochter im August 2024, die im Unterschied zum Vater des Kindes [...] in die anzustellende Rückkehrprognose einzubeziehen ist [...], ist unter Zugrundelegung aktueller Erkenntnismittel zur Lage in Zypern davon auszugehen, dass der Klägerin und ihrer Tochter bei einer Rückkehr eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung im Sinne von Art. 3 EMRK bzw. Art. 4 GRC droht [...].

Im Unterschied zu jungen, alleinstehenden, arbeitsfähigen Personen, denen bei einer Rückkehr nach Zypern grundsätzlich keine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung im Sinne des Art. 3 EMRK bzw. Art. 4 GRC droht [...], war im vorliegenden Fall zu berücksichtigen, dass die Klägerin und ihre Tochter - bedingt durch das geringe Alter des Kindes und dem damit einhergehenden besonderen Betreuungsbedarf - eine vulnerable Personengruppe darstellen, hinsichtlich derer im Anschluss an die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs [...] ein höherer Versorgungsbedarf notwendig ist, um die Anforderungen des Art. 4 GRC zu wahren. Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte hat den Gewährleistungsgehalt des Art. 3 EMRK, der mit demjenigen des Art. 4 GRC identisch ist (vgl. Art. 53 Abs. 3 GRC), im Hinblick auf Kinder nämlich weiter konkretisiert und spricht von deren "extremen Verletzlichkeit", die dazu führe, dass sie spezielle Bedürfnisse aufwiesen und auch eines besonderen - staatlichen - Schutzes bedürften, um die Anforderungen des Art. 3 EMRK zu wahren. Dieser besondere Schutzbedarf ist dabei nicht nur auf das Kind als solches beschränkt, sondern erfasst gerade auch den Familienverband als solchen [...].

Unter Anwendung dieser Grundsätze war der Bescheid vom 12. Dezember 2024 aufzuheben, da der Klägerin und ihrer 6 Monate alten Tochter bei einer Rückkehr nach Zypern mit hoher Wahrscheinlichkeit die Obdachlosigkeit droht.

Es gibt für anerkannt Schutzberechtigte keine aktiven Programme zur Bereitstellung von Wohnraum, die Betroffenen müssen sich selbst um eine Unterkunft kümmern. Dies gestaltet sich insbesondere aufgrund der hohen steigenden Mietpreise und der Zurückhaltung der Vermieter, an Flüchtlinge zu vermieten, selbst wenn diese ein regelmäßiges Einkommen haben, als schwierig, umso schwieriger ist es für Angehörige vulnerabler Gruppen [...]. Anerkannt Schutzberechtigte können zwar finanzielle Unterstützung im Rahmen der nationalen Regelung für ein garantiertes Mindesteinkommen (GMI) beantragen, die auch einen Mietzuschuss umfassen kann. Die Prüfung von GMI-Anträgen einschließlich der Mietzulage dauert jedoch bis zu 12 Monate, wobei selbst bei schutzbedürftigen Personen oder Obdachlosen der Antrag nur selten schneller geprüft wird. In diesem Zeitraum kann zwar eine Notstandsbeihilfe gewährt werden [...], diese variiert jedoch von Bezirk zu Bezirk und ist mit etwa 100-150 € für eine Person pro Monat und etwa 150-280 € für eine Familie pro Monat zu niedrig, um davon eine Unterkunft zu bezahlen und den Lebensbedarf zu decken. Eine Rückkehr in das Aufnahmezentrum ist der Klägerin aufgrund der Anerkennung als Schutzberechtigte nicht mehr möglich. [...]