Kein Familiennachzug zu subsidiär Schutzberechtigten bei nah bevorstehender Volljährigkeit:
1. Ein Familiennachzug kommt nicht (mehr) in Betracht, wenn nur noch ein sehr kurzer Zeitraum für die Ausübung des Sorgerechts bis zur Volljährigkeit des subsidiär schutzberechtigten Kindes bleibt. Nach der gesetzgeberischen Konzeption des § 36a Abs. 1 Satz 2 AufenthG wäre die Aufenthaltserlaubnis der Eltern zwingend bis zur Volljährigkeit des Kindes zu befristen. Im vorliegenden Fall wurde das schutzberechtigte Kind am 28. Januar 2025 volljährig.
2. Zwar muss aufgrund § 27 Abs. 4 Satz 3 AufenthG (in Übereinstimmung mit der Familienzusammenführungsrichtlinie) beim Familiennachzug eine erste Aufenthaltserlaubnis für mindestens ein Jahr erteilt werden. Dies gilt jedoch nicht für den Familiennachzug zu subsidiär Schutzberechtigten.
(Leitsätze der Redaktion)
[...]
Die hier am Maßstab des § 114 Satz 1 VwGO zu überprüfende Ermessensentscheidung der Antragsgegnerin ist fehlerhaft, weil die zuständige Auslandsvertretung – was auch die Beschwerde eingesteht – nicht erkannt hat, dass ihr § 36a Abs. 1 Satz 2 AufenthG Ermessen einräumt und dementsprechend keine Ermessenserwägungen angestellt hat. Zwar ergibt sich dies noch nicht aus den gegenüber den Antragstellern ergangenen versagenden Bescheiden vom 29. Juli 2024, die als Ablehnungsgrund nur die fehlende Zustimmung des Beigeladenen nennen. Nach der Rechtsprechung des Senats kann zur Beantwortung der Frage, ob die Auslandsvertretung eine Ermessensentscheidung getroffen hat und welche Erwägungen ihr zugrunde lagen, im Visumverfahren neben dem versagenden Bescheid ergänzend auf die sonstigen in den Verwaltungsvorgängen dokumentierten Umstände zurück-gegriffen werden, weil die Visumversagung als solche keinem unmittelbaren gesetzlichen Begründungserfordernis im Sinne von § 39 VwVfG unterliegt, der gemäß § 2 Abs. 3 Nr. 3 VwVfG nicht anwendbar ist [...]. Allerdings lässt sich auch dem Verwaltungsvorgang der Auslandsvertretung nichts zu ihrer Ermessensausübung entnehmen, sondern sie ist in ihrem Schreiben vom 26. Juli 2024 vielmehr – unzutreffend - davon ausgegangen, dass weder ihr noch der Ausländerbehörde Ermessen zustehe, sondern allein dem Bundesverwaltungsamt bei der Auswahlentscheidung. [...]
Trotz dieses Ermessensausfalls kann die Antragsgegnerin – was die Beschwerde im Ergebnis zutreffend geltend macht – hier nicht verpflichtet werden, die von den Antragstellern begehrten Visa zu erteilen. Soweit der Senat in seinem Urteil vom 5. Dezember 2024 (– OVG 3 B 38/23 – juris Rn. 34) für den Kindernachzug davon ausgegangen ist, dass das Vorliegen der Tatbestandsvoraussetzungen des § 36a Abs. 1 Satz 1 AufenthG "in der Regel" zu einer Einbeziehung des Visumantrags in die Auswahlentscheidung führe, gilt dies hier – unabhängig davon, dass es sich um einen Elternnachzug handelt - aufgrund der besonderen Umstände des Einzelfalles nicht.
Der Erlass einer einstweiligen Anordnung mit dem Inhalt, dass die Antragsgegnerin zu der begehrten Visumerteilung verpflichtet wird, setzt eine Reduzierung des der Antragstellerin zustehenden Ermessens auf Null oder im Hinblick auf Art. 19 Abs. 4 GG bei entsprechender Zeitknappheit zumindest voraus, dass die erforderliche Neubescheidung mit ganz überwiegender Wahrscheinlichkeit zur Visumerteilung führt [...]. Da diese Voraussetzungen hier nicht vorliegen, ist die Sache nicht spruchreif und es kommt lediglich eine Verpflichtung der Antragsgegnerin zur Neubescheidung entsprechend § 113 Abs. 5 Satz 2 VwGO in Betracht. [...]
Dies gilt zunächst im Hinblick auf die gesetzgeberische Konzeption des § 36a Abs. 1 Satz 2 AufenthG und den mit dieser Vorschrift verfolgten Zweck. Ein den Antragstellern gemäß § 36a Abs. 1 Satz 2 AufenthG erteiltes Visum wäre zwingend bis zum 27. Januar 2025 befristet, weil ihr im Bundesgebiet lebender, subsidiär schutzberechtigter Sohn am 28. Januar 2025 volljährig wird und das den Eltern zum Familiennachzug erteilte Visum allein der Wahrnehmung der Personensorge dient. Diese zeitliche Begrenzung des Elternnachzugs bis zur Volljährigkeit eines subsidiär schutzberechtigten Kindes verstößt nicht gegen höherrangiges Recht [...]. Die Regelung dient nicht eigenständigen Interessen der Eltern am Zusammenleben mit dem volljährig gewordenen Kind, sondern soll ein minderjähriges Kind schützen, wenn sich noch kein personensorgeberechtigter Elternteil im Bundesgebiet aufhält. Dies verdeutlicht auch der Wille des Gesetzgebers, die Vorschrift auf den Schutz der Kernfamilie zu beschränken [...], wozu volljährige Kinder grundsätzlich nicht mehr zählen. Ferner war beabsichtigt, mit der besonderen Ausgestaltung des § 36a AufenthG den Anreiz, dass Minderjährige von ihren Eltern unter Gefährdung des Kindeswohls auf die gefährliche Reise in die Bundesrepublik Deutschland vorgeschickt werden, weiter zu reduzieren [...].
Müsste die Gültigkeit den Antragstellern erteilter Visa demnach auf die Zeit bis zur Volljährigkeit beschränkt werden [...], so wären die Antragsteller nach ihrer Einreise in das Bundesgebiet nur während eines kurzen Zeitraumes im Besitz einer Aufenthaltserlaubnis. Eine (reguläre) Verlängerung der Visa über den 27. Januar 2025 hinaus wäre mangels Rechtsgrundlage grundsätzlich nicht möglich. Nach der Konzeption des Aufenthaltsgesetzes und dem Willen des Gesetzgebers steht den nachgezogenen Eltern eines subsidiär schutzberechtigten Kindes mit dessen Volljährigkeit kein eigenständiges Aufenthaltsrecht zu [...].
Nichts anderes ergibt sich aus § 27 Abs. 4 Satz 3 AufenthG. Soweit diese Regelung in Übereinstimmung mit Art. 13 Abs. 2 Satz 1 der Richtlinie 2003/86/EG (Familienzusammenführungsrichtlinie) bestimmt, dass der betreffende Mitgliedstaat den Familienangehörigen einen ersten Aufenthaltstitel mit mindestens einjähriger Gültigkeitsdauer [...] erteilt, gilt dies nicht für die Antragsteller. Die Familienzusammenführungsrichtlinie und die zu ihrer Umsetzung normierten aufenthaltsrechtlichen Vorschriften wären in Bezug auf den Antragstellern gemäß § 36a Abs. 1 Satz 2 AufenthG erteilte Visa nicht anwendbar, denn die Familienzusammenführungsrichtlinie erfasst nach ihrem Art. 3 Abs. 2 Buchst c nicht den Familiennachzug zu subsidiär Schutzberechtigten [...].
Ebenso wenig könnten die Antragsteller mit Erfolg einwenden, sie würden nach ihrer Einreise bei dem Bundesamt für Migration und Flüchtlinge einen Antrag auf Gewährung internationalen Schutzes stellen oder internationalen Schutz für Familienangehörige gemäß § 26 Abs. 5, Abs. 3 AsylG erhalten, denn dies stellt keine Verlängerung ihrer Aufenthaltserlaubnis dar. Im Übrigen kann nach ständiger Rechtsprechung des Senats (zur gemeinsamen Einreise von Kindern mit ihren Eltern, die im Besitz eines Visums nach § 36a Abs. 1 Satz 2 AufenthG sind) ein eventuelles zukünftiges Aufenthaltsrecht, das von der zunächst erforderlichen Zuerkennung internationalen Schutzes abhängt, grundsätzlich nicht vor dem Abschluss des im Bundesgebiet durchzuführenden Asylverfahrens fingiert und bei einem Visumantrag zum Familiennachzug bereits im Vorgriff berücksichtigt werden [...]. Diese Rechtsauffassung des Senats hat das Bundesverfassungsgericht bestätigt [...]. Hinzu kommt, dass der Ausgang eines von den Antragstellern ggf. durchzuführenden Asylverfahrens im Hinblick auf die veränderte Situation in Syrien derzeit ungewiss wäre.
Neben dem nur noch für kurze Zeit wahrzunehmenden Sorgerecht und dem zeitlich begrenzten Aufenthaltsrecht der Antragsteller steht einer Ermessensreduzierung auf Null entgegen, dass ihr im Bundesgebiet lebender Sohn weder geltend noch glaubhaft gemacht hat, auch nach Erreichen seiner Volljährigkeit aufgrund besonderer individueller Umstände eine Betreuung durch seine Eltern im Bundesgebiet zu benötigen und dass sich bereits weitere Familienangehörige des Sohnes im Bundesgebiet befinden, bei denen er sich aufgehalten hat. Angesichts dessen ist die Erteilung der begehrten Visa auch nicht aufgrund höherrangigen Rechts im Sinne von Art. 6 Abs. 1 GG, Art. 8 EMRK geboten. [...]