Zweite Staatsangehörigkeit stellt wirksamen Schutz gegen Verfolgung dar:
1. Die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft ist ausgeschlossen, wenn die schutzsuchende Person zwei oder mehr Staatsangehörigkeiten besitzt und in einem der Staaten wirksamen Schtuz gegen Verfolgung finden kann. Dies folgt aus dem Grundsatz der Subsidiarität des internationalen Flüchtlingsschutzes, der in Art. 1 A. Nr. 2 Abs. 2 GFK festgeschrieben ist.
2. Für die Prüfung des Asylantrages ist es unerheblich, ob die schutzsuchende Person die Staatsangehörigkeit des Staates, der Schutz vor Verfolgung bieten kann, aufgeben will, weil eine persönliche Bindung zu dem Land fehlt.
(Leitsätze der Redaktion)
[...]
Der Kläger ist ... 1987 in Syrien geboren und ist sowohl syrischer als auch brasilianischer Staatsangehöriger. [...]
Im Jahr 2014 sei er nach Brasilien abgeschoben worden, wo er 6 Monate gelebt habe. Diese Zeit sei schlimm gewesen, er habe dort nichts gefunden. Es habe nur Drogen und Schießereien gegeben. Er sei beklaut und beschimpft worden. Er habe die Menschen dort nicht einmal verstehen können. Ein islamisches Leben gebe es auch nicht. Er habe in Brasilien niemanden und könne dort nicht mit seiner Frau und den Kindern leben. [...] Bei einer Ablehnung seines Asylantrags wolle er nach Syrien geschickt werden, nicht nach Brasilien. Die brasilianische Staatsangehörigkeit wolle er abgeben. [...]
Dabei kann nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts Personen, die zwei oder mehr Staatsangehörigkeiten besitzen, die Flüchtlingseigenschaft nicht zuerkannt werden, wenn sie den Schutz eines der Länder ihrer Staatsangehörigkeit in Anspruch nehmen können. Dies folgt aus Art. 1 A. Nr. 2 Abs. 2 des Abkommens über die Rechtsstellung der Flüchtlinge vom 28. Juli 1951 (Genfer Flüchtlingskonvention - GFK), in dem der Grundsatz der Subsidiarität des internationalen Flüchtlingsschutzes zum Ausdruck kommt. Danach gilt eine Person, die ohne einen stichhaltigen, auf eine begründete Befürchtung gestützten Grund den Schutz eines der Länder nicht in Anspruch genommen hat, deren Staatsangehörigkeit sie besitzt, nicht als des Schutzes des Landes beraubt, dessen Staatsangehörigkeit sie hat. In diesem Sinne sind auch Art. 2 Buchst. d) und n) RL 2011/95/EU sowie § 3 Abs. 1 AsylG auszulegen: Nur wer schutzlos ist, weil er keinen wirksamen Schutz durch ein Herkunftsland im Sinne des Art. 2 Buchst. n) RL 2011/95/EU genießt, ist danach Flüchtling im Sinne von Art. 2 Buchst. d) RL 2011/95/EU [...].
Der vom Kläger sowohl vor dem Bundesamt als auch im gerichtlichen Verfahren geäußerte Wille, die brasilianische Staatsangehörigkeit abzugeben, ist dabei unerheblich. [...]
Das Land kann als relativ stabil bezeichnet werden. Die innenpolitische Lage ist jedoch stark polarisiert. Aufgrund sozialer, wirtschaftlicher und politischer Spannungen kommt es immer wieder zu Demonstrationen und Streiks, die zu Straßenblockaden und Behinderungen im Transportwesen führen können. Demonstrationen verlaufen meist gewaltfrei. Dennoch können Sachbeschädigungen, Plünderungen und gewalttätigen Ausschreitungen nicht ausgeschlossen werden. Die Kriminalitätsrate und die Gefahr, Opfer eines Raubüberfalls oder eines anderen Gewaltverbrechens zu werden, sind in Brasilien hoch, besonders in den Großstädten wie Belém, Fortaleza, Maceio, Porto Alegre, Recife, Rio de Janeiro, Salvador, São Luiz und São Paulo. Dort wiederum sind Armensiedlungen (Favelas) besonders stark betroffen. Die Favelas von Rio de Janeiro waren zuletzt immer wieder von Gewaltakten, z. T. mit Todesfolge betroffen. Favelas werden teilweise von Kriminellen und Drogenbanden kontrolliert. Bewaffneten Auseinandersetzungen, auch mit der Polizei, fallen häufig auch Unbeteiligte zum Opfer, und haben im ganzen Land stark zugenommen. Gewalttaten können von organisierten Banden oder von Einzelpersonen ausgehen [...].
Die brasilianische Wirtschaft erholte sich von der Pandemie-bedingten Rezession erstaunlich gut und hatte schon 2021 mit einem Plus von 4,6 Prozent wieder das Vorkrisen-Niveau erreicht. Der positive Trend setzte sich auch 2022 fort und brachte ein Wirtschaftswachstum von 2,9 Prozent. Für 2023 liegen die Wachstumsprognosen allerdings deutlich niedriger und es wird ein Plus von maximal einem Prozent erwartet. Für die Jahre danach werden Wachstumsraten um die 2 Prozent prognostiziert. [...]
Aufgrund dieser Auskunftslage und den Angaben des Klägers geht das Gericht davon aus, dass der 37jährige gesunde, arbeitsfähige und lebenserfahrene Kläger bei Vollzug der Ausreiseverpflichtung nach Brasilien in der Lage sein wird, seinen Lebensunterhalt zu erwirtschaften bzw. zumindest sein Existenzminimum zu sichern. Bei der Gefahrenprognose ist davon auszugehen, dass er dorthin allein geht. Auch ggf. gegenüber seiner (Ex-)Ehefrau und seinen beiden Kindern bestehenden Unterhaltsverpflichtungen sind nicht zu berücksichtigen, nachdem der Kläger allein aus Syrien ausgereist ist und auch im Bundesgebiet nicht mit seiner Familie zusammenlebte.
Anhaltspunkte dafür, dass den Kläger in Brasilien eine existenzbedrohende Armut erwartet, liegen nicht vor. Der Kläger hat nach eigenen Angaben in Deutschland bei verschiedenen Firmen als Bauhelfer gearbeitet. Es ist ihm auch in Brasilien zuzumuten, eine Arbeitsstelle im Baugewerbe oder auch in der Landwirtschaft zu suchen, um sich - auf einem niedrigen Niveau - eine Existenz aufzubauen. Im Bedarfsfalle kann er auch die Hilfe von humanitären Organisationen in Anspruch nehmen. Auf mangelnde Kenntnisse der portugiesischen Sprache, die einer Arbeitsplatzsuche entgegenstehen, kann sich der Kläger nicht berufen. Er hat bereits Erfahrungen in verschiedenen Ländern gesammelt und konnte sich bspw. auch in Deutschland und Großbritannien sowie bei seinem letzten Aufenthalt in Brasilien - trotz der ihm fremden Sprache - zurechtfinden. Wie das Bundesamt zutreffend festgestellt hat, ist es dem Kläger bei seinem vorherigen Aufenthalt auch gelungen, zumindest sein Existenzminimum zu sichern. [...]