Kein interner Schutz für tschetschenische Wehrdienstverweigerer:
Eine Person, die von den tschetschenischen Behörden gesucht wird, kann in der Russischen Föderation keine inländische Fluchtalternative finden. In Tschetschenien wurden Listen aller ins Ausland ausgereisten Männer erstellt. Die tschetschenischen Behörden haben Zugriff auf die Datenbanken der Russischen Föderation und können so Personen ausfindig machen, der sich in der Russischen Föderation registrieren. Tschetschenische Behörden können Druck auf sie ausüben, ohne dass die russischen Behörden eingreifen würden.
(Leitsätze der Redaktion)
[...]
Die russischen Streitkräfte haben in der Ukraine viele Taten begangen, die als Kriegsverbrechen oder Verbrechen gegen die Menschlichkeit eingeordnet werden können, insbesondere zahlreiche Angriffe auf die ukrainische Zivilbevölkerung. Es ist wahrscheinlich, dass in die Ukraine entsendete Soldaten in solche Verbrechen verwickelt werden [...].
Dem Antragsteller droht bei Rückkehr in die Russische Föderation zur Überzeugung des Gerichts mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit die Zwangsrekrutierung und anschließend die Entsendung in den völkerrechtswidrigen Angriffskrieg gegen die Ukraine (1). Eine innerstaatliche Fluchtalternative besteht insofern nicht (2). [...]
(2) Es ist auch nicht ersichtlich, dass der Antragsteller in seinem speziellen Einzelfall nach § 4 Abs. 3 Satz 1, 3e AsylG internen Schutz innerhalb der Russischen Föderation erlangen könnte. Nach § 3e AsylG wird die Flüchtlingseigenschaft nicht zuerkannt, wenn der Antragssteller in einem Teil seines Herkunftslands keine begründete Furcht vor Verfolgung oder Zugang zu Schutz vor Verfolgung nach § 3d AsylG hat (Nr. 1) und sicher und legal in diesen Landesteil reisen kann, dort aufgenommen wird und vernünftigerweise erwartet werden kann, dass er sich dort niederlässt (Nr. 2) (interner Schutz bzw. innerstaatliche Fluchtalternative). Angesichts des starken Interesses des tschetschenischen Machthabers Kadyrow an der Heranziehung von "freiwilligen" Kämpfern für den Krieg gegen die Ukraine und der hierzu angewandten aggressiven Vorgehensweise in anderen Teilen der Russischen Föderation kann nach der gegenwärtigen Erkenntnislage nicht davon ausgegangen werden, dass der Kläger sich der Zwangsrekrutierung durch Niederlassen in einem anderen Landesteil entziehen kann [...].
In Tschetschenien wurden Listen aller ins Ausland ausgereisten Männer erstellt [...].
Die tschetschenischen Behörden verfügen über Zugriff auf die Datenbanken der Russischen Föderation und können ihn auf diesem Wege ausfindig machen, wenn er sich an einem anderen Ort innerhalb der Russischen Föderation registriert. Eine solche Registrierung wiederum ist gesetzlich vorgeschrieben und für den Erhalt von Sozialleistungen, aber auch anderen Leistungen der Behörden unverzichtbar [...].
Die russischen Behörden arbeiten daran, verschiedene Regierungsdatenbanken zu integrieren, um ihre Mobilisierungsanstrengungen zu verstärken und gegenüber Zugverweigerern hart durchzugreifen [...].
Kennen die tschetschenischen Behörden den Aufenthaltsort des Antragstellers, kann auf diesen zumindest Druck ausgeübt werden, nach Tschetschenien zurückzukehren. Zwar spricht Erhebliches aus den Erkenntnismitteln dafür, dass andere Behörden der Russischen Föderation, sowohl die nationalen, als auch die der verschiedenen Teilrepubliken, Anforderungen tschetschenischer Behörden nur im Falle rechtskräftiger Urteile ordnungsgemäß bearbeiten. In den übrigen Fällen kann eine Umsetzung schlicht unterbleiben. Das kann aber nicht sichergestellt werden, weil die zuständigen Behörden rechtlich zu einem anderen Vorgehen verpflichtet sind. Von größerer Bedeutung ist allerdings, dass die tschetschenischen Behörden und andere für Ramsan Kadyrow Tätige überall in der Russischen Föderation Druck auf Exil-Tschetschenen ausüben können, ohne daran von den sonstigen lokalen Behörden gehindert zu werden. Es ist deshalb mit einem erheblichen Risiko verbunden, der Aufforderung solcher Personen, nach Tschetschenien zurückzukehren, nicht zu folgen. Die tschetschenische Polizei entführt Rückkehrer häufig nach ihrer Ankunft am Moskauer Flughafen [...].
Kein Ort in Russland ist sicher für eine Person, die von den tschetschenischen Behörden gesucht wird, da die lokale tschetschenische Regierung eine Person außerhalb der Republik leicht ins Visier nehmen kann. [...]