§ 62 Abs. 3 Nr. 2 AufenthG ist auch auf Freizügigkeitsberechtigte anwendbar:
1. Gemäß § 62 Abs. 3 Nr. 2 AufenthG ist ein*e Ausländer*in zur Sicherung der Abschiebung in Haft zu nehmen, wenn nach einer erlaubten oder unerlaubten Einreise die Ausreisepflicht vollziehbar geworden ist. Der Haftgrund ist nach Überschreitung des visafreien Aufenthaltes oder Ablauf des Visums ohne weitere Voraussetzungen und auch auf freizügigkeitsberechtigte Personen anwendbar. Die Rückführungsrichtlinie steht dem nicht entgegen.
2. Der Haftgrund des § 62 Abs. 3 Nr. 2 AufenthG bedarf keiner Hinweispflicht in der Abschiebungsandrohung.
(Leitsätze der Redaktion)
[...]
Die Beschwerde ist teilweise begründet. Die Voraussetzungen für die beantragte Anordnung der Sicherungshaft nach § 62 Abs. 3 AufenthG lagen zum Zeitpunkt der Haftanordnung und bis zum 18.02.2025 nicht vor; ab diesem Zeitpunkt (19.02.2025) sind sie gegeben. [...]
b) Die Voraussetzungen für eine Abschiebung nach § 58 AufenthG liegen vor. Der Betroffene ist durch ihm zugestellten, bestandskräftigen Bescheid der Antragstellerin in Gestalt der Verfügung vom 26.11.2025, mit der er des Rechts auf Freizügigkeit für verlustig erklärt worden ist, vollziehbar ausreisepflichtig (§§ 6, 7 Abs. 1 FreizügG/EU i. V. m. § 58 Abs. 1 AufenthG und § 58 Abs. 2 S. 2 AufenthG). Der Wirksamkeit des Bescheides, der dem Schriftformerfordernis nach § 6 Abs. 7 FreizügG/EU entspricht, steht nicht entgegen, dass dieser nach der Darstellung des Betroffenen und seinem Bevollmächtigten im Anhörungstermin vor der Kammer dem betroffenen Ausländer nicht in die polnische Sprache übersetzt worden sei. Ob dies geschehen ist oder nicht, konnte offen bleiben. Nicht erforderlich ist, dass die Entscheidung in die Sprache der betroffenen Person übersetzt wird [...].
c) Es besteht der - von der Antragstellerin im Haftantrag angeführte - Haftgrund des § 62 Abs. 3 S. 1 Nr. 2 Alt. 2 AufenthG, sodass dahinstehen kann, ob zudem Fluchtgefahr nach § 62 Abs. 3 S. 1 Nr. 1 AufenthG anzunehmen war.
aa) Danach ist ein Ausländer zur Sicherung der Abschiebung in Haft zu nehmen, wenn er nach einer erlaubten Einreise vollziehbar ausreisepflichtig geworden ist.
Ausweislich der Gesetzesbegründung ist der Haftgrund der Sicherungshaft sofort bei zeitlicher Überschreitung des visafreien Aufenthalts bzw. der Gültigkeitsdauer des Schengenvisums gegeben und an keine weiteren Voraussetzungen geknüpft. Konkrete Anhaltspunkte für die Fluchtgefahr sind nicht mehr notwendig [...].
Vor dem Hintergrund dieses eindeutigen Willens des Gesetzgebers ist der § 62 Abs. 3 S. Nr. 2 Alt. 2 AufenthG auch auf die bei Einreise freizügigkeitsberechtigten Personen anwendbar [...]. Dafür spricht auch die Regelung in § 11 Abs. 14 FreizügG/EU, die auf die Regelungen des AufenthG verweist; bezogen auf die Haftgründe des § 62 AufenthG besteht keine besondere Regelung innerhalb des FreizügG/EU.
Eine Nichtvereinbarkeit dieser Regelung mit der Rückführungs-RL (RL 2008/115/EG v. 16.12.2008, ABl. 2008 L 348, 98) vermag die Kammer nicht zu erkennen. Denn die vorgenannte Richtlinie zählt in Art. 15 Abs. 1 die Haftgründe nicht abschließend auf ("und zwar insbesondere dann, wenn"), sodass die Regelung des § 62 Abs. 3 S. 1 Nr. 2 AufenthG dem nicht entgegensteht.
Unter Beachtung dessen besteht der vorgenannte Haftgrund: Der Betroffene reiste aufgrund der bestehenden Freizügigkeit in der Europäischen Union als polnischer Staatsangehöriger zulässigerweise in die Bundesrepublik ein. Mit Bescheid vom 26.11.2024 stellte die zuständige Ausländerbehörde das Nichtbestehen der Freizügigkeit fest und forderte den Betroffenen zur Ausreise innerhalb eines Monats auf. Er ist aufgrund der sofort vollziehbaren und bestandskräftigen Nichtbestehensfeststellung gemäß § 7 Abs. 1 FreizügG/EU in Verbindung mit § 58 Abs. 1, Abs. 2 AufenthG vollziehbar ausreisepflichtig.
bb) Einer - hier nicht erfolgten - konkreten Belehrung über die haftrechtlichen Konsequenzen des § 62 Abs. 3 S. 1 Nr. 2 Alt. 2 AufenthG im Bescheid vom 26.11.2025 bedurfte es nicht. Denn die Hinweispflicht ist nur für den Haftgrund der Fluchtgefahr gesetzlich normiert (vgl. § 62 Abs. 3a Nr. 2 und Nr. 3, Abs. 3b Nr. 5 AufenthG), nicht für den Haftgrund des § 62 Abs. 3 S. 1 Nr. 2 AufenthG. Insoweit kommt auch keine analoge Anwendung der Hinweispflicht in Betracht. Denn zum einen war für§ 62 Abs. 3 S. 1 Nr. 2 AufenthG a. F. eine solche weder im Gesetzeswortlaut vorgesehen noch von der Rechtsprechung gefordert. Zum anderen hat der Gesetzgeber für den Haftgrund der Fluchtgefahr die Hinweispflicht ausdrücklich aufgenommen (s. oben), sodass aus der Nichtkodifizierung einer solchen Verpflichtung im Rahmen des § 62 Abs. 3 S. 1 Nr. 2 AufenthG n. F. nicht auf eine planwidrige Regelungslücke geschlossen werden kann. [...]
f) Unter Beachtung des § 62 Abs. 1 S. 1 und S. 2 AufenthG erweist sich die angeordnete Sicherungshaft zwar als geeignet und erforderlich, aber als zu lang und damit teilweise unverhältnismäßig. [...]
bbb) Die weitergehende Haftanordnung ist bezogen auf den Zeitraum vom 15.01. bis zum 18.02.2025 nicht gerechtfertigt gewesen, da sich dieser Zeitraum als zu lang erweist; die Haft ist auf den kürzestmöglichen Zeitraum, der zur organisatorischen Vorbereitung die Abschiebung erforderlich ist, zu beschränken [...]. Dies hat das Gericht anhand der im Wege eigener Amtsermittlung (§ 26 FamFG) nachvollzogenen Prognose des Antragstellers zu ermitteln.
Demnach erfolgte die Inhaftierung am 15.01.2025 deutlich zu früh. Aufgrund des der Antragstellerin bekannten Bewegungsprofils des Betroffenen, deren Richtigkeit der Betroffene im Rahmen der Anhörung vom 19.02.2025 glaubhaft bestätigt hat, war ihr bekannt, dass sich der Betroffene täglich am Oldenburger Hauptbahnhof aufhielt. Die Angaben des Betroffenen stehen im Einklang zu den Vermerken der Bundespolizei [...], die ihn regelmäßig am Hauptbahnhof "ohne Reiseabsicht" angetroffen hat. Auch die Ingewahrsamnahme vom 15.01.2025 belegt, dass der Betroffene direkt nach der Mitteilung der Abschiebehaftanstalt vom 14.01.2025 über einen verfügbaren Haftplatz am darauf folgenden Tag (15.01.) morgens um 6.40 Uhr dort angetroffen und festgenommen werden konnte. Vor diesem Hintergrund wäre es der Antragstellerin ohne weiteres möglich gewesen, den Zugriff und damit die Inhaftierung erst zu einem späteren Zeitpunkt durchzuführen beziehungsweise durch die Bundespolizei durchführen zu lassen, ohne die für den 25.02.2025 geplante Rückführung zu gefährden. Dabei billigt die Kammer der Antragstellerin einen gewissen zeitlichen Vorlauf der Inhaftierung für den Fall zu, dass sich der Betroffene aufgrund unvorhersehbarer Umstände kurzfristig nicht am Hauptbahnhof Oldenburg, sondern beispielsweise bei der Diakonie in der Innenstadt oder an den Wallanlagen im Innenstadtbereich aufhalten sollte. Unter Berücksichtigung dessen und der zur Überzeugung der Kammer insoweit glaubhaften Angaben des Betroffenen zu dessen Aufenthaltsorten sowie den in der Ausländerakte dokumentierten, im Anhörungstermin vor der Kammer im Einzelnen erörterten Personenfeststellungen am Hauptbahnhof wäre bei Beachtung des § 62 Abs. 1 S. 2 AufenthG eine Festnahme eine Woche vor dem Rückführungsdatum erforderlich und zugleich ausreichend gewesen, um die Abschiebung sicherzustellen. Ein früherer Zugriff auf den Betroffenen erscheint der Kammer indessen als nicht notwendig, um die Abschiebung zu sichern.
3. Vor diesem Hintergrund war die Sicherungshaft auch nicht gemäß § 424 Abs. 1 FamFG außer Vollzug zu setzen. [...]