Staatlicher Schutz vor den "Grauen Wölfen":
In der Türkei ist hinsichtlich der Allgemeinkriminalität ein hinreichendes staatliches Schutzniveau vorhanden. Es gibt keine grundsätzliche Weigerung staatlicher Sicherheitsbehörden, auch der kurdischen Minderheit Schutz zu gewähren. Auch bei einer weitgehend nationalistischen Atmosphäre belegen die Erkenntnismittel nicht, dass durch die "Grauen Wölfe" begangenes kriminelles Unrecht vom Staat geduldet oder gedeckt wird oder gar eine Zusammenarbeit besteht.
(Leitsatz der Redaktion)
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Selbst bei Wahrunterstellung der klägerseits behaupteten Verfolgung durch Angehörige der Gruppierung der Grauen Wölfe geht das Gericht davon aus, dass ihm deshalb keine Flüchtlingseigenschaft und kein subsidiärer Schutz zuzuerkennen wäre, weil hier gemäß § 3c Nr. 3 AsylG (i.V.m. § 4 Abs. 3 AsylG) von der Schutzwillig- und Schutzfähigkeit des türkischen Staates auszugehen ist. [...]
Mit Blick auf die geltend gemachte Verfolgung durch Private ist der türkische Staat nach den Erkenntnissen des Gerichts grundsätzlich schutzfähig und schutzbereit. Die gesetzlichen Regelungen bieten ein hinreichendes Schutzniveau. In der Türkei sind etwa Mord, Totschlag, Körperverletzung, Erpressung, Nötigung, Beleidigung oder Sachbeschädigung strafbar. Insbesondere Fällen aus dem Bereich der Allgemeinkriminalität wird nachgegangen, wenngleich in der türkischen Justiz Defizite allgemeiner Art in Hinblick auf Verfahrensdauer, Überlastung und Qualifikation des Personals zu verzeichnen sind. Den Erkenntnismitteln lässt sich entnehmen, dass es jedenfalls keine grundsätzliche Verweigerung der Sicherheitsbehörden gibt, der kurdischen Minderheit vor so genannter Hasskriminalität Privater Schutz zu gewähren; so wurde etwa der Mörder des HDP-Mitarbeiters Deniz Poyraz im Dezember 2022 zu lebenslanger Freiheitsstrafe verurteilt (vgl. European Commission, Türkiye 2023 Report, 8. November 2023, S. 19). Ob allgemeine Kriminalitätsfälle im Einzelfall aus politisch opportunistischen Motiven verfolgt oder – spiegelbildlich – nicht verfolgt werden, bedarf einer genauen Prüfung im Einzelfall (vgl. Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Türkei (Stand: Januar 2024), 20. Mai 2024 [AA, Lagebericht, Mai 2024], S. 11).
Das Gericht sieht durchaus, dass die türkische Regierung seit dem Putschversuch am 15. Juli 2016 eine weitgehend nationalistische Atmosphäre geschaffen hat (vgl. AA, Lagebericht, Mai 2024, S. 8, 10 f.). Belastbare Anhaltspunkte dafür, dass der türkische Staat beziehungsweise die Sicherheitsbehörden kriminelles Unrecht der "Grauen Wölfe", das heißt rechtsextreme Anhänger der Milliyetci Hareket Partisi (MHP) oder der Partei der Großen Einheit (BBP), gegenüber Kurden in jüngster Zeit duldet, deckt oder sogar mit ihnen zusammenarbeitet, liegen nach Auswertung der Erkenntnismittel aber nicht vor. [...]