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VG Berlin

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Zitieren als:
VG Berlin, Urteil vom 24.03.2025 - 39 K 333.19 A - asyl.net: M33216
https://www.asyl.net/rsdb/m33216
Leitsatz:

Kein Widerruf der Flüchtlingseigenschaft bei erfolglosem Spendenaufruf für den IS: 

Spendenaufrufe für den IS durch das Teilen von Postings erfüllen nicht den Tatbestand des § 3 Abs. 2 Nr. 3 AsylG (Zuwiderhandlung gegen die Ziele und Grundsätze der Vereinten Nationen) wenn keine schwerwiegenden Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass die Spendenaufrufe eine hinreichende Reichweite hatten und auf Grund dieser Aufrufe tatsächlich Spenden in relevanter Höhe an den IS geflossen sind. 

(Leitsätze der Redaktion) 

Schlagwörter: Flüchtlingsanerkennung, Widerruf, Ziele und Grundsätze der Vereinten Nationen, Spendenaufruf, IS
Normen: AsylG § 73 Abs. 5, AsylG § 3 Abs. 2 Nr. 3
Auszüge:

[...]

Der Widerruf kann nicht auf den wegen der Regelung des § 77 Abs. 1 Satz 1 AsylG anzuwendenden [...] § 73 Abs. 5 i.V.m. § 3 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 i.V.m. Satz 2 AsylG gestützt werden. Nach dieser Vorschrift ist die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft auch zurückzunehmen oder zu widerrufen, wenn der Betroffene von der Erteilung hätte ausgeschlossen werden müssen oder ausgeschlossen ist, weil aus schwerwiegenden Gründen die Annahme gerechtfertigt ist, dass er den Zielen und den Grundsätzen der Vereinten Nationen zuwidergehandelt, zu solchen Handlungen angestiftet oder sich in sonstiger Weise daran beteiligt hat. [...]

In der Zusammenschau lässt sich indes nicht feststellen, dass die logistischen Beiträge, die der Kläger durch das Teilen entsprechender Spendenaufrufe zu Gunsten des IS leistete, hinreichend für die Annahme sind, dem Kläger könne ein Teil der Verantwortung für Handlungen des IS zugerechnet werden. Zunächst ist die Rolle des Klägers - der nach den Feststellungen des Oberlandesgerichts Münchens im Urteil vom 24. September 2018 kein Mitglied des IS war - untergeordnet. Anhaltspunkte für eine Einbettung des Klägers in die Organisationsstruktur des IS bestehen nicht. Weiter ist zu berücksichtigen, dass der Kläger in der Mehrzahl der Fälle, nämlich in 27 der 38 Fälle, schlicht Postings anderer Personen teilte [...]. Auch in den elf verbleibenden Fällen, die im technischen Sinne eigene Postings sind, spricht nach den überzeugenden Ausführungen in der Anklage vom 13. November 2017 [...] vieles dafür, dass der Kläger bestehende Spendenaufrufe aus anderen Profilen einfach kopierte und ohne schöpferische Eigenleistung bei der Formulierung übernahm. Wie viele Personen er damit erreichen konnte, kann nicht mehr nachvollzogen werden. Zwar hat der Kläger in der mündlichen Verhandlung angegeben, seine Profile hätten jeweils mehrere hundert Follower und Freunde gehabt und in der von ihm mitverwalteten Gruppe "Islamic ribat" seien zirka eintausend Mitglieder gewesen. Allerdings weisen die Postings von den Profilen des Klägers weit überwiegend Likes nur im einstelligen Bereich auf [...]. Es bestehen daher dem Hintergrund der geringen Zahl an Interaktionen gerade keine hinreichenden Gründe für die Annahme, die Postings des Klägers hätten eine substantielle Reichweite gehabt, was den Zurechnungszusammenhang zu Taten des IS deutlich schmälert. Auch gibt der Kläger in dem Chat mit dem Profil "Frage nach Wissen" [...] an, mit den Verantwortlichen für die Spendenaktion in Kontakt zu sein. Aus dieser Mitteilung im geschützten Chatraum geht im Umkehrschluss hervor, dass der Kläger selbst nicht als "Verantwortlicher" für die Spendenaktion fungiert haben dürfte. Zu beachten ist überdies, dass das gegen den Kläger geführte Ermittlungsverfahren trotz Durchführung von Finanzermittlungen keine Anhaltspunkte für eigene Spenden des Klägers an den IS zu Tage förderte [...]. Auch konnten im Ermittlungsverfahren keinerlei Spenden auf Grund der geteilten Spendenaufrufe festgestellt werden [...]. Damit liegen zwar schwerwiegende Gründe vor, die die Annahme rechtfertigen, dass der Kläger in vielen Fällen und über einen substantiellen Zeitraum zu Spenden für den IS aufgerufen hat; es fehlt aber an schwerwiegenden Anhaltspunkten dafür, dass diese Aufrufe eine hinreichende Reichweite hatten und auf Grund dieser Aufrufe tatsächlich Spenden in relevanter Höhe an den IS geflossen sind. Vielmehr liefert insbesondere die geringe Anzahl an Interaktionen unter den Postings stichhaltige Gründe für die Annahme, dass die Postings keine Unterstützungshandlungen von hinreichendem Gewicht darstellten. Mithin geht trotz des abgesenkten Beweismaßstabes die Unaufklärbarkeit der Reichweite der Postings und der Höhe der Spenden nach den dargelegten Beweisregeln zu Lasten der Beklagten. Wie auch der Vertreter der Beklagten in der mündlichen Verhandlung angab, kommt das Teilen eines (vorformulierten) Spendenaufruf indes dem Verteilen von Flyern gleich. Allein der Zeitraum von knapp einem Jahr und die hohe Zahl der Posts vermag den Postings im vorliegenden Einzelfall noch kein hinreichendes Gewicht zu verleihen. [...]