Wiederaufnahmebereitschaft ist ungeschriebenes Tatbestandsmerkmal der Dublin III-VO:
1. Es ist ein ungeschriebenes Tatbestandsmerkmal, dass die Mitgliedstaaten Asylsuchende im Rahmen der Dublin III-VO (wieder) aufnehmen. Das ergibt sich aus Art. 29 Abs. 2 Dublin III-VO (Überstellungsfrist von 6 Monaten) und aus dem 5. Erwägungsgrund der Verordnung (zügige Bearbeitung).
2. Besteht keine Aufnahme- oder Wiederaufnahmebereitschaft eines Mitgliedstaates, kann die Zuständigkeit für die Prüfung eines Asylantrages nicht auf den Mitgliedstaat übergehen, der die Aufnahme ablehnt. Denn die Folge wäre die Situation eines "refugee in orbit" ohne Zuständigkeit eines Mitgliedstaates. Ein effektiver Zugang zum Verfahren über den internationalen Schutz wäre so nicht mehr gewährleistet.
(Leitsätze der Redaktion)
[...]
1. Die Unzulässigkeitsentscheidung in Ziffer 1 des angefochtenen Bescheides durfte nicht getroffen werden, weil das ungeschriebene Tatbestandsmerkmal des positiven Feststehens der Wiederaufnahmebereitschaft Italiens nicht erfüllt ist. [...]
b. Die (Wieder-)Aufnahmebereitschaft des ersuchten Mitgliedstaates ist ein ungeschriebenes Tatbestandsmerkmal der Verordnung (EU) Nr. 604/2012, ohne dessen Vorliegen der Verweis auf die Zuständigkeit des ersuchten anderen Mitgliedstaates nicht zulässig ist [...].
Die Verordnung (EU) Nr. 604/2013 soll insbesondere eine rasche Bestimmung des zuständigen Mitgliedstaats ermöglichen, um den effektiven Zugang zu den Verfahren zur Gewährung des internationalen Schutzes zu gewährleisten und das Ziel einer zügigen Bearbeitung der Anträge auf internationalen Schutz nicht zu gefährden (vgl. den 5. Erwägungsgrund). So sieht nach der Grundkonzeption der Verordnung Art. 29 Abs. 2 der Verordnung (EU) Nr. 604/2013 vor, dass der zuständige Mitgliedstaat, wenn die Überstellung nicht innerhalb der Frist von sechs Monaten durchgeführt wird, nicht mehr zur Aufnahme oder Wiederaufnahme der betreffenden Person verpflichtet ist, und die Zuständigkeit auf den ersuchenden Mitgliedstaat übergeht. Diese Auslegung steht im Übrigen mit dem im fünften Erwägungsgrund der Verordnung (EU) Nr. 604/2013 erwähnten Ziel einer zügigen Bearbeitung der Anträge auf internationalen Schutz im Einklang, indem sie bei einer verzögerten Durchführung des Aufnahme- oder Wiederaufnahmeverfahrens gewährleistet, dass der Antrag auf internationalen Schutz in dem Mitgliedstaat geprüft wird, in dem sich der Antragsteller aufhält, damit die Prüfung nicht weiter aufgeschoben wird [...].
Nicht gesetzgeberisch erfasst ist in der der Verordnung (EU) Nr. 604/2013 die de facto-Absage eines Mitgliedsstaates, seiner Übernahmeverpflichtung künftig weiter nachzukommen. Für sie kann aber dem Sinn und Zweck der der Verordnung (EU) Nr. 604/2013 entsprechend nichts anderes gelten als für den Fall, in dem die Übernahmebereitschaft des ersuchten Staats nach Ablauf der Überstellungsfrist nicht mehr positiv feststeht [...]. So kann sich ein Schutzsuchender den für die Prüfung seines Schutzbegehrens zuständigen Mitgliedstaat zwar unter der Geltung des Dublin-Systems nicht selbst aussuchen, er hat aber aus der (Verfahrens-)Richtlinie 2013/32/EU und den materiell-rechtlichen Garantien der (Qualifikations-)Richtlinie 2011/95/EU einen Anspruch darauf, dass ein von ihm innerhalb der Europäischen Union gestellter Antrag auf internationalen Schutz innerhalb der Union geprüft wird. Könnte sich der Schutzsuchende auch bei fehlender (Wieder-) Aufnahmebereitschaft eines anderen Mitgliedstaats nicht auf die Zuständigkeit Deutschlands berufen, entstünde die Situation eines "refugee in orbit", in der sich kein Mitgliedstaat für die sachliche Prüfung des Asylantrags als zuständig ansieht. Dies würde dem zentralen Anliegen der Verordnung (EU) Nr. 604/2013 zuwiderlaufen, einen effektiven Zugang zu den Verfahren zur Gewährung internationalen Schutzes zu gewährleisten und das Ziel einer zügigen Bearbeitung der Anträge auf internationalen Schutz nicht zu gefährden [...]. Zwar hat das BVerwG diese Rechtsprechung zur Verordnung (EG) Nr. 343/2003 des Rates vom 18. Februar 2003 mit Blick auf die zwischenzeitlich zur Verordnung (EU) Nr. 604/2013 ergangene Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für überholt erklärt, allerdings dürfte der erkennende Senat dabei nicht die vorliegende Situation einer in der Verordnung (EU) Nr. 604/2013 nicht vorgesehenen Absage gegenüber sämtlichen Überstellungen vor Augen gehabt haben. Es handelt sich bei dem Gebot, effektiven Zugang zu den Verfahren zur Gewährung internationalen Schutzes zu gewährleisten, um einen allgemeinen Grundsatz, der für den vorliegenden Fall, in dem die Anwendung des Fristenregimes zu einer vom Unionsgesetzgeber nicht vorhergesehenen, tatsächlich aber absehbaren "refugee in orbit"-Situation führen würde, weiterhin Geltung beanspruchen kann. [...]