Abschiebungsandrohung bei Flüchtlingsschutz in anderem Mitgliedstaat:
Es ist von grundsätzlicher Bedeutung, ob eine Abschiebungsandrohung gem. § 34 AsylG ins Herkunftsland erlassen werden darf, wenn ein Mitgliedstaat der EU der um internationalen Schutz ersuchenden Person bereits einen Flüchtlingsschutz zuerkannt hat.
(Leitsatz der Redaktion)
[...]
1 Der Antrag der Kläger auf Zulassung der Berufung ist teilweise begründet.
2 1. Die Berufung ist zuzulassen, soweit das Verwaltungsgericht die Klage gegen die auf § 34 AsylG gestützte Abschiebungsandrohung abgewiesen hat. Insoweit werfen die Kläger zu Recht und unter Beachtung der Darlegungsanforderungen des § 78 Abs. 4 Satz 4 AsylG die grundsätzlich bedeutsame Frage auf (vgl. § 78 Abs. 3 Nr. 1 AsylG), ob eine Abschiebungsandrohung erlassen werden darf, wenn ein anderer Mitgliedstaat dem Antragsteller die Flüchtlingseigenschaft zuerkannt hat, oder ob in einem solchen Fall gemäß § 34 AsylG, § 60 Abs. 10 Satz 2 AufenthG (zumindest) festzustellen ist, dass die Kläger nicht in den Herkunftsstaat abgeschoben werden dürfen.
3 Für den Fall der Ablehnung eines Asylantrags als unzulässig gem. § 29 Abs. 1 Nr. 2 AsylG ist geklärt, dass die Abschiebung in den Herkunftsstaat im Falle einer bereits erfolgten Flüchtlingsanerkennung durch einen anderen Mitgliedstaat untersagt ist [...]. Die Beklagte hat gem. § 60 Abs. 10 Satz 2 AufenthG den Herkunftsstaat in ihrer Abschiebungsandrohung als Staat zu bezeichnen, in den nicht abgeschoben werden darf [...].
4 In Rechtsprechung und Literatur ist dagegen umstritten, ob eine Flüchtlingsanerkennung durch einen anderen Mitgliedstaat auch dann ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 1 Satz 2 AufenthG begründet, wenn eine Unzulässigkeitsentscheidung nach § 29 Abs. 1 Nr. 2 AsylG – wie vorliegend vom Verwaltungsgericht angenommen – ausgeschlossen ist und daher eine volle Sachprüfung erfolgt [...]. Das Bundesverwaltungsgericht hat die Frage in seinem Vorlagebeschluss an den Europäischen Gerichtshof vom 7. September 2022 offengelassen [...]. Obergerichtliche Rechtsprechung zu dieser Frage ist nicht ersichtlich.
5 Auch unter Berücksichtigung der Ausführungen der Beklagten im streitgegenständlichen Bescheid, der aus europarechtlichen Gründen für eine teleologische Reduktion des § 60 Abs. 1 Satz 2 AufenthG plädiert, ist für den Senat jedenfalls bislang nicht ohne weiteres ersichtlich, inwiefern eine nationale Verpflichtung zur sog. "negativen Staatenbezeichnung" (vgl. dazu BVerwG, U.v. 13.12.2023 – 1 C 34.22 [...]) gegen europarechtliche Garantien verstoßen sollte. Sie schränkt lediglich den Gegenstand der Abschiebungsandrohung ein, ohne selbständig existenzfähig zu sein [...]. Umgekehrt stellt sich nach dem Urteil des Europäischen Gerichtshofs vom 18. Juni 2024 (C-352/22 [Generalstaatsanwaltschaft Hamm], InfAuslR 2024, 429 [...]) die Frage, ob die vom Verwaltungsgericht und weiterer erstinstanzlicher Rechtsprechung vor allem mit Erwägungen des nationalen Gesetzgebers begründete teleologische Reduktion des § 60 Abs. 1 Satz 2 AufenthG nicht europarechtlich unzulässig ist [...]. Diesen Fragen wird im Berufungsverfahren weiter nachzugehen sein. [...]