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VG Berlin

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Zitieren als:
VG Berlin, Beschluss vom 24.03.2025 - 38 L 92/25 A - asyl.net: M33283
https://www.asyl.net/rsdb/m33283
Leitsatz:

Ein Wiederaufnahmeantrag muss persönlich gestellt werden: 

1. Die Stellung eines Antrags auf Wiederaufnahme des Verfahrens gemäß § 33 Abs. 5 AsylG hat persönlich beim BAMF zu erfolgen. Die persönliche Antragstellung ist Wirksamkeitsvoraussetzung des Wiederaufnahmeantrags.

2. Eine schriftliche Antragstellung zur Fristwahrung kann möglicherweise ausreichen, wenn es später zu einer persönlichen Vorsprache kommt und zwischen der schriftlichen Wiederaufnahmebitte und der persönlichen Vorsprache ein zeitlicher Zusammenhang besteht. 

3. Von einer persönlichen Anhörung kann im Asylfolgeverfahren abgesehen werden (§ 29 Abs. 2 S. 2 i.V.m. § 71 Abs. 3 AsylG). 

4. Demonstrationsteilnehmer*innen, die keine herausgehobene Sonderstellung bspw. in der Organisation der Veranstaltung haben, droht in Geogien keine Verfolgung oder ein ernsthafter Schaden. 

(Leitsätze der Redaktion) 

Schlagwörter: Asylfolgeantrag, Georgien, Anhörung, Wiederaufnahmeantrag, Demonstration
Normen: AsylG § 29 Abs. 2 S. 2, AsylG § 33 Abs. 5, AsylG § 71 Abs. 3
Auszüge:

[...]

10 1. An der Entscheidung des Bundesamtes, den Antrag des Antragstellers vom 23. Januar 2025 als Folgeantrag einzuordnen, weil das erste Asylverfahren nach fiktiver Antragsrücknahme (nach damaligen Recht) bestandskräftig abgeschlossen sei, bestehen keine erheblichen Zweifel. [...]

11 Das erste Asylverfahren des Antragstellers war wegen Nicht-Erscheinens zur Anhörung mit Bescheid vom 21. Januar 2022 eingestellt worden (§ 33 Abs. 1 AsylG a.F.), ohne dass der Antragsteller gegen diese Entscheidung um Rechtsschutz nachgesucht hätte. Zwar hatte der Antragsteller damals nach der Einstellung seines Asylverfahrens schriftlich binnen der maßgeblichen Frist um Wiederaufnahme des Asylverfahrens gebeten. Indes war und ist nach dem deutschen Asylrecht die persönliche Antragstellung zur Wiederaufnahme erforderlich (§ 33 Abs. 5 S. 2 AsylG). Gegen eine solche Anforderung bestehen keine unionsrechtlichen Bedenken, da nach der Asylverfahrens-Richtlinie die Mitgliedstaaten festlegen können, dass Schutzsuchende generell persönlich vorstellig werden müssen (Art. 13 Abs. 2 lit. a] Asylverfahrens-RL 2013/32/EG). Auf das Erfordernis der persönlichen Vorsprache wurde der Antragsteller mit Schreiben vom 4. März 2022 ausdrücklich vom Bundesamt hingewiesen. Die richtige Form der Antragstellung ist dabei Wirksamkeitsvoraussetzung des Wiederaufnahmeantrags (siehe für den persönlich zu stellenden Folgeantrag nach § 71 AsylG: OVG des Landes Sachsen-Anhalt, Beschluss vom 16. Oktober 2014 – 2 M 96/14 –, juris Rn. 6; VG Bremen, Beschluss vom 3. November 2016 – 5 V 3317/16 –, juris Rn. 3; jeweils m.w.N.)

12 Etwas anderes ergibt sich auch nicht unter dem Aspekt, dass die schriftliche Antragstellung möglicherweise zur Fristwahrung ausreichen kann, wenn es später zu einer persönlichen Vorsprache kommt (so für den persönlich zu stellenden Folgeantrag nach § 71 AsylG: VG Bremen, Gerichts-
bescheid vom 3. August 2021 – 4 K 1356/20 –, juris Rn. 22f.; Müller, in: Hofmann, AuslR, 3. Aufl. 2023, § 71 Rn. 45). Es fehlt vorliegend an dem erforderlichen Zusammenhang zwischen der schriftlichem Wiederaufnahmebitte und der persönlichen Vorsprache. So liegt zwischen der schrift-
lichen Wiederaufnahmebitte vom 2. März 2022 und der persönlichen Vorsprache am 23. Januar 2025 ein Zeitraum von fast drei Jahren. Zudem ist aufgrund des zwischenzeitlichen Verlassens der Unterkunft, die dem Antragsteller für die Dauer seines Asylverfahrens zugewiesen wurde, dem
Aufenthalt außerhalb des Zuständigkeitsbereichs der Berliner Außenstelle des Bundesamtes und wohl auch der Ausreise des Antragstellers nach Georgien von einer inhaltlichen Diskontinuität auszugehen. Schließlich geht der Antragsteller selbst davon aus, dass es eines neuen Asylverfahrens bedarf.

13 2. An der formellen Rechtmäßigkeit des mit der Klage angefochtenen Bescheids bestehen ebenfalls keine erheblichen Zweifel.

14 Nach § 29 Abs. 2 S. 2, § 71 Abs. 2-5 AsylG gelten für einen sog. Folgeantrag besondere Verfahrensregelungen. Danach kann gem. § 29 Abs. 2 S. 2 i.V.m. § 71 Abs. 3 S. 3 AsylG von der nach § 24 Abs. 1 S. 3 AsylG eigentlich zwingend zu erfolgenden persönlichen Anhörung (siehe § 25 AsylG)
ausnahmsweise abgesehen werden. Gegen die Vereinbarkeit dieser Ausnahme mit Unionsrecht bestehen keine Bedenken (siehe Art. 34 Abs. 1 UAbs. 1 S. 3, Art. 42 Abs. 2 lit. b] Asylverfahrens-RL 2013/32/EG). Es liegt somit im Ermessen des Bundesamtes, ob es im konkreten Einzelfall für eine rechtsfehlerfreie Entscheidung die persönliche Anhörung der Schutzsuchenden für notwendig erachtet; in jedem Fall ist ihnen nach § 29 Abs. 2 S. 2 AsylG Gelegenheit zur schriftlichen Stellungnahme zu geben (VG Berlin, Beschluss vom 31. Januar 2022 – VG 38 L 824/21 A –, juris Rn. 17 m.w.N.; Dickten, in: Kluth/Heusch, BeckOK-AusländerR, 43. Edition, Stand: 1. Oktober 2024, AsylG § 71 Rn. 10).

15 Vorliegend wurde dem Antragsteller bei der Stellung des Folgeantrags am 23. Januar 2025 Gelegenheit zur schriftlichen Stellungnahme gegeben (§ 29 Abs. 2 S. 2 AsylG), eine Anhörung fand aber nicht statt (§ 24 Abs. 1 S. 3, § 25 AsylG). Dazu ist in dem mit der Klage angefochtenen Bescheid ausgeführt, dass die schriftlich vorgetragene Begründung keine Tatsachen oder Beweismittel enthalten, die es dem Bundesamt ermöglichen könnten, den Folgeantrag als zulässig anzusehen. Eine weitere Sachaufklärung, etwa durch eine Anhörung, sei unter diesen Umständen nicht angezeigt. [...]

18 Dies gilt insbesondere für die Einschätzung des Bundesamtes, dass der Antragsteller bei der schriftlichen Begründung seines Folgeantrags keine neuen Umstände in Bezug auf seinen Asylantrag vorgebracht hat, die mit erheblicher Wahrscheinlichkeit zu einer für ihn günstigeren Entscheidung
beitragen (§ 71 Abs. 1 S. 1 AsylG) bzw. die erheblich zu der Wahrscheinlichkeit beitragen, dass ihm Schutz zuzuerkennen ist (Art. 40 Abs. 3 Asylverfahrens-RL 2023/32/EU). Im Rahmen ihrer Darlegungs- und Mitwirkungspflicht (§ 71 Abs. 3 S. 1 AsylG in Konkretisierung der allgemeinen
Darlegungs- und Mitwirkungspflicht nach § 25 Abs. 1 AsylG) haben die Schutzsuchenden nämlich die neuen Gründe zumindest in ihren Grundzügen schriftlich vorzutragen (siehe nur Bergmann, in: Bergmann/Dienelt, AusländerR, 14. Aufl. 2022, § 71 AsylG Rn. 41 m.w.N.). Eine solche schriftliche
Angabe der Gründe gibt dem Bundesamt überhaupt erst die Möglichkeit einer Prüfung, ob das Vorbringen schlüssig ist und eine Änderung der Sachlage darstellen kann (sog. Anstoßfunktion). Dem Antragsteller musste das Erfordernis ausführlicher Angaben aufgrund der ausdrücklichen Bitte um "ausführliche" Begründung bekannt sein. Auch die Gestaltung des Formulars (1 ½ Seiten Platz, Hinweis auf Möglichkeit der Benutzung zusätzlicher Blätter) lässt erkennen, dass eine umfangreiche Begründung des Folgeantrags geboten ist. Dieser Obliegenheit ist der Antragsteller nicht nachgekommen. Ob vor dem Hintergrund der Einstufung Georgiens als sicherer Herkunftsstaat erhöhte Anforderungen an die Begründung eines Folgeantrags zu stellen sind, was indes als Prämisse die Vereinbarkeit dieser Einstufung mit höherrangigem Recht hat (insoweit erhebliche Zweifel anmeldend VG Berlin, Beschluss vom 11. März 2025 – VG 31 L 473/24 A –, juris Rn. 19), bedarf vorliegend keiner Klärung, da schon
die grundlegenden Anforderungen nicht erfüllt sind.

19 So lässt die pauschale Angabe des Antragstellers, er habe an einer Demonstration teilgenommen, gegen ihn sei physischer Druck ausgeübt worden und man habe ihm mit Entzug der Freiheit gedroht, keine asylrelevante Verfolgung erkennen. Zwar ergibt sich aus den ins Verfahren eingeführten Erkenntnismitteln, dass es bei mehreren Versammlungen von zivilen Aktivisten, politischen Parteien und Bürgerbewegungen zu erheblichen Verletzungen der Versammlungs- und Meinungsfreiheit kam, einschließlich übermäßiger Gewaltanwendung durch die Polizei (Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, Länderinformationen der Staatendokumentation, Georgien, Stand: 25. Oktober 2024, S. 24). Auch wird berichtet, dass die georgischen Behörden friedliche Demonstrationen durch Spezialeinheiten teils mit exzessiver Gewalt aufgelöst haben (vgl. AI, Brutal Crackdown, Dezember 2024, S. 3ff.; HRW, Georgia: Brutal Police Violence Against Protesters, 23. Dezember 2024; siehe ergänzend Andronikashvili, Blätter für deutsche und internationale Politik 7/2024, S. 17 [18]). Diese Vorkommnisse rechtfertigen nach Ansicht der Kammer aber nicht die Annahme, dass jeder von Gewalt betroffene Demonstrationsteilnehmer individuell verfolgt wird oder ihm in seinem Herkunftsland ein ernsthafter Schaden droht; es besteht keine systematische Verfolgung aller Regimegegner. Zur Schutzzuerkennung bedarf es daher zusätzlicher individueller Angaben beispielsweise zu einer Tätigkeit als Aktivist oder als Organisator von Kundgebungen. Eine solche individuelle Sondersituation hat der Antragsteller nicht ansatzweise dargelegt. [...]