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VG Düsseldorf

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Zitieren als:
VG Düsseldorf, Beschluss vom 15.05.2025 - 22 K 9129/24.A - asyl.net: M33307
https://www.asyl.net/rsdb/m33307
Leitsatz:

Keine Unterbrechung der Überstellungsfrist bei isoliertem Angriff der Abschiebungsanordnung: 

Wird die Abschiebungsanordnung isoliert mit einem Eilantrag angegriffen, folgt daraus keine Unterbrechung der Überstellungsfrist. Denn die Dublin-Überstellungsfrist wird nur durch einen Rechtsbehelf nach Art. 27 Abs. 3 oder Abs. 4 Dublin III-VO unterbrochen, der auf die Überprüfung der Zuständigkeit oder auf die Einhaltung von Verfahrensgarantien gerichtet ist, jedoch nicht durch einen Rechtsbehelf, der ausschließlich auf faktische Überstellungshindernisse wie den Gesundheitszustand gestützt wird. 

(Leitsatz der Redaktion, bezugnehmend auf: EuGH, Urteil vom 12.01.2023 - C-323/21; C 324/21; C-325/21 B., F. und K. gg. Niederlande (Asylmagazin 6/2023, S. 231 ff.) - asyl.net: M31222)

Schlagwörter: Dublinverfahren, Überstellungsfrist, Suspensiveffekt, Überstellung, tatsächliche Unmöglichkeit, einstweilige Anordnung, Krankheit, Abschiebungshindernis, Überstellungshindernis,
Normen: VO 604/2013 Art. 27, VO 604/2013 Art. 29, AsylG § 34a, VwGO § 80 Abs. 5
Auszüge:

[...]

bb) Zwischenzeitlich war auch keine Unterbrechung dieser Frist eingetreten. Insbesondere hat der Antrag auf gerichtlichen vorläufigen Rechtsschutz vom 30. Oktober 2024 gemäß § 80 Abs. 5 VwGO keine Unterbrechung im Sinne des Art. 29 Abs. 1 Satz 1 Var. 2 Dublin III-VO ausgelöst.

Art. 29 Abs. 1 Satz 1 Var. 2 Dublin III-VO setzt voraus, dass der Rechtsbehelf gemäß Art. 27 Abs. 3 Dublin III-VO aufschiebende Wirkung hat. Dies ist vorliegend nicht der Fall.

Der vorläufige Rechtsschutzantrag hat keine Unterbrechung herbeigeführt, weil er auf die Ziffer 3 des Bundesamtsbescheides und der Vortrag eines nationalen Abschiebungshindernisses beschränkt war.

Dieser vorläufige Rechtsschutzantrag nach § 80 Abs. 5 VwGO ist kein Rechtsbehelf, der im Sinne des Art. 27 Abs. 3 Dublin III-VO eine "aufschiebende Wirkung" ausgelöst hat. Dieser Rechtsbegriff ist unionsrechtlich zu verstehen und nicht mit der in § 80 Abs. 5 VwGO, § 75 AsylG, § 34a Abs. 2 Satz 2 AsylG bzgl. der Abschiebungsanordnung nationalrechtlich geregelten Rechtsfolge identisch.

Grundsätzlich bestimmt Art. 27 Abs. 3 Dublin III-VO in der hier einschlägigen Variante des Buchstaben c), dass die Mitgliedstaaten in ihrem innerstaatlichen Recht vorsehen, dass die betreffende Person die Möglichkeit hat, "bei einem Gericht innerhalb einer angemessenen Frist eine Aussetzung der Durchführung der Überstellungsentscheidung bis zum Abschluss des Rechtsbehelfs oder der Überprüfung zu beantragen. Die Mitgliedstaaten sorgen für einen wirksamen Rechtsbehelf in der Form, dass die Überstellung ausgesetzt wird, bis die Entscheidung über den ersten Antrag auf Aussetzung ergangen ist."

Nationalrechtlich ist vorgesehen, dass bei einem rechtzeitigen Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung einer Klage gegen die Abschiebungsanordnung kraft Gesetzes (§ 34a Abs. 2 Satz 2 AsylG) eine Abschiebung bis zu der Entscheidung des Verwaltungsgerichts nicht vollzogen werden darf. Daraus wurde gefolgert, dass für die Unterbrechung der Frist des Art. 29 Abs. 1 Satz 1 Var. 2 Dublin III-VO die fristgerechte Stellung eines Rechtsbehelfs gegen die Abschiebungsanordnung ausreicht, unabhängig davon, ob dieser Erfolg hat [...].

Aus der neueren Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs folgt jedoch, dass unter die Vorschrift des Art. 27 Dublin III-VO nur solche Rechtsbehelfe gegen eine Überstellungsentscheidung fallen, die auf die Beachtung der Regeln über die Zuständigkeit zur Prüfung eines Antrags auf internationalen Schutz oder der von der Verordnung vorgesehenen Verfahrensgarantien abzielen [...].

Danach führen Rechtsbehelfe, mit denen ausschließlich faktische Überstellungshindernisse geltend gemacht werden, nicht zur Unterbrechung bzw. Verlängerung der Überstellungsfrist.

Vielmehr ist die in Art. 29 Abs. 1 der Dublin-III-VO vorgesehene Überstellungsfrist von sechs Monaten auch in Situationen anzuwenden, in denen die betroffene Person aufgrund ihres Gesundheitszustands oder aufgrund ihrer zwangsweisen Unterbringung in einer psychiatrischen Abteilung eines Krankenhauses nicht überstellt werden kann [...].

Der Europäischen Gerichtshof hat zuletzt wiederholt, dass nur in dem Ausnahmefall, dass die Aussetzung der Durchführung der Überstellungsentscheidung gemäß Art. 27 Abs. 3 oder 4 der Dublin-III-Verordnung erfolgt, sich hieraus nach Art. 29 Abs. 1 der Verordnung ergibt, dass die Überstellungsfrist nicht ab der Annahme des Aufnahme- oder Wiederaufnahmegesuchs läuft, sondern abweichend ab der endgültigen Entscheidung über den Rechtsbehelf gegen die Überstellungsentscheidung [...].

Zwar kann der nationale Gesetzgeber auch vor dem Hintergrund der Dublin III-VO Rechtsbehelfe vorsehen, die zu einer nationalen Aussetzung der Durchführung der Überstellungsentscheidung führen. [...].

Die Durchführung einer Überstellungsentscheidung kann insoweit über die in Art. 27 Abs. 3 und 4 der Dublin III-Verordnung genannten Fälle hinaus wirksam ausgesetzt werden. [...].

Die Mitgliedstaaten verfügen bei der Festlegung der Bedingungen für die Durchführung von Überstellungsentscheidungen über einen gewissen Spielraum. Dieser Spielraum bedeutet jedoch nicht, dass ein Mitgliedstaat als Folge einer sich aus seinem innerstaatlichen Recht ergebenden Aussetzung der Durchführung einer Überstellungsentscheidung die Aussetzung oder Unterbrechung der Überstellungsfrist vorsehen darf. [...].

Vielmehr darf eine sich allein aus dem innerstaatlichen Recht ergebende Aussetzung der Durchführung einer Überstellungsentscheidung unionsrechtlich nicht zur Aussetzung oder Unterbrechung der Überstellungsfrist führen. [...].

Damit führt vor dem Hintergrund der Anforderungen des Art. 29 Abs. Satz 1 Var. 1 und Var. 2, Abs. 2 Dublin III-VO nur ein nationaler gerichtlicher Antrag auf vorläufigen Rechtsschutz zur Unterbrechung der Überstellungsfrist und dem Neubeginn der Frist nach negativem Abschluss, in dem sich der Antragsteller gegen die Zuständigkeit des Mitgliedsstaats wendet, der Zielstaat der Überstellung sein soll oder den Verstoß von in der Dublin III-VO vorgesehenen Verfahrensgarantien rügt. Nur dann handelt es um einen Rechtsbehelf im Sinne des Art. 27 Dublin III-VO. Dies gilt im Falle der Geltendmachung eines Zuständigkeitsübergangs aufgrund des Ablaufs der Verfahrens- oder Überstellungsfristen [...] oder der Rüge der mangelnden Zuständigkeit des Mitgliedsstaats wegen systemischer Schwachstellen des Aufnahme- und Asylsystems. [...].

Ein Antrag auf vorläufigen Rechtsschutz, mit dem wie hier - ausschließlich nach nationalem Recht beachtliche Gründe geltend gemacht werden, erfüllt diese Voraussetzungen nicht. Da bereits der fristgerechte Eilantrag unabhängig davon, ob er Erfolg hat, die Unterbrechung der Überstellungsfrist auslöst, kommt es nicht darauf an, auf welche Gründe die gerichtliche Entscheidung über den Rechtsbehelf gestützt ist. [...]