Stufenmodell des BVerwG für Identitätsklärung nicht auf Staatsangehörigkeit übertragbar:
"1. Die Frage, wann die Staatsangehörigkeit als geklärt angesehen werden kann, entscheidet sich indes nicht nach dem so genannten Stufenmodell des Bundesverwaltungsgerichts (so aber OVG Lüneburg, Beschluss vom 11. April 2024 - 13 LA 61/23 - und VGH Kassel, Beschluss vom 30. Dezember 2021 - 5 A 692/21.Z -).
2. Vielmehr sieht auch das Bundesverwaltungsgericht die Frage, ob und welche ausländische Staatsangehörigkeit der Einbürgerungsbewerber besitzt, lediglich als Folge einer geklärten Identität an (BVerwG, Urteil vom 1. September 2010 - 5 C 27.10 -).
3. Eine Beweisregel, nach der eine Staatsangehörigkeit nur durch Vorlage entsprechender Papiere dieses Staates nachgewiesen werden könne, besteht nicht (BVerwG, Urteil vom 8. Februar 2005 - 1 C 29.03 -).
4. Es ist gerade Sinn und Zweck der freien richterlichen Beweiswürdigung, das Gericht nicht an starre Regeln zu binden, sondern ihm zu ermöglichen, den jeweiligen besonderen Umständen des Einzelfalles gerecht zu werden.
5. Das Bestehen oder Nichtbestehen einer ausländischen Staatsangehörigkeit ist als Vorfrage eine Tatfrage; Inhalt und Anwendung ausländischen Rechts sind dem Bereich der Tatsachenfeststellung zuzuordnen.
6. Entsprechend sind die nationalen Gerichte gemäß § 173 Satz 1 Hs. 1 VwGO in Verbindung mit § 293 ZPO im Verwaltungsprozess selbst verpflichtet, ausländisches Recht im Wege der Tatsachenfeststellung unter Ausnutzung aller ihnen zugänglichen Erkenntnisquellen von Amts wegen zu ermitteln (OVG NRW, Beschluss vom 22. August 2018 - 19 B 745/18 -, m.w.N. auf BVerwG, Beschluss vom 5. März 2018 - 1 B 155.17 -).
7. Dies gilt auch im Staatsangehörigkeitsrecht (OVG NRW, Urteil vom 29. Juni 2020 - 19 A 1420/19.A -)."
(Amtliche Leitsätze)
[...]
Die Klägerin hat einen Anspruch auf Einbürgerung in den deutschen Staatsverband. [...]
Indes ist auch die Staatsangehörigkeit der Klägerin geklärt. Sie ist (allein) kosovarische Staatsangehörige. [...]
Die Frage, wann die Staatsangehörigkeit als geklärt angesehen werden kann, entscheidet sich indes nicht [...] nach dem so genannten Stufenmodell des Bundesverwaltungsgerichts [...].
Das Bundesverwaltungsgericht hat in der zitierten Rechtsprechung das Stufenmodell allein für die Frage der Klärung der Identität entwickelt und es gerade nicht auf die Klärung der Staatsangehörigkeit erstreckt, obwohl auch im Revisionsverfahren dazu für das Bundesverwaltungsgericht Anlass bestand: die chinesische Staatsangehörigkeit der dortigen Klägerin, die keinen Nationalpass besaß, war angezweifelt worden [...].
Das ist unter dem argumentativen Ansatz des Bundesverwaltungsgerichts konsequent. Ausgangspunkt für das Stufenmodell ist die besondere Bedeutung der geklärten Identität. Diese ist unter zwei Gesichtspunkten maßgeblich: zum einen dient das Merkmal der Identitätsklärung gewichtigen sicherheitsrechtlichen Belangen der Bundesrepublik Deutschland und ist Ausgangspunkt für die Prüfung weiterer Einbürgerungsmerkmale; zum anderen wird damit verhindert, dass der eingebürgerten Person unter Schaffung einer zusätzlichen Alias-Identität die Möglichkeit eröffnet wird, im Rechtsverkehr mit mehreren unterschiedlichen Identitäten und amtlichen Ausweispapieren aufzutreten [...].
Beiden Aspekten kommt bei der Frage der Klärung der Staatsangehörigkeit keine bzw. eine stark verringerte Bedeutung zu, sie ist unter der aktuellen Gesetzeslage systemwidrig [...].
Entsprechend sieht auch das Bundesverwaltungsgericht die Frage, ob und welche ausländische Staatsangehörigkeit der Einbürgerungsbewerber besitzt, lediglich als Folge einer geklärten Identität an [...]: Nur wenn Gewissheit besteht, dass ein Einbürgerungsbewerber die Person ist, für die er sich ausgibt, kann […] beurteilt werden, ob und welche ausländische Staatsangehörigkeit der Einbürgerungsbewerber besitzt). [...]
Damit ist regelmäßig auch die Staatsangehörigkeit geklärt, so dass die angenommene Wechselwirkung ausbleibt. Selbst in Fällen - wie hier - einer (vormals) mehrfachen Staatsangehörigkeit des Einbürgerungsbewerbers ist die Frage nach der Staatsangehörigkeit losgelöst von der geklärten Identität zu beantworten. Gerade der Fall der Klägerin zeigt, dass die Frage der Staatsangehörigkeit - wie hier etwa von der Beklagten - trotz geklärter Identität als streitig angesehen werden kann; die geklärte Identität trägt für sich allein dazu nichts bei. Selbiges gilt etwa auch für im Bundesgebiet geborene Kinder, deren Identität aufgrund der deutschen Geburtsurkunde, die Grundlage jeder weiteren Beurkundung auch im Ausland ist, geklärt ist [...], was zum einen die unreflektierte Anwendung des gesetzlich nicht verbindlichen Stufenmodels in diesen Fällen ad absurdum führt und zum anderen nichts zur Frage der Staatsangehörigkeit des im Bundesgebiet geborenen Kindes beiträgt. [...]
Unabhängig von den vorherigen Erwägungen ist zu berücksichtigen, dass bei unterstellter Anwendbarkeit des Stufenmodells dieses nicht einschränkungslos gilt. In Fällen einer offensichtlich geklärten Identität - etwa bei Geburt im Inland und Vorliegen einer deutschen Geburtsurkunde, die folglich Grundlage jedweder weiteren Beurkundung ist - oder einer - wie hier - durch schlichte Rechtsanwendung zu ermittelnden Staatsangehörigkeit des Einbürgerungsbewerbers erweist sich eine Pflicht zur Vorlage eines entsprechenden Reisepasses auf der ersten Stufe des Modells als unangemessen, zumal die geforderte Vorlage eines Reisepasses nicht aus dem Gesetz folgt, sondern dem Ausgleich der Interessen dient. Die Vorlage eines bestimmten Dokuments ist keine gesetzliche Tatbestandsvoraussetzung, wie sie der Gesetzgeber regeln könnte und etwa in § 10 Abs. 7 StAG - aber auch in §§ 12a Abs. Nr. 3, 16c Abs. 1 Satz 1 Nr. 2, 19a Abs. 1 Satz 1 Nr. 4, 36a Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 Satz 2, 43 Abs. 4 Satz 2, 60a Abs. 2c Satz 2 und 3 AufenthG - erwogen hat. Folglich erfolgt der Nachweis durch das Stufenmodell auch nur "in der Regel" [...], lässt mithin Ausnahmen auch nach dem Ductus der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts zu. [...]
Hinzu kommt selbständig tragend Folgendes: Auch das Stufenmodell verlangt keinen gültigen Reisepass. Der Verwaltungsvorgang enthält für die Klägerin einen abgelaufenen jugoslawischen Reisepass, der sie als Angehörige der Teilrepublik Serbien ausweist mit Wohn- und Aufenthaltsort in ..., mithin im Gebiet des heutigen Kosovo. Auch damit allein hat die Klägerin im Sinne des Stufenmodells den Nachweis ihrer kosovarischen Staatsangehörigkeit geführt. [...]