Anforderungen an den Vortrag zur Homosexualität:
1. Ein glaubhafter Vortrag zur Homosexualität erfordert im Falle staatlicher Verfolgung im Herkunftsland eine Auseinandersetzung mit der eigenen "abweichenden Orientierung" und eine Distanzierung von den traditionellen und gesellschaftlichen Normen.
2. Wird im Asylverfahren nachweislich eine queere Beratungsstelle aufgesucht, befreit dies nicht davon, die eigene homosexuelle Veranlagung glaubhaft darzulegen.
(Leitsätze der Redaktion; zum Problem stereotyper Vorstellungen bei LGBTIQ-Asylsuchenden: Themenschwerpunkt aus dem Asylmagazin 7–8 / 2021, S. 248 – 275, Sexuelle Orientierung und geschlechtliche Identität als Fluchtgrund)
[...]
20 a) Nach einer umfassenden Würdigung der Umstände des Einzelfalls ist das Gericht nicht davon überzeugt, dass der Kläger homosexuell ist und aus diesem Grund bei einer Rückkehr nach Uganda eine asylerhebliche Verfolgung zu befürchten hätte. [...]
23 [... ] Der Vortrag des Klägers weist nicht hinreichend viele Realkennzeichen auf, um davon auszugehen, dass der Vortrag erlebnisbasiert ist. Der Vortrag zur Homosexualität ist vielmehr detailarm und nicht plausibel, mithin als unglaubhaft zu werten. Insbesondere gelingt es dem Kläger weder, den Weg zur eigenen sexuellen Identität unter Entdeckung der eigenen Homosexualität, noch seine individuelle Situation als Homosexueller beziehungsweise ein Bewusstsein der hiermit einhergehenden Gefahren im Herkunftsland in stimmiger und nachvollziehbarer Weise darzustellen.
24 Bei der Bildung und Entdeckung der eigenen sexuellen Identität handelt es sich um einen komplexen Prozess. Eine Identitätsbildung einer normabweichenden sexuellen Identität ist in Ländern, in denen diese staatlich oder gesellschaftlich geächtet wird, regelmäßig nicht geradlinig und konsequent, sondern von möglichen "Suchbewegungen" und "inneren Konflikten" gekennzeichnet (vgl. Berlit/Dörig/ Storey, ZAR 2016, 332, 333 f.). In einer traditionell geprägten Gesellschaft wie der in Uganda, die gleichgeschlechtliche Sexualität tabuisiert, ablehnt (vgl. nur Bundesamt für Migration und Flüchtlinge, Länderreport 30 – Uganda, Stand: 10/2020, S. 5 ff.) und unter Strafe stellt (vgl. zum Anti-Homosexuality-Act Bundesamt für Migration und Flüchtlinge: Entscheiderbrief 10/2023, Die Situation von LGBTIQ-Personen in Ostafrika, insbesondere Uganda, S. 3), ist das Bewusstwerden der eigenen homosexuellen Identität ein Schritt, der eine Abweichung der persönlichen sexuellen Orientierung von der gesellschaftlich erwarteten Orientierung bedingt. Der Prozess, die eigene Homosexualität anzunehmen, erschöpft sich in diesem kulturellen Kontext nicht in einem bloßen Erkennen der abweichenden Orientierung, sondern erfordert eine Distanzierung von traditionellen Werthaltungen und gesellschaftlichen Konventionen.
25 b) Hiervon ausgehend hat der Kläger den Weg zu seiner sexuellen Identität unter Entdeckung der eigenen Homosexualität sowie etwaige Auswirkungen auf das eigene Leben weder in der Anhörung vor dem Bundesamt noch in der mündlichen Verhandlung bei Gericht glaubhaft und nachvollziehbar beschrieben.
26 Der Kläger wurde mehrfach sowohl durch das Gericht wie auch seinen Bevollmächtigten zur Bewusstwerdung der eigenen Homosexualität befragt. Dabei fällt auf, dass nach den gegebenen Antworten die Dimension von "Suchbewegungen" oder einem "inneren Konflikt" hinsichtlich dieser Bewusstwerdung von ihm nicht erkannt wurde. Auf wiederholte Fragen des Gerichts gab der Kläger lediglich an, dass er – als er bemerkt habe, dass er homosexuell sei – nicht gewusst habe, dass das verboten sei. Das sei "in ihm drin". Er habe gewusst, dass das riskant sei, aber es sei "in ihm drin". Auf wiederholte Fragen seines Bevollmächtigten hat er geantwortet, dass der Kläger das als normal und gut befunden habe, wenn er seinen Partner angefasst habe. Ihm sei nicht der Gedanke gekommen, dass andere Leute das nicht als normal empfinden könnten. Er sei verliebt gewesen und habe sich zu seinem Partner hingezogen gefühlt. Er habe nicht daran gedacht, was andere Leute denken könnten. Sie hätte auch nicht daran gedacht, dass ihnen etwas passieren könnte. Dieses Ausleben seiner homosexuellen Identität ohne einen "inneren Konflikt" zwischen der eigenen Sexualität einerseits und den gesellschaftlichen Erwartungen und Verboten andererseits zu schildern wirkt völlig unplausibel. Vor dem Hintergrund, dass die Aufnahme einer homosexuellen Beziehung in Uganda einen strafrechtlich bewehrten Tabubruch darstellt, der schwerwiegende Folgen haben kann, wirken die Darstellungen des Klägers nicht wie die Schilderung eines tatsächlich inneren Erlebens, sondern aufgesetzt und nichtssagend. Das gilt auch vor dem Hintergrund, dass der Kläger bei Beginn der Beziehung erst 15 Jahre alt gewesen sein soll. Angesichts dessen Schilderung, dass auf das Verbot homosexueller Handlungen in der Schule immer wieder hingewiesen worden sein soll, drängte sich ein entsprechender innerer Entscheidungsprozess zwischen eigener Sexualität und dem Verbot homosexueller Handlungen geradezu auf. Dieser Grundkonflikt bestand auch schon im Jugendalter und muss wenigstens in Grundzügen erkennbar geschildert werden. Erst recht gilt das, nachdem der Kläger wegen seiner Homosexualität angeblich wiederholt die Schule habe wechseln müssen sowie in den folgenden Jahren bis zum Erwachsenenalter von seinem Vater diszipliniert und misshandelt worden sein will. Hierzu wurde aber auch nicht ansatzweise etwas vom Kläger vorgetragen. Sein Vortrag, dass das "in ihm drin gewesen sei" und er verliebt gewesen sei und nicht daran gedacht habe, dass ihnen etwas passieren könnte, stellt gerade nicht die Darstellung eines "inneren Kampfes" dar. Der Prozess, die eigene Homosexualität anzunehmen und sich von traditionellen Werthaltungen und gesellschaftlichen Konventionen zu distanzieren, wird damit nicht begründet. Insgesamt wirkt der Vortrag des Klägers zu seiner angeblichen Homosexualität oberflächlich, konstruiert und aufgesetzt.
27 Die Unglaubhaftigkeit des Vortrags des Klägers insgesamt wird auch dadurch unterstrichen, dass er wesentliche Umstände seiner Anhörung vor dem Bundesamt in seinem Vortrag vor Gericht anders darstellt. Beim Bundesamt hat der Kläger angegeben, dass er gemerkt habe, dass er sich zu Männern hingezogen fühle, als sie in den Sommerferien schwule Pornos angeschaut hätten. In seiner Anhörung bei Gericht hat er das nicht erwähnt, sondern davon gesprochen, dass er im Etagenbett oben geschlafen habe, sein Freund und späterer Partner unten, er habe seinen Freund in der Dusche berührt. So hat er weiter vor Gericht angegeben, zwei Mal von einer Schule wegen seiner Homosexualität verwiesen worden zu sein, beim Bundesamt hat er nur eine Schulentlassung angegeben. Beim Bundesamt hat der Kläger angegeben, zwei Mal von zuhause weggelaufen zu sein, vor Gericht hat er angegeben, nur einmal weggelaufen zu sein. Vor Gericht hat er nicht erwähnt, dass er aufgrund der Misshandlungen durch seinen Vater fünf Tage in einem Krankenhaus habe behandelt werden müssen. Beim Bundesamt hat der Kläger angegeben, dass sein Partner von einem Mob in dessen ... angegriffen und getötet worden sei, vor Gericht hat der Kläger ausdrücklich angegeben, dass sein Partner vor ihrem Wohnhaus angegriffen und getötet worden sei. Andererseits fiel der Kläger mit einem langatmigen, auf Details bedachten Vortrag auf. [...]
29 Auch der Umstand, dass der Kläger regelmäßigen Kontakt zu einer Beratungsstelle von LeTRa hat und er an Aktivitäten der LGBTQ-Community teilnehme sowie Freundschaften zu Mitgliedern dieser Community aufgebaut habe (Stellungnahme vom 6.7.2023), kann das die massiven Umstände, die gegen die Glaubhaftigkeit sprechen, nicht ins Gegenteil verkehren. Dabei ist zu berücksichtigen, dass die Anbindung an eine Organisation, die homosexuelle Menschen betreut und berät, den Kläger nicht davon befreien kann, seine homosexuelle Veranlagung glaubhaft darzulegen. Das hat der Kläger nicht zur Überzeugung des Gerichts getan. [...]