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VG Münster

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Zitieren als:
VG Münster, Beschluss vom 09.04.2025 - 2 L 408/25.A - asyl.net: M33360
https://www.asyl.net/rsdb/m33360
Leitsatz:

Gegenwärtig und auf absehbare Zeit bestehen systemische Mängel der Aufnahmebedingungen: 

Die Aufnahmebedingungen in Zypern weisen systemische Mängel auf. Die Unterbringungszentren sind überfüllt. Die Hygienestandards sowie der Schutz für Kinder und alleinstehende Frauen vor sexuellen bzw. geschlechtsspezifischen Übergriffen sind unzureichend. Asylsuchende und Schutzberechtigte sind der Gefahr von Obdachlosigkeit und Mittellosigkeit ausgesetzt. Ihnen droht somit eine unmenschliche und erniedrigende Behandlung.

(Leitsatz der Redaktion) 

Schlagwörter: Zypern, alleinstehende Frauen, alleinerziehend, internationaler Schutz in EU-Staat, systemische Mängel, Obdachlosigkeit,
Normen: EMRK Art. 3, GR-Charta Art. 4, AsylG § 29 Abs. 1 Nr. 2, VwGO § 80 Abs. 5
Auszüge:

[...]

Die Antragsteller haben in Zypern einen Asylantrag gestellt. Ihnen ist dort bereits ein internationaler Schutzstatus i. S. d. § 1 Abs. 1 Nr. 2 AsylG zuerkannt worden. Danach ist ein nochmaliger Schutzantrag in der Bundesrepublik Deutschland nach § 20 Abs. 1 Nr. 2 AsylG unzulässig. Dies hat das Bundesamt auch so tenoriert.

Allerdings spricht einiges dafür, dass die Zuständigkeit Zyperns jedenfalls entfallen ist, weil es wesentliche Gründe für die Annahme gibt, dass das Asylverfahren und die Aufnahmebedingungen für Antragsteller in Zypern systemische Schwachstellen aufweisen, die eine Gefahr einer unmenschlichen oder entwürdigenden Behandlung im Sinne des Art. 4 der EU-Grundrechtecharta mit sich bringen (systemische Mängel). [...]

Zypern gehört zu den EU-Ländern, in denen bezogen auf die Bevölkerungszahl die höchste Zahl von Flüchtenden Asylerstanträge stellt und dies mit steigender Tendenz. Auch wenn die Anzahl der-um Asyl nachsuchenden Personen in 2023 im Gegensatz zu 2022 um die Hälfte sanken, ist die Zahl der Asylsuchenden in Zypern nach wie vor hoch. In den ersten Monaten diesen Jahres 2024 war die Ankunft der Bootsflüchtlinge erstmals höher als die, die über die grüne Grenze kamen. [...]

Die steigende Zahl von Asylsuchenden hat zu einer Verschärfung der bereits zuvor bestehenden Probleme bei den Asylverfahren und den Aufnahmebedingungen geführt.

Die Aufnahmestandards sind nach wie vor unzureichend, so dass Asylbewerber der Gefahr von Obdachlosigkeit und Mittellosigkeit ausgesetzt sind. Die Mehrheit der Asylbewerber lebt in der Gemeinde und ist oft extrem mittellos. Die Zentren sind überfüllt und müssen strukturell renoviert werden, um annehmbare Sanitär- und Hygienestandards zu erreichen und Schutz vor sexueller und geschlechtsspezifischer Gewalt für Kinder und alleinstehende Frauen zu bieten. Die rechtzeitige Erkennung der Bedürfnisse von schutzbedürftigen Personen, einschließlich Kindern, sowohl in den Aufnahmeeinrichtungen als auch in der Gemeinschaft, muss verbessert werden. [...]

Ein Mangel an Aufnahmekapazitäten führt zusammen mit einer unzureichenden materiellen Versorgung dazu, dass viele Asylsuchende unter schlechten Bedingungen untergebracht oder aber obdachlos sind. [...]

Das Gericht ist aufgrund der vorstehenden Auskunftslage davon überzeugt, dass gegenwärtig und auf absehbare Zeit systemische Mängel der Aufnahmebedingungen für Asylsuchende und Schutzberechtigte in Zypern bestehen, die regelmäßig zu der konkreten Gefahr einer unmenschlichen oder entwürdigenden Behandlung im Sinne des Art. 4 GRCh und Art. 3 EMRK führen, und eine Rückführung daher nicht zulässig ist. [...]

Nach ihrer Anerkennung haben international Schutzberechtigte grundsätzlich ebenso wie zypriotische Staatsbürger Anspruch auf finanzielle Unterstützung in Form des gesetzlich garantierten Mindesteinkommens (Guaranteed Minimum Income (GMD, sofern sie ihren Lebensunterhalt nicht durch eigene Erwerbstätigkeit sicherstellen können, was in den allermeisten Fällen nicht möglich ist. Von der Voraussetzung eines 5-jährigen legalen und dauerhaften Aufenthalts in Zypern wird dabei abgesehen. Es entstehen allerdings bei der Prüfung der Anträge in der Praxis erhebliche Verzögerungen, die bis zu 9 Monate dauern können. Für Schutzberechtigte ist dieser Übergangszeitraum extrem schwierig, da die Leistungen für Asylbewerber mit der Entscheidung über ihr Asylgesuch enden und es keine Übergangsleistungen gibt. Es kann lediglich eine Notfallhilfe zur Befriedigung grundlegender Bedürfnisse beantragt werden, die jedoch mit 100-150 Euro im Monat/pro Person bzw. 150-280 Euro im Monat/pro Familie extrem niedrig ist. Auch die Bewilligung einer solchen Nothilfe kann 1-2 Wochen in Anspruch nehmen und sie ist jeden Monat neu zu beantragen. [...]