Überstellung vulnerabler Personen nach Belgien:
"Es liegen keine hinreichend belastbaren Erkenntnisse dafür vor, dass schutzsuchenden Familien mit Kindern, alleinstehenden Frauen und unbegleiteten Minderjährigen in Belgien infolge der sog. "Aufnahmekrise" systematisch der Zugang zum Aufnahmesystem und damit zur Unterbringung in den Aufnahmeeinrichtungen für Schutzsuchende verwehrt wird. Diesen Personengruppen droht im Falle einer Überstellung nach der Dublin-III-Verordnung (juris: EUV 604/2013) daher grundsätzlich nicht mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit Obdachlosigkeit (Rn. 8)."
(Amtliche Leitsätze)
[...]
8 Der Einzelrichter ist davon überzeugt, dass den Antragstellern in Belgien keine Obdachlosigkeit droht. Zwar befindet sich Belgien seit Oktober 2021 in einer sog. "Aufnahmekrise", die den Zugang zum Asylverfahren und die materiellen Aufnahmebedingungen beeinträchtigt [...]. Insbesondere besteht ein Mangel an Plätzen in den Aufnahmeeinrichtungen. Dieser wirkt sich nach den dem Einzelrichter vorliegenden Erkenntnisquellen aber vor allem auf die Gruppe der alleinstehenden männlichen Asylantragsteller aus. Ihnen soll aufgrund der begrenzten Anzahl von Plätzen in den Aufnahmeeinrichtungen systematisch der Zugang zum Aufnahmesystem verwehrt werden [...]. Demgegenüber liegen keine Erkenntnisse vor, dass auch Familien mit Kindern, alleinstehenden Frauen und unbegleiteten Minderjährigen systematisch der Zugang zum Aufnahmesystem und damit zur Unterbringung in den Aufnahmeeinrichtungen verwehrt wird. Vielmehr räumt die für die Unterbringung von Asylantragstellern zuständige Föderale Agentur für die Aufnahme von Asylantragstellern (Fedasil) gerade diesen Personengruppen bei der Unterbringung Vorrang ein [...]. Weder der Jahresbericht 2023 noch die Jahresstatistik 2024 von Fedasil geben Anlass zur Sorge, dass diese Personengruppen nicht untergebracht werden [...]. So soll es sich bei den 8.816 Personen, die im Jahr 2023 am Tag ihrer Registrierung nicht in Aufnahmeeinrichtungen untergebracht werden konnten, (nahezu) ausschließlich um alleinstehende Männer gehandelt haben [...]. Als im Sommer 2023 auch für Familien nicht mehr genügend Plätze in den Aufnahmeeinrichtungen zur Verfügung standen, wurden diese anderweitig untergebracht [...]. Auch für die Zeit danach gibt es keine belastbaren Anhaltspunkte dafür, dass für Familien mit Kindern, alleinstehende Frauen und unbegleitete Minderjährige eine unverzügliche Unterbringung nach Antragstellung nicht gewährleistet war bzw. ist. Zwar sollen nach einem – auch in einer Auskunft des österreichischen Bundesamts für Fremdenwesen und Asyl vom 24. Januar 2025 [...]. Dass es sich bei diesen Familien tatsächlich ausschließlich oder zumindest überwiegend um Asylantragsteller – und nicht (auch) um abgelehnte Asylantragsteller, anerkannte Schutzberechtigte oder sonstige Migranten – handelt, vermag der Einzelrichter dem Artikel allerdings nicht zu entnehmen. Zwar spricht dieser in seinem Untertitel von asylsuchenden Familien ("Between 40 and 50 families seeking asylum are sleeping on the streets of Brussels every month.") und stellt die Obdachlosigkeit der Familien in einen Zusammenhang mit fehlenden Unterbringungsplätzen im Aufnahmesystem. Es wird jedoch an keiner Stelle nachvollziehbar dargelegt, dass es sich bei den genannten Familien tatsächlich überwiegend um Asylantragsteller handelt, zumal an anderer Stelle auch von 40 bis 50 obdachlosen "Migrantenfamilien" gesprochen wird. Ähnlich unspezifisch und wenig belastbar bleibt ein Bericht der Europäischen Föderation der nationalen Organisationen, die mit Obdachlosen arbeiten (FEANTSA), wonach aufgrund der Aufnahmekrise auch Familien mit kleinen Kindern und unbegleitete Minderjährige im Freien übernachten müssten [...]. Soweit dort auch davon die Rede ist, dass "Familien 30 % der Betroffenen" ausmachen [...], lässt sich dieser Aussage schon der Bezugspunkt der Betroffenheit nicht hinreichend deutlich entnehmen. Jedenfalls liegt es für den Einzelrichter fern, davon auszugehen, dass 30 % der obdachlosen Asylantragsteller in Brüssel Teil einer (Kern-)Familie sind. Denn dann müssten wohl Hunderte von Familien (mit Kindern) in Brüssel auf der Straße leben, wofür die übrigen dem Einzelrichter vorliegenden – sich teilweise sehr ausführlich mit der Aufnahmekrise befassenden – Erkenntnisquellen [...] nichts hergeben. [...]