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VG Köln

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Zitieren als:
VG Köln, Beschluss vom 20.05.2025 - 23 L 1186/25.A - asyl.net: M33399
https://www.asyl.net/rsdb/m33399
Leitsatz:

Unzulässigkeitsentscheidung bei Folge- und Zweitverfahren: 

1. Ein Asylantrag ist nicht als Folgeantrag zu qualifizieren, wenn im früheren Verfahren ausschließlich eine Unzulässigkeitsentscheidung (nach § 29 Abs. 1 Nr. 2 AsylG) ergangen ist und es an einer materiellen Prüfung des Schutzbegehrens fehlt.

2. § 29 Abs. 1 Nr. 5 AsylG setzt voraus, dass der neue Asylantrag nach Rücknahme oder unanfechtbarer Ablehnung eines früheren Asylantrags gestellt wurde und im Erstverfahren eine inhaltliche Prüfung erfolgt ist; eine frühere Unzulässigkeitsentscheidung nach § 29 Abs. 1 Nr. 2 AsylG genügt hierfür nicht.

3. Die unionsrechtskonforme Auslegung von § 71 AsylG gebietet, den Begriff des Folgeantrags im Sinne von Art. 40 Abs. 2 und Art. 33 Abs. 2 lit. d der Asylverfahrensrichtlinie (2013/32/EU) dahin zu verstehen, dass ein solcher nur vorliegt, wenn der erste Antrag einer inhaltlichen Prüfung unterzogen wurde.

4. Ein Folgeantrag liegt nicht vor, wenn der neue Antrag auf die Änderung einer früheren Unzulässigkeitsentscheidung nach § 29 Abs. 1 Nr. 2 AsylG zielt und damit ein Wiederaufgreifen des Verfahrens i.S.v. § 51 VwVfG bezweckt.

5. Eine Umdeutung der ablehnenden Entscheidung nach § 29 Abs. 1 Nr. 5 AsylG in eine Ablehnung nach § 51 VwVfG ist unzulässig, wenn sich dadurch die Art des Verwaltungsakts und die maßgebliche Rechtsgrundlage ändern und die betroffene Person in ihrer Rechtsverteidigung beeinträchtigt würde.

(Leitsätze der Redaktion) 

Schlagwörter: Überstellung, familiäre Lebensgemeinschaft, internationaler Schutz in EU-Staat, Bulgarien, Asylfolgeantrag, Zweitantrag, Unzulässigkeit, Wiederaufgreifensantrag
Normen: AsylG § 71 Abs. 1, AsylG § 29 Abs. 1 Nr. 5, AsylG § 29 Abs. 1 Nr. 2, Asylverfahrensrichtlinie 2013/32/EU Art. 40 Abs. 2, Asylverfahrensrichtlinie Art. 33 Abs. 2 lit. d, VwVfG § 51
Auszüge:

[...]

Die Antragsgegnerin hat zu Unrecht eine Unzulässigkeitsentscheidung nach § 29 Abs. 1 Nr. 5 AsylG getroffen. Nach dieser Norm ist ein Asylantrag unzulässig, wenn im Falle eines Folgeantrags nach § 71 AsylG oder eines Zweitantrags nach § 71a AsylG ein weiteres Asylverfahren nicht durchzuführen ist.

Die Voraussetzungen des § 29 Abs. 1 Nr. 5 AsylG sind nicht erfüllt. Denn bei dem vom Antragsteller am 13. März 2025 gestellten Antrag auf Durchführung eines weiteren Asylverfahrens handelt es sich – entgegen der Auffassung der Antragsgegnerin – nicht um einen Folgeantrag i.S.d. § 71 Abs. 1 Satz 1 AsylG. Die Voraussetzungen für den Austausch der Rechtsgrundlage liegen auch nicht vor. [...]

Ein Antrag ist nicht als Folgeantrag i.S.d. § 71 AsylG zu qualifizieren, wenn im früheren Asylverfahren eine sachliche Prüfung des Schutzbegehrens nicht erfolgt ist (vgl. BVerwG, Urteil vom 17. August 2021 – 1 C 55.20 –, juris Rn. 18 für den Fall der vorherigen Unzulässigkeitsentscheidung nach § 29 Abs. 1 Nr. 1 a) AsylG).

Stellt ein Antragsteller – wie hier – erneut einen Asylantrag, nach dem sein früherer Asylantrag als unzulässig nach § 29 Abs. 1 Nr. 2 AsylG wegen der Gewährung internationalen Schutz in einem anderen Mitgliedstaat der Europäischen Union bestandskräftig abgelehnt wurde, ist dieser neue Antrag mangels inhaltlicher Prüfung eines Anspruchs auf internationalen Schutz im früheren Verfahren nicht als Folgeantrag zu qualifizieren (A.A. Sächs. OVG, Urteil vom 15. März 2022 – 4 A 506/19.A –, juris Rn. 23; VG Göttingen, Urteil vom 6. Februar 2023 – 3 A 81/22 – juris Rn. 25; VG Augsburg, Urteil vom 4. April 2024 – Au 9 K 23.31180 –, juris Rn. 32; VG München, Urteil vom 13. September 2023 – M 22 K 19.30442 –, juris Rn. 21; VG Düsseldorf, Beschluss vom 17. April 2025 – 22 L 884/25.A –, juris Rn. 14).

Zwar ist die Legaldefinition des Folgeantrags in § 71 AsylG –

"Stellt der Ausländer nach Rücknahme oder unanfechtbarer Ablehnung eines früheren Asylantrags erneut einen Asylantrag"

– weit gefasst. Ausgehend vom bloßen Wortlaut könnte daher auch eine Unzulässigkeitsentscheidung nach § 29 Abs. 1 Nr. 2 AsylG unter den Begriff der "unanfechtbaren Ablehnung" subsumiert werden.

Indes gebieten der in den Gesetzesmaterialien zur Neufassung des § 71 AsylG im Rahmen des am 26. Februar 2024 in Kraft getretenen Rückführungsverbesserungsgesetzes (BGBl. 2024 I Nr. 54 vom 26. Februar 2024) zum Ausdruck gebrachte Wille des Gesetzgebers und der Wortlaut der Art. 33 Abs. 2 lit. d) und Art. 40 der Richtlinie 2013/32/EU (Asylverfahrensrichtlinie) ein anderes Verständnis. [...]

Indem Art. 33 Abs. 2 und Art. 40 Abs. 2 i.V.m. Abs. 3 der Asylverfahrensrichtlinie als (erste) Voraussetzung eines Folgeantrages vorsehen, dass neue Elemente oder Erkenntnisse zutage getreten oder vom Antragsteller vorgebracht worden sind, die erheblich zu der Wahrscheinlichkeit beitragen, dass der Antragsteller nach Maßgabe der Richtlinie 2011/95/EU als Person mit Anspruch auf internationalen Schutz anzuerkennen ist, wird impliziert, dass bei einem Folgeantrag i.S.d. Asylverfahrensrichtlinie auch im Erstverfahren eine materielle Bewertung des Asylantrags vorgenommen worden sein muss (vgl. dazu VG Sigmaringen, Urteil vom 16. Februar 2021 – A 13 K 3481/18 –, juris Rn. 34; VG Hamburg, Beschluss vom 8. Mai 2024 – 12 AE 1859/24 –, juris Rn. 28 ff.; VG Berlin, Beschluss vom 27. März 2025 – 34 L 262/24 A –, juris Rn. 30; Beschluss der Kammervom 10. April 2025 – 23 L 631/25.A –, juris Rn. 29; Gerichtsbescheid der Kammer vom 6. Mai 2025 – 23 K 2648/25.A (n. v.)).

Dieses Verständnis ist bei der Anwendung des § 71 AsylG zugrunde zu legen, da der Gesetzgeber mit der Neufassung der vorerwähnten Norm die unionsrechtlichen Zulässigkeitsvoraussetzungen für den Folgeantrag nach der Asylverfahrensrichtlinie umsetzen wollte (vgl. Entwurf eines Gesetzes zur Verbesserung der Rückführung (Rückführungsverbesserungsgesetz), BT-Drs. 20/9463, S. 23, 58 f.). [...]

Mit der Neufassung des § 71 AsylG hat der Gesetzgeber den ursprünglichen Verweis auf die Regelungen zum Wiederaufgreifen des Verfahrens nach § 51 Abs. 1 bis 3 VwVfG aufgegeben und die Tatbestandsvoraussetzungen an die unionsrechtlichen Zulässigkeitsvoraussetzungen des Art. 40 der Asylverfahrensrichtlinie angeglichen (vgl. dazu Entwurf eines Gesetzes zur Verbesserung der Rückführung, BT-Drs. 20/9463, S. 58 f.).

Die Tatbestandsvoraussetzung des § 71 AsylG für die Annahme eines zulässigen Folgeantrags sind weiter als die in § 51 Abs. 1 bis 3 VwVfG geregelten Voraussetzungen für ein Wiederaufgreifen des Verfahrens. So sind etwa Elemente und Erkenntnisse auch neu i. S. v. § 71 Abs. 1 Satz 1 AsylG, wenn die Tatsachen und Umstände bereits im Asylerstverfahren vorlagen, dem Bundesamt aber nicht zur Kenntnis gebracht und daher nicht bei der Entscheidung berücksichtigt werden konnten (vgl. dazu Entwurf eines Gesetzes zur Verbesserung der Rückführung, BT-Drs. 20/9463, S. 59).

Dagegen ist zur Geltendmachung einer Änderung der Sachlage als Wiederaufgreifensgrund i.S.d. § 51 Abs. 1 Nr. 1 VwVfG nicht ausreichend, wenn dem Betroffenen eine bereits vor Erlass des Verwaltungsaktes gegebene Sach- oder Rechtslage erst nach dessen Erlass bekannt wird (vgl. BeckOK VwVfG/Falkenbach, Stand: 1. Januar 2025, § 51 Rn. 31). [...]

Zunächst erwächst ein inländisches Abschiebungsverbot nicht aus familiären Bindungen i. S. v. § 34 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 AsylG. Es besteht kein Abschiebungsverbot in Bezug auf die Ehefrau und die Tochter des Antragstellers, die in Deutschland einen noch nicht beschiedenen Asylantrag gestellt haben. [...]

Vor diesem Hintergrund muss sich der Antragsteller darauf verweisen lassen, dass er zur Wahrung der Familieneinheit eine entsprechende Familienzusammenführung in Bulgarien im Rahmen eines Visumsverfahrens beantragen kann. Eine Familienzusammenführung hätte der Antragsteller im Übrigen bereits unmittelbar nach seiner Schutzgewährung in Bulgarien am 10. März 2022 betreiben können.

Anerkannt Schutzberechtigte wie der Antragsteller haben das Recht, ohne Ablauf einer Wartezeit – insbesondere hinsichtlich ihres Ehegatten und ihrer Kinder – einen Antrag auf Familienzusammenführung zu stellen. Diese erhalten dann denselben Schutzstatus wie ihre Familienmitglieder und die damit einhergehenden Rechte (vgl. zu den Voraussetzungen einer Familienzusammenführung: aida, Country Report: Bulgaria, update 27. März 2025, S. 120 f.).

Aufgrund der Tatsache, dass der Antragsteller bereits mehr als drei Jahre von seiner Familie getrennt war, ist ihm und seiner Ehefrau sowie der sechsjährigen Tochter eine weitere Trennung für eine Übergangszeit zuzumuten. Hierbei hat es der Antragsteller selbst in der Hand, durch einen zeitnahen Antrag auf Familienzusammenführung bei den bulgarischen Behörden die Trennungsdauer so kurz wie möglich zu halten.

Es sind auch keine Anhaltspunkte ersichtlich, dass es dem Antragsteller und seiner Ehefrau in Bulgarien nicht möglich sein wird, für den Lebensunterhalt der Familie zu sorgen. Es ist dem Antragsteller zuzumuten, eine Tätigkeit zur Sicherung des Lebensunterhalts der Familie aufzunehmen. Während der Jahre, die er bereits in Bulgarien gelebt hat, war der Antragsteller in einer Aluminiumfabrik beschäftigt. Von dem Lohn, den er dort erhalten hat, konnte er sogar die Miete für ein Zimmer in einer Wohngemeinschaft zahlen. Zur Sicherung des Lebensunterhalts der Familie ist es im Übrigen auch der Ehefrau des Antragstellers zuzumuten, in Bulgarien einer Erwerbstätigkeit nachzugehen. Zur Gewährleistung der Betreuung für das Kind könnte etwa eine Teilzeitbeschäftigung für einen Elternteil in Betracht gezogen werde. Dass dem Antragsteller und seiner Ehefrau die Aufteilung von Betreuungs- und Arbeitszeiten möglich ist, haben sie während der Jahre, die sie gemeinsam in Syrien gelebt haben und in denen ihre Tochter geboren wurde demonstriert – der Antragsteller war während dieser Zeit erwerbstätig. [...]