Zur Rechtskraftwirkung von Urteilen:
1. Hebt das erkennende Gericht eine Unzulässigkeitsentscheidung des BAMF auf, ist eine erneute Ablehnung des Asylantrages wegen Unzulässigkeit aus denselben Gründen (hier § 29 Abs. 1 Nr. 2 AsylG) rechtswidrig.
2. Gemäß § 121 VwGO binden rechtskräftige Urteile die Beteiligten und ihre Rechtsnachfolger, soweit über den Streitgegenstand entschieden worden ist. Diese Rechtskraftwirkung entfällt auch nicht durch nachträglich neue Erkenntnisse oder eine neue oder geänderte ober- oder höchstrichterliche Rechtsprechung.
3. Auch unter dem Gesichtspunkt der von der Antragsgegnerin angeführten Urteile des BVerwG vom 16.April 2025 - 1 C 18.24 und 1 C 19.24 - ist eine erhebliche Änderung der Sach- oder Rechtslage nicht erkennbar. Eine neue höchstrichterliche Rechtsprechung stellt für sich genommen gerade keine Änderung der Sach- oder Rechtslage dar.
(Leitsätze der Redaktion)
[...]
Das Bundesamt hat in Ziffer 1 des in der Hauptsache angefochtenen Bescheids den Asylantrag des Antragstellers nach § 29 Abs. 1 Nr. 2 AsylG als unzulässig abgelehnt. Ob diese Entscheidung einer rechtlichen Überprüfung standhält, unterliegt derzeit jedoch ernstlichen Zweifeln und bedarf gegebenenfalls näherer Aufklärung im Hauptsacheverfahren. Zwar ergibt sich aus dem im Verwaltungsvorgang des Bundesamtes befindlichen EURODAC-Ergebnis zweifelsfrei, dass – wie auch der Antragsteller im Rahmen seiner Anhörung im Verwaltungsverfahren am 22. Mai 2023 dem Grunde nach selbst angegeben hat – dem in Griechenland gestellten Antrag des Antragstellers auf Gewährung internationalen Schutzes durch die dortige Asylbehörde am 10. Juni 2022 entsprochen worden ist und damit die Voraussetzungen für eine Unzulässigkeitsentscheidung nach § 29 Abs. 1 Nr. 2 AsylG grundsätzlich vorliegen.
Ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit der Unzulässigkeitsentscheidung folgen aber aus § 121 Nr. 1 VwGO. Nach dieser Vorschrift binden rechtskräftige Urteile die Beteiligten und ihre Rechtsnachfolger, soweit über den Streitgegenstand entschieden worden ist. Soweit der personelle und sachliche Umfang der Rechtskraft reicht, ist die im Vorprozess unterlegene Behörde bei unveränderter Sach- und Rechtslage nach dieser Vorschrift also insbesondere gehindert, einen neuen Verwaltungsakt aus den vom Gericht missbilligten Gründen zu erlassen (vgl. BVerwG, Urteile vom 28. Januar 2010 - 4 C 6.08 -, juris, Rn. 11, und vom 8. Dezember 1992 - 1 C 12.92 -, juris, Rn. 12).
Dabei ist anerkannt, dass die Rechtskraftwirkung unabhängig davon besteht, ob das rechtskräftig gewordene Urteil die seinerzeit bestehende Sach- und Rechtslage erschöpfend und zutreffend gewürdigt hat (vgl. BVerwG, Urteile vom 18. September 2001 - 1 C 7.01 -, juris, Rn. 13, vom 24. November 1998 - 9 C 53.97 -, juris, Rn. 11, vom 8. Dezember 1992, - 1 C 12.92 -, juris, Rn. 12).
Selbst unrichtige Urteile entfalten Rechtskraftwirkung (vgl. BVerwG, Urteil vom 18. September 2001 - 1 C 7.01 -, juris, Rn. 13).
Eine Befreiung von der Rechtskraftwirkung tritt nicht allein deshalb ein, weil sich nachträglich neue Erkenntnisse über zum maßgeblichen Zeitpunkt bereits vorhandene Tatsachen ergeben, ein alter Sachverhalt neu gewürdigt wird oder mittlerweile eine neue oder geänderte ober- oder höchstrichterliche Rechtsprechung vorliegt (vgl. BVerwG, Urteil vom 18. September 2001 - 1 C 7.01 -, juris, Rn. 13).
Auch lässt nicht jegliche nachträgliche Änderung der Verhältnisse die Rechtskraftwirkung eines Urteils entfallen. Erforderlich ist vielmehr eine entscheidungserhebliche Änderung der Sach- oder Rechtslage (vgl. BVerwG, Beschluss vom 3. November 1993 - 4 NB 33.93 – juris, Rn. 3).
Gerade im Asylrecht liefe ansonsten die Rechtskraftwirkung nach § 121 VwGO weitgehend leer. Eine Lösung der Bindung an ein rechtskräftiges Urteil kann daher nur eintreten, wenn die nachträgliche Änderung der Sach- bzw. Rechtslage entscheidungserheblich ist (vgl. BVerwG, Urteile vom 18. September 2001 - 1 C 7.01 -, juris, Rn. 10, vom 8. Dezember 1992 - 1 C 12.92 -, juris, Rn. 13, vom 23. November 1999 - 9 C 16/99 -, juris, Rn. 16).
Dabei liegt eine solche erhebliche Änderung der Sachlage jedenfalls im Asylrecht nur dann vor, wenn nach dem für das rechtskräftige Urteil maßgeblichen Zeitpunkt neue für die Streitentscheidung erhebliche Tatsachen eingetreten sind, die sich so wesentlich von den früher maßgeblichen Umständen unterscheiden, dass auch unter Berücksichtigung des Zwecks der Rechtskraft eines Urteils eine erneute Sachentscheidung durch die Verwaltung oder ein Gericht gerechtfertigt ist. Die Rechtskraft dient dem Rechtsfrieden und der Rechtssicherheit (vgl. BVerwG, Urteile vom 18. September 2001 - 1 C 7.01 -, juris, Rn. 10, vom 8. Dezember 1992 - 1 C 12.92 -, juris, Rn. 13).
Zweck des § 121 VwGO ist es, zu verhindern, dass die aus einem festgestellten Tatbestand hergeleitete Rechtsfolge, über die durch Urteil entschieden worden ist, bei unveränderter Sach- oder Rechtslage erneut – mit der Gefahr unterschiedlicher Ergebnisse – zum Gegenstand eines Verfahrens zwischen denselben Beteiligten gemacht wird (vgl. BVerwG, Urteile vom 18. September 2001 - 1 C 7.01 -, juris, Rn. 10, und vom 24. November 1998 - 9 C 53/97 -, juris, Rn. 12).
Eine von der Rechtskraftbindung des früheren Urteils befreiende entscheidungserhebliche Änderung der Sachlage liegt danach dann vor, wenn es für die geltend gemachte Rechtsfolge um die rechtliche Bewertung eines jedenfalls in wesentlichen Punkten neuen Sachverhalts geht, zu dem die rechtskräftige Entscheidung – auch unter Berücksichtigung ihrer Rechtsfrieden und Rechtssicherheit stiftenden Funktion – keine verbindlichen Aussagen mehr enthält (vgl. BVerwG, Urteil vom 18. September 2001 - 1 C 7.01 -, juris, Rn. 10 f.; OVG NRW, Beschlüsse vom 27. September 2023 - 5 B 757/23 -, juris, Rn. 34, vom 18. November 2010 - 13 B 659/10 - , juris, Rn. 23, und vom 20. Mai 2010 - 13 B 170/10 -, juris, Rn. 13).
Ausgehend davon ist in demgemäß § 77 Abs. 1 Satz 1 AsylG maßgeblichen Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung ernstlich zweifelhaft, ob die Antragsgegnerin die der Abschiebungsandrohung zugrundeliegende Unzulässigkeitsentscheidung in Ziffer 1 des in der Hauptsache angegriffenen Bescheides erlassen durfte. Denn mit Bescheid vom 2. November 2023 hatte die Antragsgegnerin den Asylantrag des Antragstellers unter Verweis den ihm in Griechenland zuerkannten internationalen Schutz schon einmal als unzulässig abgelehnt. Diese Unzulässigkeitsentscheidung hat das beschließende Gericht mit rechtskräftigem Urteil vom 26. Juli 2024 - 10 K 2492/23.A - aufgehoben. [...]