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OVG Niedersachsen

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Zitieren als:
OVG Niedersachsen, Urteil vom 05.06.2025 - 13 LB 259/23 - asyl.net: M33433
https://www.asyl.net/rsdb/m33433
Leitsatz:

Das Stufenmodell zur Identitätsklärung ist auch im Aufenthaltsrecht anwendbar:

1. Die Aufenthaltserlaubnis für Kinder (§ 34 AufenthG) kann gemäß § 34 Abs. 3 AufenthG im Ermessen der zuständigen Behörde verlängert werden. Die einzige tatbestandliche Voraussetzung für die Verlängerung ist, dass bereits eine Aufenthaltserlaubnis nach § 34 Abs. 1 AufenthG erteilt wurde. 

2. Das vom Bundesverwaltungsgericht im Staatsangehörigkeitsrecht für die Prüfung der Identität nach § 10 Abs. 1 Satz 1 StAG entwickelte Stufenmodell ist auch im Aufenthaltsrecht heranzuziehen und findet auf die nach § 5 Abs. 1 Nr. 1a AufenthG erforderliche Identitätsklärung entsprechende Anwendung.

(Leitsätze der Redaktion, Bezug nehmend auf: BVerwG, Urteil vom 23.09.2020 - 1 C 36.19 - asyl.net: M29222

 

Schlagwörter: Aufenthaltserlaubnis, Identitätsfeststellung, Identitätsklärung, Stufenmodell, Irak; Staatsangehörigkeitsrecht; Vertrauensanwalt
Normen: AufenthG § 34 Abs. 3; AufenthG § 5 Abs. 1 Nr. 1a; AufenthG § 5 Abs. 1 Nr. 4; StAG § 10 Abs. 1 S. 1
Auszüge:

[...]

b) Die Klägerin erfüllt auch die in § 34 Abs. 3 AufenthG bestimmten tatbestandlichen Voraussetzungen für eine Verlängerung dieser Aufenthaltserlaubnis.

Gemäß § 34 Abs. 1 AufenthG ist die einem Kind erteilte Aufenthaltserlaubnis abweichend von § 5 Abs. 1 Nr. 1 und § 29 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG zu verlängern, solange ein personensorgeberechtigter Elternteil eine Aufenthaltserlaubnis, Niederlassungserlaubnis oder eine Erlaubnis zum Daueraufenthalt-EU besitzt und das Kind mit ihm in familiärer Lebensgemeinschaft lebt oder das Kind im Falle seiner Ausreise ein Wiederkehrrecht gemäß § 37 AufenthG hätte.

Mit Eintritt der Volljährigkeit wird nach § 34 Abs. 2 Satz 1 AufenthG die einem Kind erteilte Aufenthaltserlaubnis zu einem eigenständigen, vom Familiennachzug unabhängigen Aufenthaltsrecht, wobei nach Satz 2 das Gleiche gilt bei Erteilung einer Niederlassungserlaubnis und der Erlaubnis zum Daueraufenthalt-EU oder wenn die Aufenthaltserlaubnis in entsprechender Anwendung des § 37 AufenthG verlängert wird. § 34 Abs. 2 AufenthG bestimmt dabei eine kraft Gesetzes eintretende Rechtsfolge, wenn ein Ausländer, der eine für den Kindernachzug erteilte Aufenthaltserlaubnis (§ 32, § 34 Abs. 1 AufenthG) besitzt, volljährig wird. § 34 Abs. 2 AufenthG ist keine Anspruchsgrundlage für die Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis, sondern regelt nur einen Interimszeitraum (bis zum Ablauf der umgewandelten Aufenthaltserlaubnis) unter Wahrung der Privilegien des § 34 Abs. 1 AufenthG [...]. § 34 Abs. 2 AufenthG verhilft daher zwar zu einem eigenständigen, vom Familiennachzug unabhängigen Aufenthaltsrecht. Er beinhaltet selbst aber keinen unmittelbaren Rechtsanspruch auf Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis.

Gemäß § 34 Abs. 3 AufenthG kann die Aufenthaltserlaubnis verlängert werden, solange die Voraussetzungen für die Erteilung der Niederlassungserlaubnis und der Erlaubnis zum Daueraufenthalt-EU noch nicht vorliegen. Ergibt sich - wie hier - ein Anspruch auf Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis nicht aus § 34 Abs. 1 i.V.m. § 37 AufenthG oder § 35 AufenthG, so steht die Verlängerung gemäß § 34 Abs. 3 AufenthG im Ermessen der Ausländerbehörde.

Einzige tatbestandliche Voraussetzung für eine (weitere) Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis nach § 34 Abs. 3 AufenthG ist danach die wirksame Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 34 Abs. 1 AufenthG, deren gesetzliche Fortgeltung als eigenständiges Aufenthaltsrecht nach § 34 Abs. 2 AufenthG oder eine bereits erfolgte wirksame Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis nach § 34 Abs. 3 AufenthG. [...]

c) Die Klägerin erfüllt derzeit aber die allgemeinen Regelerteilungsvoraussetzungen des § 5 Abs. 1 Nr. 1a und Nr. 4 AufenthG nicht.

aa) Die Identität der Klägerin ist nicht im Sinne des § 5 Abs. 1 Nr. 1a AufenthG geklärt.

Die Regelerteilungsvoraussetzung geklärter Identität und Staatsangehörigkeit in § 5 Abs. 1 Nr. 1a AufenthG, mit der die Aufklärungspflicht der Ausländerbehörde (§ 49 Abs. 3 AufenthG) und eine entsprechende Mitwirkungspflicht des Ausländers (§ 49 Abs. 2 AufenthG) korrespondieren, ist Ausdruck des gewichtigen öffentlichen Interesses an der Individualisierung der Person, die einen Aufenthaltstitel begehrt. Im Gesetzgebungsverfahren kommt das sicherheitsrechtlich motivierte Anliegen der notwendigen Identifizierung des Ausländers vor der Legalisierung seines Aufenthalts deutlich zum Ausdruck. Denn zur Begründung des § 5 Abs. 1 Nr. 1a AufenthG wurde im Innenausschuss des Bundestags darauf abgestellt, dass es nicht zuletzt vor dem Hintergrund der Terroranschläge des 11. September 2001 und des weltweit agierenden Terrorismus nicht angehen könne, dass Personen, die an der Klärung ihrer Identität nicht mitwirken, der Zugang zu einem Aufenthaltstitel geebnet wird [...]. Der Zweck der Vorschrift und ihre systematische Stellung als vor die Klammer gezogene Regelerteilungsvoraussetzung belegen, dass das öffentliche Interesse an der Identifizierung des Ausländers und Klärung seiner Rückkehrberechtigung in das Herkunftsland nicht davon abhängt, ob die Möglichkeit einer Aufenthaltsbeendigung besteht oder nicht (BVerwG, Beschl. v. 7.5.2013 - BVerwG 1 B 2.13 -, juris Rn. 4; vgl. auch Fleuß, ZAR 2021, 156, wonach im Staatsangehörigkeitsrecht der Zweck der Identitätsklärung auch in der Verhinderung einer neuen Identität liegt).

Die Identitätsklärung i.S.d. § 5 Abs. 1 Nr. 1a AufenthG beinhaltet die Klärung sowohl der Personalien als auch der historischen Identität, mithin den Nachweis der in Deutschland gängigen Personaldaten wie Vorname und Name sowie Geburtsdatum und Geburtsort sowie die Klärung der Frage, ob der Ausländer dieselbe Person ist, zu der bereits ein Vorgang vorliegt. Es muss Gewissheit über die Person hergestellt und einer Verwechselungsgefahr entgegengewirkt werden [...].

Grundlage der Identitätsklärung ist regelmäßig ein gültiger Pass oder ein anderes gültiges amtliches Ausweisdokument [...]. Dabei ist aber das vom Bundesverwaltungsgericht zur Identitätsklärung i.S.d. § 10 Abs. 1 Satz 1 StAG im Staatsangehörigkeitsrecht entwickelte Stufenmodell [...], wie es bereits das Verwaltungsgericht angenommen hat (vgl. S. 6 des Urteilsabdrucks), auch auf die Identitätsklärung im Aufenthaltsrecht nach § 5 Abs. 1 Nr. 1a AufenthG übertragbar [...].

Für eine solche Übertragung des für § 10 Abs. 1 Satz 1 StAG entwickelten Stufenmodells zur Klärung der Identität eines Ausländers auf § 5 Abs. 1 Nr. 1a AufenthG spricht bereits der gleiche Wortlaut der Normen, die für die Erteilung eines Aufenthaltstitels bzw. für die Einbürgerung eine geklärte Identität voraussetzen. Das gesetzgeberische Interesse ist dasselbe, nämlich die Wahrung gewichtiger sicherheitsrechtlicher Belange der Bundesrepublik Deutschland. Hierzu führt das Bundesverwaltungsgericht in seinem Urteil vom 23. September 2020 [...] aus:

"Mit dem Erfordernis der Identitätsklärung verfolgt der Gesetzgeber wie schon im Ausländerrecht (vgl. BT-Drs. 15/955 S. 7) auch im Staatsangehörigkeitsrecht eine sicherheitsrechtliche Zielsetzung. Die identitätsrelevanten Personalien sind Grundlage für die Prüfung des Vorliegens einer Reihe weiterer Einbürgerungsmerkmale.Mit dem Wirksamwerden der Einbürgerung (vgl. § 16 Satz 1 StAG) wird einer bestimmten Person mit einer in der Einbürgerungsurkunde festgehaltenen Identität konstitutiv eine neue Staatsangehörigkeit verliehen. Das öffentliche Interesse daran zu verhindern, dass einer Person eine vollkommen neue Identität oder eine zusätzliche Alias-Identität verschafft und ihr dadurch die Möglichkeit eröffnet wird, im Rechtsverkehr mit mehreren unterschiedlichen Identitäten und amtlichen Ausweispapieren aufzutreten, gebietet es, die identitätsrelevanten Personalien einer sorgfältigen Überprüfung mit dem Ziel einer Richtigkeitsgewähr zu unterziehen [...].

Die Feststellung der Identität des Ausländers ist zudem Ausgangs- und Anknüpfungspunkt für die Prüfung des Vorliegens einer Reihe von Einbürgerungsvoraussetzungen. Zum einen stellt sie einen regelmäßig unverzichtbaren Teil der in § 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 StAG vorgesehenen Statusprüfung dar. Zum anderen bildet die Identitätsprüfung auch eine notwendige Voraussetzung der in § 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 5 i.V.m. § 12a StAG und § 11 StAG vorgesehenen Sicherheitsüberprüfung [...]."

Hinzu kommt, dass der Einbürgerung eines Ausländers in den deutschen Staatsverband typischerweise der Besitz einer Niederlassungserlaubnis oder eines vergleichbaren langfristigen Aufenthaltstitels vorausgeht (vgl. § 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 StAG). Es ließe sich nur schwer begründen, weshalb bei der Erteilung eines (in der Gültigkeitsdauer beschränkten) Aufenthaltstitels andere bzw. strengere Anforderungen an die Identitätsklärung gelten sollten als bei einer (dauerhaften) Einbürgerung. Dass auch im Rahmen eines Einbürgerungsverfahrens eine Identitätsprüfung stattfindet, spricht nicht dagegen, die Identität des Ausländers nach den gleichen Maßstäben bereits im Rahmen des § 5 Abs. 1 Nr. 1a AufenthG im aufenthaltsrechtlichen Erlaubnisverfahren zu prüfen [...]. 

Die sachliche Rechtfertigung für die Entwicklung des Stufenmodells im Staatsangehörigkeitsrecht gilt gleichsam im Aufenthaltsrecht. Diese liegt darin, dass es bis zur Grenze der objektiven Möglichkeit und subjektiven Zumutbarkeit mitwirkenden Einbürgerungsbewerbern auch dann möglich bleiben muss, ihre Identität nachzuweisen, wenn sie sich in einer Beweisnot befinden, etwa weil deren Herkunftsländer nicht über ein funktionierendes Personenstandswesen verfügen oder ihre Mitwirkung aus Gründen versagen, die der Ausländer nicht zu vertreten hat, oder weil diese als schutzberechtigte Flüchtlinge besorgen müssen, dass eine auch nur technische Kontaktaufnahme mit Behörden des Herkunftslandes Repressalien für Dritte zur Folge hätte. Unter dem Gesichtspunkt eines zukunftsgerichteten Entfaltungsschutzes als Grundbedingung menschlicher Persönlichkeit gebietet es das in Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG verankerte allgemeine Persönlichkeitsrecht, dass Einbürgerungsbewerber, die sich aller Voraussicht nach dauerhaft in Deutschland aufhalten werden, eine realistische Chance auf Klärung ihrer Identität haben müssen [...]. Zwar besteht für Ausländer, die eine Aufenthalts- oder Niederlassungserlaubnis beantragen, nicht zwingend eine Aussicht, sich dauerhaft in der Bundesrepublik aufhalten zu dürfen, was dafür sprechen könnte, das Stufenmodell im Aufenthaltsrecht nicht heranzuziehen. Diese Sichtweise würde allerdings praktisch dazu führen, dass das Stufenmodell des Bundesverwaltungsgerichts leerliefe. Denn die Erteilung einer Aufenthalts- bzw. Niederlassungserlaubnis geht der Einbürgerung regelmäßig voraus. Gelingt es dem Ausländer ohne Heranziehung des Stufenmodells im Aufenthaltsrecht aber schon nicht, seine für die Erlangung eines Aufenthaltstitels erforderliche Identität zu klären, kommt er von vorneherein regelmäßig nicht in den Genuss einer Einbürgerung.

Nach dem Stufenmodell hat der Ausländer den Nachweis seiner Identität zuvörderst und in der Regel durch Vorlage eines Passes, hilfsweise auch durch einen anerkannten Passersatz oder ein anderes amtliches Identitätsdokument mit Lichtbild (z.B. Personalausweis oder Identitätskarte) zu führen. Ist er nicht im Besitz eines solchen amtlichen Identitätsdokuments und ist ihm dessen Erlangung objektiv nicht möglich oder subjektiv nicht zumutbar, so kann er seine Identität auch mittels anderer geeigneter amtlicher Urkunden nachweisen, bei deren Ausstellung Gegenstand der Überprüfung auch die Richtigkeit der Verbindung von Person und Name ist, sei es, dass diese mit einem Lichtbild versehen sind (z.B. Führerschein, Dienstausweis oder Wehrpass), sei es, dass sie ohne ein solches ausgestellt werden (z.B. Geburtsurkunden, Melde-, Tauf- oder Schulbescheinigungen). Dokumenten mit biometrischen Merkmalen kommt insoweit ein höherer Beweiswert zu als solchen ohne diese Merkmale. Ist der Ausländer auch nicht im Besitz solcher sonstigen amtlichen Dokumente und ist ihm deren Erlangung objektiv nicht möglich oder subjektiv nicht zumutbar, so kann er sich zum Nachweis seiner Identität sonstiger nach § 26 Abs. 1 Satz 1 und 2 VwVfG zugelassener Beweismittel bedienen. Hierzu zählen insbesondere nichtamtliche Urkunden oder Dokumente, die geeignet sind, die Angaben zu seiner Person zu belegen, gegebenenfalls auch Zeugenaussagen. Ist dem Ausländer auch ein Rückgriff auf sonstige Beweismittel im Sinne des § 26 Abs. 1 Satz 1 und 2 VwVfG objektiv nicht möglich oder subjektiv nicht zumutbar, so kann seine Identität ausnahmsweise allein auf der Grundlage seines Vorbringens als nachgewiesen anzusehen sein, sofern die Angaben zur Person auf der Grundlage einer umfassenden Würdigung der Umstände des Einzelfalles und des gesamten Vorbringens des Einbürgerungsbewerbers zur Überzeugung der Einbürgerungsbehörde feststehen. [...]