Kein Folgeantrag bei Einstellung des Erstverfahrens:
Ein Asylfolgeantrag liegt nicht vor, wenn das Erstverfahren eingestellt wurde und eine inhaltliche Prüfung nicht stattgefunden hat.
(Leitsatz der Redaktion)
[...]
I. In Bezug auf die Antragstellerin zu 2) hat das Bundesamt den als Folgeantrag nach § 71 Abs. 1 AsylG eingestuften Asylantrag der Antragstellerin rechtsfehlerhaft nach § 30 Abs. 1 Nr. 8 AsylG als offensichtlich unbegründet abgelehnt (1.). Die Ablehnung kann auch nicht auf eine andere Rechtsgrundlage gem. § 30 Abs. 1 AsylG gestützt werden (2.).
1. Nach § 30 Abs. 1 Nr. 8 AsylG ist ein unbegründeter Asylantrag als offensichtlich unbegründet abzulehnen, wenn der Ausländer einen Folgeantrag (§ 71 Abs. 1 AsylG) oder einen Zweitantrag (§ 71a Abs. 1 AsylG) gestellt hat und ein weiteres Asylverfahren durchgeführt wurde. Diese Voraussetzungen liegen hier nicht vor. Ein Zweitantrag liegt nicht vor, da nichts dafür ersichtlich ist, dass zuvor bereits ein Asylverfahren des Antragstellers in einem sicheren Drittstaat erfolglos abgeschlossen worden ist. Entgegen der Auffassung der Antragsgegnerin liegt auch kein Folgeantrag im genannten Sinne vor. [...]
Voraussetzung für die Annahme einer Rücknahme oder unanfechtbarer Ablehnung eines früheren Asylantrages im Sinne dieser Vorschrift ist allerdings, dass in diesem Rahmen eine materielle Prüfung des Schutzbegehrens des Antragstellers durchgeführt worden ist. Ein Folgeantrag liegt dagegen nicht vor, wenn im früheren Verfahren (nur) eine Entscheidung über die Zuständigkeit zur Durchführung des Asylverfahrens getroffen wurde, ohne dass eine sachliche Prüfung des Schutzbegehrens erfolgt ist (vgl. BVerwG, Urteil vom 17.08.2021 – 1 C 55.20 –, juris, Rn. 18; VG Minden, Urteil vom 22.02.2023 – 1 K 4557/21.A –, juris, Rn. 69 ff., 82, m. w. N.; a. A. siehe Dickten, in: BeckOK AuslR, Stand 01.10.2024, § 71 AsylG Rn. 5a, m. w. N.).
Gleiches gilt, wenn gar keine Prüfung durchgeführt wurde, weil das Verfahren eingestellt wurde.
Dieses Verständnis folgt aus den auch für die Auslegung des nationalen Rechts bedeutsamen Begriffsbestimmungen des Art. 2 Buchstabe e) und q) der Richtlinie 2013/32/EU. Danach ist ein "Folgeantrag" nur ein solcher, der auf internationalen Schutz abzielt und dem bereits eine bestandskräftige Entscheidung vorausgegangen ist. Eine "bestandskräftiger Entscheidung" liegt wiederum nur vor, wenn über die Flüchtlingseigenschaft oder den subsidiären Schutz in der Sache entschieden wurde. Wird ein Asylantrag allerdings gem. § 29 Abs. 1 AsylG als unzulässig abgewiesen, so liegt darin keine Prüfung des internationalen Schutzes (vgl. VG Düsseldorf, Beschluss vom 24.10.2024 – 15 L 2751/24.A –, juris, Rn. 13 ff.).
Auch die nationalen Regelungen der §§ 71 Abs. 1 und 30 Abs. 1 AsylG spiegeln dieses Verständnis wieder. Schon das Wort "durchzuführen" in § 71 Abs. 1 AsylG legt eine materielle Prüfung nahe. Ein weiteres Asylverfahren muss danach aber auch nur durchgeführt werden, wenn neue Elemente oder Erkenntnisse zu Tage treten. Die Regelung zielt somit auf eine Prüfung in der Sache ab, da neue Erkenntnisse die Beurteilung der Flüchtlingseigenschaft bzw. des subsidiären Schutzes betreffen. Eine solche Prüfung kann aber nur dann "erneut" durchgeführt werden, wenn sie bereits zuvor durchgeführt wurde. [...]
II. In Bezug auf die Antragstellerin zu 1) ist die Abschiebungsandrohung rechtswidrig, da ihr familiäre Bindungen (§ 34 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 AsylG) entgegenstehen. Durch die Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage der Antragstellerin zu 2) gilt für diese gem. § 55 Abs. 1 AsylG ein befristetes Bleiberecht für die Zwecke der Durchführung ihres Asylverfahrens in Deutschland. Dadurch entsteht automatisch ein inlandsbezogenes Abschiebungshindernis für die Antragstellerin zu 1) aufgrund der familiären Bindung zu ihrer Tochter. Dies ist aufgrund der am 27.02.2024 in Kraft getretenen, durch das Gesetz zur Verbesserung der Rückführung (Rückführungsverbesserungsgesetz) vorgenommenen Änderungen in § 34 AsylG in Umsetzung entsprechender EuGH-Rechtsprechung nunmehr auch im nationalen Gerichtsverfahren zu überprüfen. [...]