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VG Aachen

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Zitieren als:
VG Aachen, Urteil vom 03.07.2025 - 4 K 2551/23.A - asyl.net: M33487
https://www.asyl.net/rsdb/m33487
Leitsatz:

Keine Umdeutung der Ablehnung eines Asylantrages bei ungünstigeren Rechtsfolgen:  

1. Die Unzulässigkeitsgründe des § 29 Abs. 1 Nr. 2 - 5 AsylG sind zwingendes Recht und von Amts wegen zu prüfen. Dies gilt auch für den Fall, in dem das BAMF über einen Asylantrag in der Sache entschieden hat und die Ablehnung als unbegründet erfolgt ist und nicht als unzulässig. 

2. In einem solchen Fall fehlt einem Antrag auf Feststellung von Abschiebungsverboten gemäß § 60 Abs. 5 oder 7 S. 1 AufenthG das Rechtsschutzbedürfnis. Die Anerkennung als Flüchtling in einem anderen EU-Mitgliedstaat steht einer Abschiebung ins Herkunftsland bereits entgegen. 

3. Eine Umdeutung der Ablehnung des Asylantrages von unbegründet in unzulässig kommt nicht in Betracht. Die Folgen einer Umdeutung von unbegründet in unzulässig wären allein wegen der damit verbundenen Ausreisefrist ungünstiger. 

(Leitsätze der Redaktion)

Schlagwörter: Griechenland, internationaler Schutz in EU-Staat, Umdeutung, Rechtskraft, Unzulässigkeit,
Normen: AsylG § 29 Abs. 1 Nr. 2 - 5, VwVfG § 47 Abs. 1 d
Auszüge:

[...]

Die Klage hat nur in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang Erfolg. Die auf die Zuerkennung internationalen Schutzes gerichteten Verpflichtungsanträge sind unbegründet (I.). Der Antrag auf Feststellung eines Abschiebungsverbots bezüglich des Iraks ist unzulässig (II.). Da das Bundesamt über den Asylantrag zu Unrecht in der Sache entschieden hat, ist der streitgegenständliche Bescheid jedoch aufzuheben (III.).

I. Der Kläger hat nach der Sach- und Rechtslage zum nach § 77 Abs. 1 Satz 1 AsylG maßgeblichen Zeitpunkt keinen Anspruch auf die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft bzw. des subsidiären Schutzstatus, da sein Asylantrag gemäß § 29 Abs. 1 Nr. 2 AsylG unzulässig ist. Die in § 29 Abs. 1 Nr. 2 bis 5 AsylG geregelten (echten) Unzulässigkeitsgründe sind zwingendes Recht und ihre Voraussetzungen von Amts wegen zu prüfen, selbst wenn das Bundesamt den Asylantrag - wie im vorliegenden Fall - in der Sache beschieden hat (vgl. Bundesverwaltungsgericht (BVerwG), Urteil vom 25. April 2019 - 1 C 28.18 -, juris, Rn. 13; Oberverwaltungsgericht (OVG) Greifswald, Urteil vom 17. März 2025 - 4 LB 474/23 OVG -, juris, Rn. 25; Verwaltungsgericht (VG) Hamburg, Urteil vom 15. Mai 2025 - 8 A 5539/23 -, juris, Rn. 19). [...]

II. Für den Antrag auf Feststellung eines Abschiebungsverbots gemäß § 60 Abs. 5 oder 7 Satz 1 AufenthG bezüglich des Iraks fehlt dem Kläger das erforderliche Rechtsschutzbedürfnis, da er bereits gemäß § 60 Abs. 1 AufenthG vor einer Abschiebung in den Irak geschützt ist. [...]

III. Der in den Klageanträgen als Minus enthaltene Anfechtungsantrag hat Erfolg.

1. Er ist insgesamt zulässig, insbesondere besteht auch für die Aufhebung der Ablehnung des Asylantrags als unbegründet ein Rechtsschutzbedürfnis. Dem mit einem Verpflichtungsbegehren verbundenen Antrag auf Aufhebung eines Ablehnungsbescheids kommt in der Regel keine selbständige Bedeutung zu; dies gilt jedenfalls dann, wenn die Aufhebung nur dazu dient, die der Verpflichtung formell entgegenstehenden Verwaltungsakte (ex nunc) zu beseitigen. Anders verhält es sich aber, wenn der Kläger ein besonderes Rechtsschutzinteresse an der Aufhebung (ex tunc) des ablehnenden Bescheides hat, etwa weil die mit dem Bescheid verbundene Beschwer nur so abgewendet werden kann (vgl. BVerwG, Urteile vom 19. Mai 1987 - 1 C 13.84 -, juris, Rn. 21, vom 29. März 1996 - 1 C 28.94 -, juris, Rn. 13 und vom 26. April 1968 - 6 C 104.63 -, juris, Rn. 41; siehe auch: OVG NRW, Urteil vom 3. Oktober 1978 - 15 A 1927/75 -, NJW 1979, 1057 (1058); VG Düsseldorf, Urteil vom 26. April 2021 - 29 K 10078/18.A -, juris, Rn. 46; Pietzcker/Marsch, in: Schoch/Schneider (Hrsg.), Verwaltungsrecht, § 42 Abs. 1 VwGO, Stand: August 2024; Riese, ebenda, § 113 VwGO, Rn. 198). 

So liegt der Fall hier. Die Ablehnung des Asylantrags als unbegründet nach inhaltlicher Prüfung ist gegenüber der nach den vorstehenden Ausführungen zum Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung eigentlich gebotenen Ablehnung gemäß § 29 Abs. 1 Nr. 2 AsylG als unzulässig mit einer zusätzlichen Beschwer verbunden (a.A.: VG Cottbus, Urteil vom 27. November 2024 - 5 K 2734/17.A -, juris, Rn. 22).

Würde die streitgegenständliche Ablehnung des Asylantrags als unbegründet bestandskräftig, wäre jeder weitere Asylantrag als Folgeantrag i. S. d. § 71 Abs. 1 AsylG anzusehen. Dies hätte nicht nur zur Folge, dass ein weiteres Asylverfahren nur unter den einschränkenden Voraussetzungen des § 71 Abs. 1 bis 3 AsylG durchzuführen wäre. Selbst nach Durchführung eines Asylverfahrens wäre der weitere Asylantrag - für den Fall, dass er unbegründet wäre - nach § 30 Abs. 1 Nr. 8 AsylG in der Fassung des Gesetzes zur Verbesserung der Rückführung vom 21. Februar 2024 (BGBl. I 2024, Nr. 54, S. 1-14) zwingend als offensichtlich unbegründet abzulehnen.

Hätte das Bundesamt den Asylantrag nach § 29 Abs. 1 Nr. 2 AsylG als unzulässig abgelehnt, wäre ein weiterer Asylantrag demgegenüber nicht als Folgeantrag i.S.d. § 71 AsylG anzusehen. Denn die unanfechtbare Ablehnung eines früheren Asylantrags i. S. d. § 71 Abs. 1 AsylG setzt voraus, dass bereits eine sachliche Prüfung des Schutzbegehrens erfolgt ist (vgl. BVerwG, Urteil vom 17. August 2021 - 1 C 55.20 -, juris, Rn. 18 bei einer vorhergehenden Entscheidung nach § 29 Abs. 1 Nr. 1a AsylG). [...]

2. Der Anfechtungsantrag ist auch begründet.

a. Die Ablehnung des Asylantrags des Klägers als unbegründet ist rechtswidrig und verletzt ihn in seinen Rechten, § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO.

Das Bundesamt war nach den vorstehenden Ausführungen nicht berechtigt, den Asylantrag als unbegründet abzulehnen.

Auch eine Umdeutung gemäß § 47 Abs. 1 des Verwaltungsverfahrensgesetzes (VwVfG) der getroffenen Entscheidung in eine solche nach § 29 Abs. 1 Nr. 2 AsylG kommt nicht in Betracht. Nach § 47 Abs. 1 VwVfG kann ein fehlerhafter Verwaltungsakt in einen anderen Verwaltungsakt umgedeutet werden, wenn er auf das gleiche Ziel gerichtet ist, von der erlassenden Behörde in der geschehenen Verfahrensweise und Form rechtmäßig hätte erlassen werden können und wenn die Voraussetzungen für dessen Erlass erfüllt sind. Nach § 47 Abs. 2 VwVfG gilt Absatz 1 gilt nicht, wenn der Verwaltungsakt, in den der fehlerhafte Verwaltungsakt umzudeuten wäre, der erkennbaren Absicht der erlassenden Behörde widerspräche oder seine Rechtsfolgen für den Betroffenen ungünstiger wären als die des fehlerhaften Verwaltungsaktes. Eine Umdeutung ist ferner unzulässig, wenn der fehlerhafte Verwaltungsakt nicht zurückgenommen werden dürfte. Zur Umdeutung sind - bei Vorliegen der Voraussetzungen des § 47 VwVfG - nicht nur die Behörden, sondern auch die Verwaltungsgerichte ermächtigt (vgl. BVerwG, Urteil vom 17. Juni 2020 - 1 C 35.19 -, juris, Rn. 16). 

Bei der Frage, ob die Rechtsfolgen des anderen Verwaltungsakts für den Betroffenen ungünstiger wären, sind nicht nur die unmittelbaren, sondern auch die mittelbaren Rechtsfolgen der Entscheidung in den Blick zu nehmen (vgl. BVerwG, Urteil vom 16. November 2015 - 1 C 4.15 -, juris, Rn. 32; OVG NRW, Beschluss vom 13. März 2020 - 11 A 3925/19.A -, juris, Rn. 10; VGH Kassel, Beschluss vom 1. September 2017 - 4 A 2987/16.A -, juris, Rn. 68; OVG Schleswig, Urteil vom 7. November 2019 - 1 LB 5/19 -, juris, Rn. 73; OVG Lüneburg, Beschluss vom 13. August 2020 - 10 LA 153/20 -, juris, Rn. 16).

Die mittelbaren Rechtsfolgen der Ablehnung des Asylantrags gemäß § 29 Abs. 1 Nr. 2 AsylG als unzulässig sind für den Kläger - jedenfalls auch - ungünstiger als die Folgen der hier erfolgten Ablehnung als unbegründet. Dies folgt bereits aus der jeweils zu setzenden Ausreisefrist, die im Falle einer Ablehnung als unbegründet gemäß § 38 Abs. 1 AsylG 30 Tage, im anderen in Betracht kommenden Fall gemäß § 36 Abs. 1 AsylG jedoch nur eine Woche beträgt. [...]