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VG Berlin

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Zitieren als:
VG Berlin, Urteil vom 14.07.2025 - 24 K 98/24 V - asyl.net: M33498
https://www.asyl.net/rsdb/m33498
Leitsatz:

Erlöschen einer Aufnahmezusage wegen Sicherheitsbedenken: 

1. Eine nach § 22 AufenthG (Aufnahme aus dem Ausland) erteilte Aufnahmezusage kann formlos zurückgenommen werden. Die Vorschriften für die Rücknahme und den Widerruf von Verwaltungsakten gemäß §§ 48 und 49 VwVfG finden keine Anwendung, da es sich bei der Aufnahmezusage nicht um einen Verwaltungsakt handelt. 

2. Bestehen Sicherheitsbedenken gegen Antragsteller*innen, kann die Aufnahmezusage zurückgenommen werden. 

3. Die Rücknahme einer Aufnahmezusage für eine junge Afghanin ist rechtmäßig, wenn diese bei der Sicherheitsbefragung auf die Frage nach ihrem Berufswunsch sagt, sie wolle zur Bundeswehr gehen und Pashtunen töten, um sich für die Verbrechen der Taliban an den Hazara zu rächen.

(Leitsätze der Redaktion)

Schlagwörter: Afghanistan, Aufnahmeprogramm, Sicherheitsbefragung, Sicherheitsgespräch, Aufnahmezusage,
Normen: AufenthG § 22
Auszüge:

[...]

32 Nach § 22 Satz 2 AufenthG ist eine Aufenthaltserlaubnis zu erteilen, wenn das BMI oder die von ihm bestimmte Stelle zur Wahrung politischer Interessen der Bundesrepublik Deutschland die Aufnahme erklärt hat. Damit sieht § 22 Satz 2 AufenthG eine – im Wesentlichen – gebundene Entscheidung durch die Ausländerbehörde bzw. die Auslandsvertretung vor, sofern eine Aufnahmeerklärung durch das BMI vorliegt.

33 Die Tatbestandsvoraussetzungen sind jedoch vorliegend nicht erfüllt. Eine Aufnahmeerklärung des BMI für die Klägerin liegt nicht (mehr) vor. Zwar hatte das BMI anfänglich eine solche abgegeben. Im weiteren Verlauf des Visumsverfahrens hat es diese dann jedoch gegenüber dem Auswärtigen Amt aufgrund von Sicherheitsbedenken für "ungültig und erloschen" erklärt.

34 Die Entscheidung des BMI, seine Aufnahmeerklärung zurückzuziehen, ist weder formal noch inhaltlich zu beanstanden.

35 a) Das BMI war hinsichtlich seiner Entscheidung, von der Aufnahmeerklärung Abstand zu nehmen, nicht an die Durchführung eines formellen Verfahrens gebunden.

36 Insbesondere waren die Vorgaben für die Rücknahme und den Widerruf von Verwaltungsakten gemäß §§ 48 und 49 VwVfG vorliegend nicht anwendbar. Denn bei der vom BMI am 24. Februar 2023 abgegebenen Aufnahmeerklärung handelt es sich nicht um einen Verwaltungsakt im Sinne des § 35 Satz 1 VwVfG, sondern um ein bloßes Verwaltungsinternum [...].

37 Ausgehend hiervon mangelt es der Aufnahmeerklärung des BMI vorliegend daran, dass sie nicht auf unmittelbare Rechtswirkung nach außen gerichtet ist. Eine Regelung hat eine unmittelbare Rechtswirkung nach außen, wenn durch sie der Rechtskreis – objektiv erkennbar – erweitert oder verringert bzw. die persönliche Rechtsstellung des Bürgers unmittelbar betroffen wird [...]. Dies ist vorliegend nicht der Fall. Die Aufnahmeerklärung war bereits nicht an die Klägerin selbst adressiert, sondern wurde vielmehr verwaltungsintern per E-Mail durch das BMI gegenüber dem Auswärtigen Amt, einer Behörde desselben Rechtsträgers erklärt. Über das Bestehen der Aufnahmeerklärung wurde die Klägerin sodann lediglich durch die GIZ informatorisch in Kenntnis gesetzt. Soweit die Klägerin meint, sie habe jedenfalls die Mitteilung der GIZ per E-Mail vom 3. März 2023 als Bekanntgabe eines Verwaltungsakts verstehen dürfen, ist dem nicht zu folgen. Denn diese Mitteilung war nicht so ausgestaltet, dass nach einem objektiven Empfängerhorizont davon ausgegangen werden konnte, dass damit dem Grunde nach verbindlich über ihren künftigen Aufenthalt im Bundesgebiet entschieden worden war. Vielmehr verdeutlicht der Wortlaut der E-Mail, dass durch die Aufnahmeerklärung durch das BMI (lediglich) ein Schritt im Rahmen eines mehrstufigen Verwaltungsverfahrens absolviert worden ist und in der Folge nunmehr die Visaerteilung angestrengt werden muss.

38 Etwas anderes ergibt sich auch nicht aus einem Vergleich mit § 23 Abs. 2 AufenthG. Soweit hierzu vertreten wird, eine auf dieser Rechtsgrundlage erteilte Aufnahmezusage durch das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge könne einen Verwaltungsakt darstellen, lässt sich dies nicht auf den vorliegenden Fall übertragen. Denn die Vorschriften des § 22 Satz 2 AufenthG und § 23 Abs. 2 AufenthG unterscheiden sich sowohl nach ihrem Wortlaut als auch nach ihrem Regelungsinhalt ganz wesentlich. Der in § 23 Abs. 2 Satz 1 AufenthG enthaltene Ausdruck "erteilen" wird häufig für den Erlass von Verwaltungsakten verwendet, etwa bei Aufenthaltserlaubnissen oder Genehmigungen. Auch der Begriff "Zusage" vermittelt im Gegensatz der in § 22 Satz 2 AufenthG erwähnten "Erklärung" eine höhere Verbindlichkeit. Schließlich sieht § 23 Abs. 2 Satz 2 AufenthG ausdrücklich vor, dass ein – bei der Überprüfung von Recht- und Zweckmäßigkeit von Verwaltungsakten vor Klageerhebung grundsätzlich erforderliches – Vorverfahren nach § 68 VwGO nicht stattfindet [...].

43 Gleichwohl ist zu berücksichtigen, dass eine einmal erteilte Aufnahmeerklärung einen Vertrauenstatbestand in Hinblick auf die Bejahung des politischen Interesses schafft. Dies führt indes nicht dazu, dass dem BMI nach einmal erfolgter Aufnahmezusage die Rücknahme ebendieser bei geänderten tatsächlichen Umständen stets versagt wäre. Vielmehr hat die Schaffung eines Vertrauenstatbestands durch die Abgabe einer Aufnahmeerklärung mit Blick auf Art. 19 Abs. 4 des Grundgesetzes (GG) zur Folge, dass eine verwaltungsgerichtliche Willkürkontrolle in Hinblick auf die Begründung und die Nachvollziehbarkeit des Verwaltungshandelns eröffnet ist [...]. Das Willkürverbot bildet entgegen der Auffassung der Beklagten in diesen Fällen die Grenze des weiten Beurteilungsspielraums. Willkürlich ist eine Entscheidung dann, wenn sie schlichtweg unvertretbar erscheint, weil für sie keinerlei nachvollziehbaren Gründe ersichtlich sind. Hierbei sind die Umstände des jeweiligen Einzelfalls zu berücksichtigen.

44 Ausgehend von diesem Maßstab begegnet die Abkehrentscheidung des BMI keinen rechtlichen Bedenken.

45 Das BMI durfte das Ergebnis der Sicherheitsbefragung der Klägerin zum Anlass nehmen, von seiner Aufnahmeerklärung abzurücken. Die Aufnahme von Personen, gegen die Sicherheitsbedenken bestehen, dient nachvollziehbar nicht der Wahrung politischer Interessen der Bundesrepublik Deutschland. Die Prüfung der sicherheitsrelevanten Aspekte folgte dabei beanstandungsfrei in Anlehnung an die sich aus der "Anordnung des Bundesministeriums des Innern und für Heimat gemäß § 23 Absatz 2, Absatz 3 i. V. m. § 24 Aufenthaltsgesetz (AufenthG) zur Aufnahme von besonders gefährdeten afghanischen Staatsangehörigen aus Afghanistan vom 19. Dezember 2022" (Anordnung des BMI) ergebenden Kriterien. Nach Ziffer 4 Satz 2 Buchst. b. der Anordnung des BMI sind unter anderem Personen von der Aufnahme grundsätzlich ausgeschlossen, bei denen tatsächliche Anhaltspunkte die Annahme rechtfertigen, dass sie in sonstiger Weise Bestrebungen verfolgen oder unterstützen, die gegen den Gedanken der Völkerverständigung verstoßen oder gegen das friedliche Zusammenleben der Völker gerichtet sind.

46 Das BMI ist auch in nachvollziehbarer Weise davon ausgegangen, dass tatsächliche Anhaltspunkte die Annahme rechtfertigen, dass die Klägerin Bestrebungen verfolgt, die gegen das friedliche Zusammenleben der Völker gerichtet sind. Es hat dabei die in dem Sicherheitsvotum niedergelegten Aussagen der Klägerin zugrunde gelegt, wonach die Klägerin in Deutschland eine Kampfausbildung erhalten möchte, um gegen das Volk der Paschtunen gewaltsam vorgehen zu können.

47 Den von zwei Mitarbeitern der Sicherheitsbehörden bestätigten Inhalt des Sicherheitsvotums vermochte die Klägerin nicht zur Überzeugung des Gerichts im Sinne von § 108 Abs. 1 VwGO zu entkräften. [...]

39 Stellt mithin die Aufnahmeerklärung des BMI keinen Verwaltungsakt dar, bestehen auch für die Aufhebung dieser Erklärung als actus contrarius keine gesonderten Vorgaben, sodass diese formlos möglich war. Entsprechend erging auch die Entscheidung des BMI, die Aufnahmeerklärung nicht aufrecht zu erhalten, am 6. Februar 2024 gegenüber dem Auswärtigen Amt. Die Klägerin wurde über diesen innerdienstlichen Vorgang wiederum durch die GIZ am 25. März 2024 per E-Mail lediglich in Kenntnis gesetzt.

40 b) Auch inhaltlich ist die Entscheidung des BMI, die Aufnahmeerklärung für ungültig und erloschen zu erklären, nicht zu beanstanden.

41 Bei der Abgabe der Aufnahmeerklärung nach § 22 Satz 2 AufenthG steht dem BMI ein erheblicher Beurteilungsspielraum zu. Dieser Beurteilungsspielraum der Exekutive ist einer gerichtlichen Überprüfung grundsätzlich nicht zugänglich [...]. Er wird lediglich dadurch begrenzt, dass die Aufnahmeerklärung "zur Wahrung politischer Interessen der Bundesrepublik Deutschland" ergehen muss und nicht aus anderen Gründen erfolgen darf. Ein Rechtsanspruch auf Erteilung einer Aufnahmezusage durch das BMI besteht grundsätzlich nicht. Denn § 22 Satz 2 AufenthG ist Ausdruck autonomer Ausübung staatlicher Souveränität und räumt dem BMI Handlungsbefugnisse ein, ohne einen rechtlichen Anspruch auf Erklärung einer Aufnahme Einzelner zu begründen [...]. Die Aufnahmeerklärung des BMI dient nicht dem Schutz und der Verwirklichung von Grundrechten einzelner Personen [...]. Entsprechend ist das BMI bei der Definition der besonders gelagerten politischen Interessen der Bundesrepublik Deutschland, der Festlegung der Aufnahmekriterien sowie der Auswahl der Adressaten der Aufnahmeerklärung weitgehend frei. [...]