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Zitieren als:
BVerfG, Beschluss vom 30.06.2025 - 2 BvR 1155/23 - asyl.net: M33507
https://www.asyl.net/rsdb/m33507
Leitsatz:

Wahl der falschen Rechtsgrundlage verstößt gegen das Willkürverbot: 

Die Ablehnung einer Person des Vertrauens in einem Haftbeschwerdeverfahren durch das Haftgericht erfolgt nicht nach § 10 Abs. 3 FamFG (Bevollmächtigte), sondern nach § 7 Abs. 5 FamFG (Beteiligte). Es stellt einen eklatanten Rechtsverstoß dar, wenn ein Gericht unbegründet eine falsche Rechtsgrundlage heranzieht, insbesondere wenn das Gericht auf den Fehler hingewiesen wurde und der Fehler offensichtlich ist. Denn die Norm § 10 FamFG bezieht sich auf Rechtsanwält*innen und Bevollmächtigte, ist also offensichtlich nicht auf Personen des Vertrauens anwendbar. 

(Leitsatz der Redaktion) 

Schlagwörter: Abschiebungshaft, Vertrauensperson, Person des Vertrauens, Verfassungsbeschwerde, Willkür, sofortige Beschwerde,
Normen: FamFG § 7 Abs. 5, FamFG § 10 Abs. 3, FamFG § 418, GG Art. 3 Abs. 1
Auszüge:

[...]

1 1. Der Beschwerdeführer wurde mit einem als "Vollmacht" übertitelten Schreiben vom 22. Juni 2023 unter anderem als Vertrauensperson im Sinne des Art. 104 Abs. 4 GG eines marokkanischen Staatsangehörigen benannt, gegen den das Amtsgericht am 17. Mai 2023 die Abschiebungshaft angeordnet hatte.

2 2. Als Vertrauensperson wandte sich der Beschwerdeführer an das Amtsgericht, beantragte Haftaufhebung, Akteneinsicht und die Fortsetzung des Verfahrens als Feststellungsverfahren für den Fall der Haftentlassung.

3 3. Mit angegriffenem Beschluss vom 25. Juli 2023 wies das Amtsgericht den Beschwerdeführer als Vertrauensperson auf Grundlage von § 10 Abs. 3 FamFG zurück.

4 Das Gericht verkenne nicht, dass der Bundesgerichtshof die Benennung der Vertrauensperson durch den Betroffenen auch ohne besonderes Näheverhältnis ausreichen lasse. Auch bei weiter Auslegung der Norm könne die alleinige Auflistung als Vertrauensperson in einer für eine Vielzahl von Fällen vorformulierten Mustervollmacht jedoch nicht ausreichen.

5 4. Eine dagegen gerichtete Anhörungsrüge wies das Amtsgericht mit angegriffenem Beschluss vom 2. August 2023 zurück.

6 Klarstellend werde darauf hingewiesen, dass der Beschwerdeführer nicht als Bevollmächtigter, sondern als Vertrauensperson zurückgewiesen worden sei. Auch dies richte sich nach § 10 FamFG. [...]

7 Am 17. August 2023 hat der Beschwerdeführer Verfassungsbeschwerde gegen die Beschlüsse des Amtsgerichts erhoben. Er rügt die Verletzung von Art. 3 Abs. 1 GG.

8 Das Amtsgericht verstoße gegen das Willkürverbot. Das Amtsgericht habe den Beschwerdeführer willkürlich nicht als Verfahrensbeteiligten im Sinne der §§ 7, 418 FamFG, sondern als Bevollmächtigten nach § 10 FamFG behandelt. [...]

14 2. Der Beschluss des Amtsgerichts vom 25. Juli 2023 verletzt den Beschwerdeführer in seinem Grundrecht aus Art. 3 Abs. 1 GG.

16 b) Das Amtsgericht hat gegen diese Maßgaben verstoßen, weil die Rechtsgrundlage des § 10 Abs. 3 FamFG, auf die sich der Beschluss vom 25. Juli 2023 stützt, - zumal in der hier gewählten direkten Anwendung - offensichtlich nicht einschlägig ist. Denn sie bezieht sich auf Rechtsanwälte und Bevollmächtigte. Die Entscheidung über die im Ermessen des Gerichts stehende Beteiligung von Vertrauenspersonen nach § 418 Abs. 3 (hier: Nr. 2) FamFG - auf diese Norm hat auch das Amtsgericht abgestellt - richtet sich im Versagungsfalle dagegen nach § 7 Abs. 5 FamFG - mit der Konsequenz, dass gegen eine solche Entscheidung (anders als bei dem Beschluss nach § 10 Abs. 3 FamFG) das Rechtsmittel der sofortigen Beschwerde zur Verfügung gestanden hätte (§ 7 Abs. 5 Satz-2 FamFG). Abgesehen vom Grundsatz "iura novit curia" ist der Fehlgriff der Rechtsgrundlage augenfällig, weil sowohl § 418 als auch § 7 FamFG mit "Beteiligte" überschrieben sind, § 10 FamFG dagegen mit "Bevollmächtigte". Den mit der Anhörungsrüge erfolgten Verweis des Beschwerdeführers auf den offenkundigen Rechtsfehler nahm das Gericht nicht etwa zum Anlass, seinen Fehler - gegebenenfalls unter Auslegung der Anhörungsrüge als Gegenvorstellung - zu korrigieren, sondern es insistierte im Anhörungsrügebeschluss ohne jedes inhaltliche Argument ausdrücklich darauf, dass sich auch die Zurückweisung von Vertrauenspersonen nach § 10 FamFG richte. Die unbegründete und in keiner Weise nachvollziehbare Wahl der falschen Rechtsgrundlage stellt einen so eklatanten Rechtsverstoß dar, dass die äußerste Grenze, die das Willkürverbot der Anwendung einfachen (Prozess-)Rechts durch die Fachgerichte setzt, überschritten ist. [...]