Ungleichbehandlung von deutschen Staatsangehörigen beim Elternnachzug verstößt nicht gegen Verfassung:
Die Ungleichbehandlung deutscher Staatsangehöriger gegenüber ausländischen Staatsangehörigen mit Aufenthaltstiteln für bestimmte Fachkräfte im Elternnachzug (§ 36 Abs. 3 AufenthG) ist hinzunehmen, weil die Regelung geschaffen wurde, um Fachkräften Anreize zu bieten, sich in Deutschland niederzulassen. Dies ist bei (neu eingebürgerten) Deutschen nicht der Fall.
(Leitsätze der Redaktion)
[...]
18 [...] Ihre Hilfsbedürftigkeit ergibt sich dabei insbesondere aus der Arthrose in beiden Knien, aufgrund derer sie nicht mehr in der Lage ist, länger als etwa zehn Minuten zu stehen oder zu gehen. Sie ist dennoch – mit Hilfe von Lieferdiensten und gelegentlichen Besuchen durch einen Freund der Referenzperson sowie weiterer Bekannter ihrer Kinder – in der Lage, alleine in einer Wohnung zu leben. Dass sie diese offenbar nur dann verlässt, wenn eines ihrer Kinder zu Besuch kommt bzw. wenn ein Arztbesuch [...] zwingend erforderlich ist, erreicht nicht die Schwelle eines Autonomieverlustes, um eine außergewöhnliche Härte zu begründen. Auch ist damit keine besondere Pflegebedürftigkeit aufgezeigt. Bei den genannten Krankheiten handelt es sich vielmehr um (gerade nicht außergewöhnliche) alterstypische Leiden. Offenbar genügen diese eher niedrigschwelligen Hilfsleistungen der Bekannten und Freunde der Referenzperson und der Tochter der Klägerin derzeit auch, um der Klägerin die Bewältigung ihres Alltags zu ermöglichen. Eine spezifische Angewiesenheit auf gerade familiäre Hilfeleistung ergibt sich daraus nicht. [...] Ein Autonomieverlust ergibt sich weiter auch nicht im erforderlichen Maß, soweit die Referenzperson geschildert hat, dass die Klägerin offenbar am Beginn einer Demenzerkrankung steht, jedenfalls häufiger Dinge und gelegentlich auch den Namen ihrer Enkelin vergisst. Der Berichterstatter verkennt insoweit nicht, dass es für die notwendige regelmäßige Einnahme von Medikamenten sowie der regelmäßigen Kontrolle des Blutzuckerspiegels problematisch ist, wenn die Klägerin dies selbst nicht mehr sicher erinnern kann und daher eine Kontrolle bzw. Erinnerung durch die Referenzperson und dessen Familie wünschenswert wäre. Auch insoweit handelt es sich aber gerade nicht um eine außergewöhnliche Härte, sondern vielmehr eine alltägliche Konsequenz aus dem Älterwerden der Klägerin, die – wie viele andere – keine Familie in der Nähe hat. Auch insoweit muss sich die Klägerin darauf verweisen lassen, entsprechende Hilfe über eine professionelle Pflege oder privat organisierte Hilfestellungen zu erhalten.
19 Die Argumentation der Klägerin, allein der Umstand der Alterstypik der Krankheiten, könne ihr nicht entgegengehalten werden, verkennt, dass § 36 Abs. 2 AufenthG gerade eine sehr strenge Ausnahme regelt. Der grundsätzlich nicht vorgesehene Nachzug von erwachsenen Familienangehörigen soll nur in außergewöhnlichen, also von den typischen Fällen abweichenden Konstellationen möglich sein. Dass Familienangehörige mit fortschreitendem Alter regelmäßig in fortschreitendem Maß pflegebedürftig werden, ist gerade das Gegenteil von außergewöhnlich. Dies umschreibt die Formulierung der alterstypischen Krankheiten. Hierunter lassen sich gesundheitliche Probleme fassen, die statistisch gesehen bei fortschreitendem Alter zu erwarten und daher gerade nicht in einem Maß außergewöhnlich sind, als dass ihr Eintritt bei der Migrationsentscheidung nicht hätte vorausgesehen werden können und müssen. [...]
23 d) Auch sonstige Umstände, die die Verweigerung des Visums unter dem Gesichtspunkt der Familieneinheit als außergewöhnliche Härte erscheinen lassen, sind weder vorgetragen noch ersichtlich. So verständlich auch der "kulturell bedingte Wunsch" einer Pflege vorrangig durch Familienangehörige bzw. insbesondere durch den Sohn erscheint, so wenig rechtfertigt er – ohne nähere Erläuterung – vor dem Hintergrund des Ausnahmecharakters des § 36 Abs. 2 AufenthG eine andere Bewertung. Hinzu kommt, dass die in der Bundesrepublik lebenden Kinder der Klägerin diese ohne weitere Hindernisse in Indien besuchen und sich bei diesen Gelegenheiten etwa um deren medizinische Belange kümmern können. Insoweit ist auch nicht in letzter Konsequenz vorgetragen, dass die familiäre Lebenshilfe nur in der Bundesrepublik erfolgen kann. Jedenfalls für die Tochter der Klägerin, welche weiterhin indische Staatsangehörige ist, ist nicht plausibel vorgetragen, dass diese nicht zurück nach Indien gehen könnte, um sich dort um die Klägerin zu kümmern. Ein besonderes Hindernis, etwa in Form einer politischen Verfolgung im Herkunftsstaat, ist hier nicht ersichtlich. [...]
26 f) Schließlich kann sich die Klägerin nicht auf § 36 Abs. 3 AufenthG berufen. Danach kann den Eltern einer Ausländerin oder eines Ausländers, der oder dem am oder nach dem 1. März 2024 erstmals eine der dort genannten Aufenthaltstitel erteilt wird, eine Aufenthaltserlaubnis zum Familiennachzug erteilt werden. Diese Voraussetzungen liegen nicht vor. Zunächst ist die Referenzperson nicht in Besitz eines der in § 36 Abs. 3 AufenthG genannten Aufenthaltstitel, sondern deutscher Staatsangehöriger. Ferner würde ein Anspruch der Klägerin auch scheitern, wenn sie ihre Tochter als Referenzperson heranziehen würde, weil insoweit die Stichtagsregelung nicht eingehalten wäre, da dieser der Aufenthaltstitel nicht erst am oder nach dem 1. März 2024 erteilt wurde. Auch eine analoge Anwendung kommt mangels Regelungslücke nicht in Betracht. Die Regelung soll ausweislich der Gesetzesbegründung nicht bereits eingewanderte Fachkräfte besserstellen, sondern einen Anreiz für den Gewinn zukünftiger Fachkräfte bieten [...]. Für die Referenzperson als deutschem Staatsangehörigen bedarf es schon keines Einwanderungsanreizes.
27 Ein Anspruch der Klägerin auf die Erteilung des Visums folgt auch nicht aus der Verfassungswidrigkeit dieser Regelung. Denn eine solche liegt nicht vor. Insofern kann es auch dahinstehen, ob die Klägerin hieraus etwas – gegebenenfalls nach erneutem Tätigwerden des Gesetzgebers nach Aufhebung der Norm durch das Verfassungsgericht – für das begehrte Visum gewinnen würde, oder ob die Norm schlicht unangewendet bleiben bzw. aufgehoben werden würde, ohne dass hieraus ein Anspruch auf die Visumserteilung für Konstellationen wie der hiesigen erwächst.
28 Der Berichterstatter verkennt insoweit nicht, dass in der Regelung eine Schlechterstellung bereits in der Bundesrepublik lebender ausländischer (und eingebürgerter) Fachkräfte liegt. Hieraus folgt jedoch nicht automatisch ein Gleichheitsverstoß, aus dem die Verfassungswidrigkeit der Norm folgen würde. [...]
30 Zwar liegt eine besonders schwerwiegende Ungleichbehandlung vor. Denn die in § 36 Abs. 2 AufenthG geforderte außergewöhnliche Härte stellt nach der oben zitierten Rechtsprechung die höchste tatbestandliche Hürde dar, die der Gesetzgeber aufstellen kann. Hieraus folgt, dass der Nachzug der Eltern zu volljährigen Kindern auf (sehr) wenige Ausnahmefälle begrenzt bleibt. Demgegenüber erlaubt § 36 Abs. 3 AufenthG den Nachzug – abgesehen von der Einhaltung der Regelerteilungsvoraussetzungen – ohne weitere Voraussetzungen. Hinzu kommt, dass die Regelung – im Übrigen Ausländerrecht mit Ausnahme vereinzelter Privilegierung betreffend die geforderten Sprachkenntnisse, vgl. § 30 Abs. 1 Satz 3 AufenthG, unbekannt – die Familienangehörigen von deutschen Staatsangehörigen schlechter stellt, als solche von privilegierten ausländischen Staatsangehörigen. [...]