Bindungswirkung hindert den Erlass einer erneuten Unzulässigkeitsentscheidung:
Wird eine Unzulässigkeitsentscheidung des BAMF durch ein Verwaltungsgericht aufgehoben, so sind die am Verfahren Beteiligten, ihre Rechtsnachfolgenden und die Gerichte daran gebunden. Diese Bindungswirkung hindert das BAMF daran, erneut eine Unzulässigkeitsentscheidung zu fällen. Eine Änderung der höchstrichterlichen Rechtsprechung kann die Bindungswirkung nicht durchbrechen.
(Leitsätze der Redaktion)
[...]
b) Gleichwohl dürfte die Unzulässigkeitsentscheidung in Ziffer 1 des Bescheides vom 25. Juni 2025 keinen Bestand haben können und im Hauptsacheverfahren gemäß § 113 Abs. 1 Satz 1 VwG() aufzuheben sein. Der Ablehnung des Asylantrags des Antragstellers als unzulässig nach § 29 Abs. 1 Nr. 2 AsylG dürfte nämlich die materielle Rechtskraft des Gerichtsbescheides des Verwaltungsgerichts Münster vom 5. Dezember 2022 - 2 K 2598/22.A - entgegenstehen. Das Verwaltungsgericht Münster hat mit diesem Gerichtsbescheid die gleichlautende und ebenfalls auf § 29 Abs. 1 Nr. 2 AsylG gestützte Unzulässigkeitsentscheidung des Bundesamts im Bescheid vom 17. August
2022 aufgehoben sowie zur Begründung angeführt, dass diese Entscheidung rechtswidrig sei und den Antragsteller in seinen Rechten verletze. Der besagte Gerichtsbescheid des Verwaltungsgerichts Münster ist unzweifelhaft in Rechtskraft erwachsen.
Gemäß § 121 VwGO binden rechtskräftige Urteile, soweit über den Streitgegenstand entschieden worden ist, die Beteiligten und ihre Rechtsnachfolger und im Fall des § 65 Abs. 3 VwGO die Personen, die einen Antrag auf Beiladung nicht oder nicht fristgemäß gestellt haben. Über den Wortlaut des § 121 VwGO hinaus sind auch die Gerichte in einem späteren Prozess an rechtskräftige Urteile zwischen den Beteiligten gebunden. [...]
Dasselbe gilt für rechtskräftige Gerichtsbescheide, da diese gemäß § 84 Abs. 3 Halbsatz 1 VwG0 als Urteile wirken. [...]
Die Rechtskraft entzieht die materielle Richtigkeit der behördlichen bzw. gerichtlichen Entscheidung damit grundsätzlich einer erneuten Überprüfung. [...]
Rechtskräftige Urteile und Gerichtsbescheide binden insoweit, als sie über den Streitgegenstand entscheiden. [...]
Im Falle einer stattgebenden Anfechtungsklage erschöpft sich das Urteil oder der Gerichtsbescheid nicht in einer bloßen Aufhebung der behördlichen Entscheidung. Die Entscheidung stellt vielmehr verbindlich fest, dass der Verwaltungsakt rechtswidrig war und den Kläger in seinen Rechten verletzt hat. Insoweit beinhaltet das Gestaltungsurteil der Anfechtungsklage (bzw. ein entsprechender Gerichtsbescheid) stets auch einen feststellenden Teil. Damit wirkt es auf nachfolgende Verwaltungsakte, denn es verbietet der Behörde zugleich, in derselben Sache gegenüber demselben Beteiligten erneut eine entsprechende Verfügung zu erlassen (sog. Widerspruchs- und Wiederholungsverbot). Der feststellende Teil des Anfechtungsurteils oder des entsprechenden Gerichtsbescheids erstreckt sich dabei auf den die Entscheidung unmittelbar tragenden Rechtssatz. Hingegen erfasst die Rechtskraft nicht die einzelnen Urteils- bzw. Gerichtsbescheidselemente, also nicht die tatsächlichen Feststellungen, die Feststellung einzelner Tatbestandsmerkmale und sonstige Vorfragen oder Schlussfolgerungen, auch wenn diese für die Entscheidung tragend gewesen sind. [....]
Gemessen hieran nimmt der den Gerichtsbescheid des Verwaltungsgerichts Münster vom 5. Dezember 2022 - 2 K 2598/22.A - tragende Rechtssatz, dass das Bundesamt den Asylantrag zu Unrecht als unzulässig abgelehnt habe, an der Rechtskraft dieses Gerichtsbescheides teil. Die Feststellung, dass die tatbestandlichen Voraussetzungen für die (gebundene) Unzulässigkeitsentscheidung nicht vorlagen, betrifft den Streitgegenstand des Ausgangsverfahrens unmittelbar. Denn auf ihr beruht maßgeblich die vom Gericht ausgesprochene Aufhebung des Unzulässigkeitsausspruchs im Bescheid vom 17. August 2022. Die hiervon ausgehende Bindungswirkung des rechtskräftigen Gerichtsbescheids des Verwaltungsgerichts Münster hindert nach dem vorstehend Gesagten den neuerlichen Erlass einer Unzulässigkeitsentscheidung. Insofern liegt der hier gegebene Fall, in dem sich das Verwaltungsgericht Münster inhaltlich zum Vorliegen des Unzulässigkeitstatbestands in § 29 Abs. 1 Nr. 2 AsylG geäußert hat und ausgehend hiervon zur Aufhebung des entsprechenden Verwaltungsakts gelangt ist, grundlegend anders als diejenigen Fälle, in denen sich die Unwirksamkeit der Unzulässigkeitsentscheidung - nach stattgebender gerichtlicher Entscheidung gemäß § 80 Abs. 5 VwG() - (lediglich) aus § 37 Abs. 1 Satz 1 AsylG (a.F.) ergeben hat. [...]
Die Frage der Zulässigkeit des Asylantrages des Antragstellers ist auch nicht ausnahmsweise wegen Durchbrechung der Rechtskraft des Gerichtsbescheids des Verwaltungsgerichts Münster einer erneuten gerichtlichen Überprüfung zugänglich. Zwar entfällt die Rechtskraftwirkung, wenn sich die dem Ausgangsurteil bzw. Ausgangsgerichtsbescheid zugrundeliegende Sach- oder Rechtslage verändert hat. Denn diese Ausgangsentscheidung bezieht sich lediglich auf den Tatbestand, der darin festgestellt wurde, und auf die zurzeit des Urteils oder Gerichtsbescheids geltende Rechtslage. [...]
Eine Befreiung von der Rechtskraftwirkung tritt hingegen nicht allein deshalb ein, weil sich nachträglich neue Erkenntnisse über zum maßgeblichen Zeitpunkt bereits vorhandene Tatsachen ergeben [...] oder ein Beteiligter eine entscheidungserhebliche Tatsache nunmehr besser beweisen kann [...].
Die Rechtsprechung hat in der Vergangenheit allerdings Ausnahmen von diesem Grundsatz für möglich erachtet, wenn einem Beteiligten das Beibringen von Beweismitteln im Erstprozess aufgrund eines Beweisnotstandes unmöglich war, der dadurch gekennzeichnet ist, dass dem betreffenden Beteiligten erst nach Abschluss des Vorprozesses die Möglichkeit der Beschaffung neuer Beweismittel eröffnet ist. [...]
Gemessen hieran gilt die Rechtskraft des Gerichtsbescheids des Verwaltungsgerichts Münster im maßgeblichen Zeitpunkt der vorliegenden gerichtlichen Entscheidung des beschließenden Gerichts (§ 77 Abs. 1 Satz 1 Halbsatz 2 AsylG) fort [...].
Der Sachverhalt, über den das Bundesamt mit der neuerlichen Unzulässigkeitsentscheidung vom 25. Juni 2025 entschieden hat, ist gegenüber dem Sachverhalt, welcher der ersten Entscheidung vom 17. August 2022 zugrunde lag, unverändert. Dies gilt schon deshalb, weil der maßgebliche Umstand, dass die griechischen Behörden dem Antragsteller internationalen Schutz gewährt haben, vollständig in der Vergangenheit liegt. Die Frage, ob - wie hier - nach Rechtskraft vorliegende Beweismittel ausnahmsweise eine erneute materielle Prüfung des Sachverhaltes ermöglichen, wenn ein Beteiligter sich im Ausgangsprozess in einem Beweisnotstand befunden hat, kann insoweit dahinstehen. Denn in einem solchen Notstand befand sich das Bundesamt im Verfahren vor dem Verwaltungsgericht Münster nicht. Es hatte seinerzeit bereits alle fallwesentlichen Umstände, namentlich die Schutzgewährung in Griechenland, die im Eurodac-System verzeichnet war, ermittelt. Die Sach- oder Rechtslage hat sich des Weiteren nicht mit Blick darauf maßgeblich verändert, dass das Bundesverwaltungsgericht nunmehr im Wege der Tatsachenrevision entschieden hat, dass die Aufnahmeverhältnisse in Griechenland für nicht-vulnerable Schutzberechtigte nicht die Gefahr bergen, eine unmenschliche bzw. erniedrigende Behandlung im Sinne von Art. 4 GR-Charta und Art. 3 EMRK zu erfahren (s.o.). Die materielle Rechtskraft entfällt zwar auch, wenn und soweit das die Entscheidung tragende Gesetz später in entscheidungserheblicher Weise geändert wird. Die Änderung einer höchstrichterlichen Rechtsprechung steht einer Gesetzesänderung jedoch nicht gleich. Dies gilt auch für die erstmalige höchstrichterliche Klärung einer bestimmten Frage. [...]