Kein Schutz für LSBTI* Personen in der Türkei:
1. Angriffe auf Mitglieder der LSBTI* Community werden in nur geringem Umfang aufgeklärt oder verfolgt. Es besteht ein systematisches Schutzproblem beim türkischen Staat.
2. Einzelne liberale Stadtteile sind kein Ort für einen internen Schutz. Sie sind nach Größe und Lage nicht dazu geeignet, Verfolgungssicherheit oder eine hinreichende Lebensgrundlage zu bieten. Ein Leben in einem eng begrenzten Radius ist nicht zumutbar.
(Leitsätze der Redaktion)
[...]
4. Nach den dem Gericht vorliegenden Erkenntnissen ist der türkische Staat derzeit nicht willens und in der Lage, LGBTQI+-Personen wirksam vor der geschilderten unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung durch die türkische Gesellschaft oder einzelne Personen zu schützen. [...]
Im Falle der Türkei ist davon auszugehen, dass die Stigmatisierungen und Diskrimi-nierungen der LGBTQI+-Personen durch die türkische Öffentlichkeit ein solches Maß erreicht haben und eine Aufklärung und Verfolgung dieser Taten nur in einem derart geringen Umfang stattfinden, dass nicht nur einzelne Übergriffe und vereinzelte Schutzlücken festzustellen sind, sondern ein systemisches Schutzproblem besteht. Der türkische Staat und die regierungsnahen Medien befeuern die allgemeine Hal-tung der Gesellschaft vielmehr und tragen damit jedenfalls mittelbar noch zu einer Verschlechterung der Situation bei (vgl. Österreich, Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, Türkei Länderinformationen der Staatendokumentation, 7. März 2024, S. 226 f.). [...]
5. Der Kläger zu 2. kann auch nicht auf die Inanspruchnahme internen Schutz im Sinne des § 3e Abs. 1 AsylG verwiesen werden.
Einzelne liberalere Stadtteile oder einzelne Bereiche einer Region, in denen von ei-nem größeren Teil der Bevölkerung gegenüber LGBTQI+-Personen eine aufge-schlossenere Haltung eingenommen wird, stellen – unabhängig davon, ob allein dies überhaupt schon die Annahme rechtfertigt, dass ein Betroffener dort mit dem erfor-derlichen Maß der Wahrscheinlichkeit keine Verfolgung mehr befürchten müsste bzw. vor einer solchen hinreichend sicheren Schutz finden könnte – schon keinen „Teil des Herkunftslandes“ im Sinne des § 3e Abs. 1 Nr. 1 AsylG dar. Der Begriff des Landesteils ist nicht legaldefiniert. Üblich ist eine Anknüpfung an geopolitische Un-tergliederungen, wie einzelne Regionen oder Provinzen. Entscheidend ist aber, dass der als verfolgungssichere Ort zur Verfügung stehende Bereich eine hinreichende Größe aufweist, um nachhaltige Sicherheit zu verheißen und eine Lebensgrundlage zu gewährleisten. Dies mag bei einer gesamten (Groß-)Stadt noch der Fall sein. Eine dauerhafte Niederlassung in einigen wenigen sicheren Straßenzügen, die ein freies Leben nur in einem eng begrenzten Radius von wenigen Quadratkilometern möglich macht, ist aber nicht zumutbar und vom Kläger zu 2. – auch wegen seines Berufs als Schauspieler – nicht vernünftigerweise zu erwarten [...].
Gegen die Annahme, der Kläger zu 2. könne in den beschriebenen Stadteilen inter-nen Schutz finden, spricht im Übrigen schon, dass in einer Großstadt, die von der Mobilität der dort Lebenden allgemein geprägt ist, nie sichergestellt werden, dass ein Stadtviertel nur von den möglicherweise liberaleren Anwohnern frequentiert wird. Es kann daher nicht sicher davon ausgegangen werden, dass der Kläger zu 2. in diesen Vierteln vor der allgemeinen Stimmung der Gesellschaft gegen queere Menschen und vor den von ihr ausgehenden Gewalttaten geschützt ist (VG Berlin, Urteil vom 31. März 2025 – VG 39 K 38/22 A –, EA S. 15). Hiergegen spricht im Gegenteil der oben beschriebene Umstand, nach der es gerade in den als liberaler beschriebenen Großstädten zu gewalttätigen Übergriffen auf LGBTQI+-Personen kommt, weshalb diese nur einen vermeintlichen Rückzugsort für die queere Szene darstellen. [...]