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VG Gelsenkirchen

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Zitieren als:
VG Gelsenkirchen, Beschluss vom 29.08.2025 - 6a L 1661/25.A - asyl.net: M33653
https://www.asyl.net/rsdb/m33653
Leitsatz:

Keine Rückkehr ethnischer Armenier:innen nach Berg-Karabach: 

Ethnische Armenier:innen können nicht in die Region Berg-Karabach zurückkehren und sich dort niederlassen. Es droht Ihnen asylrelevante Verfolgung durch aserbaidschanische Behörden und ethnische Aserbaidschaner:innen. Zudem hat Aserbaidschan mit einem groß angelegten Wiederaufbau- und Rückkehrprogramm von aserbaidschanischen Vertriebenen nach Berg-Karabach begonnen. 

(Leitsätze der Redaktion) 

Schlagwörter: Armenien, Berg-Karabach, Aserbaidschan, offensichtlich unbegründet, Asylfolgeantrag,
Normen: AsylG § 30 Abs. 1 Nr. 8, AsylG § 71, AsylG § 3b Abs. 1 Nr. 1
Auszüge:

[...]

Erste ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit der Entscheidung des Bundesamts bestehen bereits deshalb, weil das Bundesamt den Asylantrag der Antragstellerin auf der Grundlage von § 30 Abs. 1 Nummer 8 AsylG als offensichtlich unbegründet abgelehnt hat. Danach ist ein unbegründeter Asylantrag als offensichtlich unbegründet abzulehnen, wenn der Ausländer einen Folgeantrag (§ 71 Abs. 1 AsylG) oder einen Zweitantrag (§ 71a Abs. 1 AsylG) gestellt hat und ein weiteres Asylverfahren durchgeführt wurde. [...]

Äußerst fraglich erscheint bereits, ob die Antragstellerin aserbaidschanische Staatsangehörige ist. Zwar haben mit dem Inkrafttreten des Staatsangehörigengesetzes vom 30. September 1998 aserbaidschanische Staatsangehörige armenischer Volkszugehörigkeit mit gemeldetem Wohnsitz in Bergkarabach nicht zwangsläufig eine zuvor bestehende Staatsangehörigkeit verloren [...]. Im Zusammenhang mit den bewaffneten Auseinandersetzungen zwischen Armenien und Aserbaidschan haben die aserbaidschanischen Behörden aber zahlreiche Personen mit armenischen Namen willkürlich und unsystematisch aus den Personenstandsregistern in Aserbaidschan gelöscht. Nach dem Inkrafttreten des Staatsangehörigkeitsrechts im Jahre 1998 erfolgten weitere Streichungen [...].

Aber selbst dann, wenn die Antragstellerin nicht aus den Personenstandsregistern gelöscht worden und in der Vergangenheit im Besitz der aserbaidschanischen Staatsangehörigkeit gewesen sein sollte, unterliegt die Entscheidung des Bundesamtes erheblichen Zweifeln. Ausweislich der aktuellen Auskunftslage spricht Überwiegendes dafür, dass Aserbaidschan armenische Volkszugehörige mit Wohnsitz im Ausland (außerhalb Russlands) nicht (mehr) als aserbaidschanische Staatsangehörige betrachtet und diesen keine Personenstandspapiere ausgestellt werden […] In der Verweigerung der Ausstellung von Personenstands- und Reisedokumenten an ethnische Armenier aserbaidschanischer Herkunft wird zum Teil bereits eine Verfolgungshandlung im Sinne des § 3a Abs. 2 Nr. 2 AsylG gesehen […].

Hinzu kommt, dass die Einzelrichterin erhebliche Zweifel daran hat, dass sich ein armenischer Volkszugehöriger bei Rückkehr nach Bergkarabach dort niederlassen kann, ohne asylrelevanter Verfolgung wegen seiner Volkszugehörigkeit ausgesetzt zu sein, wie im angegriffenen Bescheid ausgeführt. Die Diskriminierung der Armenier in Aserbaidschan blickt auf eine jahrzehntelange Geschichte zurück und ist vielfach dokumentiert. Die dokumentierten Vorgehensweisen aserbaidschanischer Behörden und ethnischer Aserbaidschaner gegen Angehörige der Minderheit erstreckten sich von der Verweigerung der Staatsbürgerschaft und Wiedereinreise über die Diskriminierung im alltäglichen (Berufs)Leben bis zur Vertreibung aus Siedlungen einhergehend mit körperlichen Angriffen, weshalb sich gegenwärtig fast keine armenischen Volkszugehörigen mehr in Aserbaidschan aufhalten, insbesondere keine deren armenische Volkszugehörigkeit bereits an ihrem Namen erkennbar ist, wie bei der Antragstellerin. Anhaltspunkte dafür, dass sich diese Vorgehensweise in Zukunft in Bergkarabach nicht wiederholen wird, bestehen nicht. Bislang sind keine Fälle von rückkehrenden armenischen Volkszugehörigen bekannt. Das Gebiet soll künftig vielmehr von ehemals aus Bergkarabach vertriebenen Aserbaidschanern besiedelt werden. Große Teile der aserbaidschanischen Binnenvertriebenen des 1. Bergkarabach-Kriegs in den 1990iger Jahren sollen in einem groß angelegten Wiederaufbau- und Rückkehrprogramm allmählich wieder in die Gebiete Karabachs zurückziehen. Bei Rücksiedlungsaktionen konnten bereits über 9.300 Binnenvertriebene nach Karabach zurückkehren. Bis Ende 2026 sollen insgesamt ca. 140.000 Personen zurückgesiedelt werden. [...]